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Opern-Kritik: Opernhaus Zürich – Roméo et Juliette

Triumph für Benjamin Bernheim

(Zürich, 10.4.2023) Gekuschelt wird kaum in der „Roméo et Juliette“-Inszenierung des jungen amerikanischen Regisseurs Ted Huffman. Dafür betört ein Traumpaar des lyrischen Gesangs.

vonRoland H. Dippel,

Uraufgeführt wurde „Roméo et Juliette“ in Paris 1867, also im gleichen Jahr wie Verdis „Don Carlo“ und Offenbachs „Großherzogin von Gerolstein“. Dieses Wissen erleichtert das Verstehen eines der Hauptwerke des Genres Opéra-lyrique, in dem zunehmend die Emotionen der Figuren anstelle ihrer Pointierung und historisch-politische Frontalaufstellungen ins Zentrum rücken. Viel weiter und direkter betreffend Hautkontakt, Sinnlichkeit und Zärtlichkeit als der junge amerikanische Regisseur Ted Huffman am Opernhaus Zürich waren schon vor Jahrzehnten Franco Zeffirelli und Baz Luhrmann in ihren so unterschiedlichen Verfilmungen von Shakespeares „Romeo und Julia“, obwohl der blutjunge Leonardo DiCaprio als Romeo auch nicht gerade für Latinlover-Chuzpe einstand.

Szenenbild aus „Roméo et Juliette“
Szenenbild aus „Roméo et Juliette“

Die Tragödie des legendären Liebespaars will nicht die nötige verzehrende Fahrt aufnehmen

Gekuschelt und geknutscht wurde in dieser jüngsten Lesart von Charles Gounods erlesener Opernromanze nur wenig und eher schüchtern. Dabei hatte Gounod dem berühmten Tag-Lied Shakespeares noch ein Duo vorangestellt, dessen Cello-Phrase an Deutlichkeit nichts zu wünschen übriglässt. Bis zum Ende nimmt die Tragödie des jungen Liebespaares, das den Kämpfen von beider Herkunftsfamilien ebenso zum Opfer fällt wie seiner der Liebe auf den ersten Blick entsprungenen Leidenschaft, in Zürich leider nicht die verzehrende Fahrt auf wie für Shakespeares Sujet nötig und zu Gounods bittersüßer Musik möglich.

Szenenbild aus „Roméo et Juliette“
Szenenbild aus „Roméo et Juliette“

Ideales Hauptpaar

Die Zürcher Oper versprach mit den aus den eigenen Reihen entsprungenen Stars in den Titelpartien sehr viel und hielt auch einiges. Benjamin Bernheim als Roméo ist stimmlich und interpretierend ein Operntraum, sternenklar der beste Roméo seit Alfredo Kraus und Neil Shicoff. Bernheim sendet Töne ab zum Niederknien. Er betört, ohne zu schmeicheln, und er hat die richtigen Farben, die richtige Diktion, auch die Kondition für die an Länge oft unterschätzten Hauptpartien. Ganz unaufdringlich und unangestrengt singt Bernheim Gounods Noblesse-Schaumbad, so dass man nach seinem Roméo Montague, seinem Hoffmann, seinem Werther süchtig werden muss. Minimale Anfangsunebenheiten hatte Julie Fuchs bei ihrem Partiendebüt als Juliette Capulet, die das Tuch um sich schlingt wie eine Uferschönheit vom nahe dem Opernhaus gelegenen Utoquai. Vokales Tauwetter beginnt für Fuchs im Hymnus der Trauungsszene. Zur Bestform findet sie in der hochdramatischen Arie, wenn sie nach verständlich und intensiv artikulierten Ängsten doch das sie in temporären Scheintod versetzende Mittelchen des hier bemerkenswert smarten Père Lorenzo einwirft.

Szenenbild aus „Roméo et Juliette“
Szenenbild aus „Roméo et Juliette“

Mittelschicht-Tragödie

Ted Huffman beginnt seine Regie mit einem Kotillion, wie diese Tanzveranstaltung in seiner US-amerikanischen Heimat noch üblich ist. Man kann nur hoffen, dass Annemarie Woods‘ Kostüme von ressourcenschonendem Nachhaltigkeitsideal geleitet waren. Selbstverständlich tummeln sich alle Neigungen und Ethnien auf dem Ball bei Capulet. Nur gibt es von Pim Veulings nicht Mambo wie in Jerome Robbins eher unterschichtsorientierter Choreographie zu Leonard Bernsteins Romeo-und-Julia-Adaption „West Side Story“, sondern Walzer. Aus dem Anlass-Nichts beginnen in der Oper Zürich die Rivalitäten zwischen den Geschlechtern Montague und Capulet, wie und warum bleibt wenig sinnfällig. Angemessen prosaisch passte Franck Evins Licht-Design. Die Regie verklingt am Ende zu matt, als dass man am Ende die Belanglosigkeit des an sich schönen Bühnenraums von Andrew Lieberman hätte vergessen können. Juliettes „Amme“ ist sogar noch dabei, wenn Juliette zum Betäubungsmittel greift, was keinen Sinn macht. Dafür wurde Katia Ledoux als Gertrude um ihren besten Auftritt in der Balkon-Szene erleichtert.

Szenenbild aus „Roméo et Juliette“
Szenenbild aus „Roméo et Juliette“

Musikalischer Hochglanz

Im Graben und den Kehlen stimmte dafür fast alles. Roberto Forés Veses ist eher der Pult-Frontmann fürs Leidenschaftliche, nimmt ziemlich zugkräftige Tempi und dreht im großen Finale mit der Messerstecherei groß auf. Insgesamt lässt er dem von Ernst Raffelsberger eigentlich ideal einstudierten Chor der Oper Zürich einen vielleicht etwas zu ungebremsten Lautstärken-Lauf und fühlt sich bei den vier großen Duetten, Gounods kleiner Nachtmusik und Soloszenen am wohlsten. Sagenhaft ragten die Oboensoli, in denen sich die ganze Verführungsmacht Gounods fokussierte, aus der starken Leistung der Philharmonia Zürich. Der von ARTE aufgezeichnete Premierenabend bestach auch durch einige andere imponierende Besetzungen neben dem zentralen Paar. Svetlina Stoyanova singt die Stéphano-Couplets mit derart sinnlich packender Gestaltungskultur, dass man sich von ihr sofort eine der ganz großen Rossini-Partien wünscht. Omer Kobiljak gibt einen idealen Tybalt mit hellen Stentor-Höhen, Yuriy Hadzetskyy einen Mercutio mit burlesker bis samtener Bariton-Linie. David Soar als Graf Capulet und Brent Michael Smith als Pater Lorenzo machen das eindrucksvolle Ensemble für dieses in den letzten Jahren endlich auch in Mitteleuropa häufiger gespielte Opernwunder rund. Tobender Applaus für alle.

Opernhaus Zürich
Gounod: Roméo et Juliette

Roberto Forés Veses (Leitung), Ted Huffman (Regie), Andrew Lieberman (Bühne), Annemarie Woods (Kostüme), Franck Evin (Licht), Ernst Raffelsberger (Chor), Pim Veulings (Choreografie), Fabio Dietsche (Dramaturgie), Julie Fuchs, Benjamin Bernheim, Brent Michael Smith, David Soar, Yuriy Hadzetskyy, Svetlina Stoyanova, Omer Kobiljak, Katia Ledoux, Valeriy Murga, Andrew Moore, Jungrae Noah Kim, Maximilian Lawrie, Alison Duarte, Maarten Krielen, Davide Pillera, Roberto Tallarigo, Sina Friedli, Elena Paltracca, Alice White, Oriana Zeoli, Chor der Oper Zürich, Statistenverein der Oper Zürich, Philharmonia Zürich

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