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Porträt Festival Strings Lucerne

Heimatbezug und Weltläufigkeit

Das 1956 gegründete Schweizer Kammerorchester Festival Strings Lucerne lotet sein Repertoire immer wieder neu aus.

vonRoland H. Dippel,

Ihr Abschlusskonzert der Spielzeit 2022/23 stand im Goldenen Schnitt des derzeitigen Leistungsniveaus und Anspruchsdenkens der Festival Strings Lucerne: Am 30. Mai glitzerte der Vierwaldstädtersee. Unter dem Quadratdach des zur Feier seines 25-jährigen Jubiläums ansetzenden KKL Luzern mischten sich Konzertgäste und Flanierende. In seiner dort angestammten Abo-Reihe präsentierte Festival Strings Lucerne ein „Leipziger Programm“. Die Noveletten für Streichorchester Nr. 1 F-Dur op. 53 von Mendelssohns Gewandhauskapellmeister-Nachfolger Niels Wilhelm Gade, Robert Schumanns Cellokonzert a-Moll op. 129 mit dem ihnen bestens bekannten Solisten Kian Soltani und Felix Mendelssohn Bartholdys „Schottische“ Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 56.

Für ein Kammerorchester haben die Partituren Schumanns und Mendelssohns nach herkömmlicher Kategorisierung eine zu große Besetzung – und erst recht für einen Klangkörper, der seit 2012 wie in seinen Ursprungsjahren prinzipiell ohne Dirigent auftritt. Obwohl sich das Edelensemble um den Kern seiner Streichergruppe noch immer „Kammerorchester“ nennt, dehnt es den Repertoireradius weit aus. Gades Noveletten gehören zu den Kernkompetenzen, aber gewiss nicht Schumanns für ein nach heutigen Maßgaben mindestens mittelgroßes Orchester gedachtes Cellokonzert, das beim Auftritt zum Mozartfest Würzburg in Andreas Herings Fassung für Streichorchester erklingt und das im KKL Luzern dagegen die angestammte Streicherbesetzung mit ständigen Gästen in der originalen Orchestration zu Gehör bringt.

Festival Strings Lucerne freut sich auf Neue Musik als mögliche Repertoireerweiterung

Es ist vielleicht diffus, wenn für Festival Strings Lucerne Kontakte mit dem Spitzennachwuchs wichtig sind und sie andererseits großen Stolz über die sich steigernden Zusammenarbeiten mit arrivierten Geigerinnen wie Arabella Steinbacher und Midori zeigen. Als Projektorchester, so der kulturelle Auftrag, sollen Festival Strings Lucerne in der Schweiz hochklassige Qualität und Außergewöhnliches bieten, dabei aber hohe und eigentlich nur mit klassischem Repertoire machbare Publikumszahlen vorlegen. Dass zu einem KKL-Konzert von Festival Strings Lucerne in der Regel über 1.000 Besucher kommen, ist bei einem Kammerensemble auch in weitaus einwohnerstärkeren Metropolen die rühmliche Ausnahme. „Die Politik würde für die Zukunft gern sehen, dass wir mehr Neue Musik spielen,“ sagt Orchesterdirektor Hans-Christoph Mauruschat und freut sich auf diese gut denkbare Schwerpunkt-Erweiterung.

Daniel Dodds ist seit 2012 künstlerischer Leiter der Festival Strings Lucerne
Daniel Dodds ist seit 2012 künstlerischer Leiter der Festival Strings Lucerne

Agenda und Gastspielorte der Festival Strings Lucerne können sich bestens sehen lassen. Im Eröffnungszyklus der Elbphilharmonie waren sie das einzige Schweizer Orchester. Zehn Jahre nach Übernahme der musikalischen Leitung drängt es den Geiger Daniel Dodds zu für die Besetzungskapazitäten der Festival Strings Lucerne leicht verkleinerten sinfonischen Sternen des klassisch-romantischen Repertoires. „Wir suchen nach nur für uns gültigen und damit recht großzügigen Grenzen, in denen wir noch ohne Dirigent agieren können.“ Mendelssohns „Schottische“ war das bisher größte Wagnis. Wird das Ensemble die Spannung des avisierten Repertoires ohne Zeichen vom Dirigierpult halten können? Entdeckt man durch die Suggestivkraft von Konzertmeister Daniel Dodds und die spezifische Kultur des Aufeinander-Hörens der Festival Strings Lucerne in der bisherigen Rezeptionsgeschichte vernachlässigte Aspekte? Die musikalische Romantik durchlebt derzeit durch Alte-Musik-Ensembles aufschlussreiche Neubefragungen. Bei dieser haben die Festival Strings Lucerne weiterhin Aussicht auf einen Spitzenplatz, zumal die jüngere Generation des Ensembles sowohl traditionelle wie alte Spieltechniken beherrscht.

Trouvaillen zwischen Spitzentiteln

Die Geschichte der von Wolfgang Schneiderhan und Rudolf Baumgartner bei den Internationalen Musikfestwochen Luzern 1956 gegründeten Festival Strings Lucerne verpflichtet. Wie bei vielen Schweizer Klangkörpern leben sie einen engmaschigen Regionalbezug und parallel die selbstverständliche Weltläufigkeit. Festival Strings Lucerne gastieren beim Rheingau Musik Festival, im Prinzregententheater München, in Athen und Istanbul. Zwischen Kammerkonzerten ihrer anderen Luzerner Reihe im Zeugheersaal des Hotel Schweizerhof bringen sie eine ganze Südamerika-Tournee unter. In den dort kultivierten kleineren Formaten setzen sie immer wieder Trouvaillen von Clara Schumann, Karol Szymanowski, Frank Bridge und George Enescu zwischen große Highlights. Spitzentitel wie Midoris lang erwartete erste Aufnahme von Beethovens Violinkonzert und das bis in die Playlists von Klassik Radio gedrungene Doppelalbum „Femmes!“ mit der Cellistin Raphaela Gromes bestimmen das aktuelle Portfolio der Festival Strings Lucerne. Diese Mischung, in welche sich immer wieder Titel von Luigi Boccherini, Joseph Martin Kraus und anderen drängen, sichern Festival Strings Lucerne ihre mit Begeisterung aufgenommenen Heimspiele und internationale Aufmerksamkeit. Eine ideale Mischung.

Album-Tipp:

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