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Porträt Eldbjørg Hemsing

Das große Ganze

Zum Dahinschmelzen? Eldbjørg Hemsing formuliert ihre musikalische Sicht auf den Klimawandel.

vonHelge Birkelbach,

Raus in die Natur, hinauf in die Berge! Unerschrocken ist sie damals ihrem Vater, der als Naturwissenschaftler und Bergaufseher die Lawinengefahr prüfte, auf seinen Wegen gefolgt. Als Kind hat Eldbjørg Hemsing die unberührten Weiten ihrer Heimat Valdres im Osten Norwegens kennen und lieben gelernt. Die Stille, das Licht und die Kälte: Alles war rein, pur und fundamental. Der Mensch dagegen klein, staunend und demütig.

Diesen Kontrast zeigt die norwegische Violinistin auf dem Cover ihres Albums „Arctic“. Rot gewandet steht sie da mit ihrem Instrument auf einem Gletscher, der Horizont scheint endlos, die Szene surreal. Einige Fotos wurden vorab in der norwegischen Ausgabe der Vogue abgedruckt „Es ist keine Fotomontage, wir sind im Juni tatsächlich mit dem Team zum Svartisen-Gletscher hochgefahren“, sagt sie. Ziemlich rutschig sei es gewesen, und trotz der gemäßigten Jahreszeit auch kalt. Das Eis verwies auf seine ewige Erhabenheit, stolz und glänzend.

Drei Lebensmottos

Aber wie lange wird dieses einzigartige Ökosystem noch bestehen? Hemsings Album ist eine musikalische Meditation über die Schönheit der Arktis, den Wechsel der Jahreszeiten, thematisiert aber auch die Fragilität des äußersten Nordens im Hinblick auf den Klimawandel. Im Zentrum steht die zwanzigminütige „Artic Suite“ des amerikanischen Filmkomponisten Jacob Shea, der zusammen mit Hans Zimmer die Musik zur BBC-Naturdoku „The Blue Planet II“ schrieb.

Naturmensch, der in der Metropole lebt: Eldbørg Hemsing
Naturmensch, der in der Metropole lebt: Eldbørg Hemsing

Kann Musik denn irgendetwas bewirken angesichts der komplexen globalen Probleme? „Musik wird nicht die großen Probleme lösen“, räumt die Violinistin ein. „Aber sie hat eine enorme Kraft, die in den oft verwirrenden Diskussionen untergeht: die Kraft der Emotion. Musik verbindet den Menschen mit seiner emotionalen Seite und kann ihm Hoffnung geben. Sie kann positiv wirken.“ Befragt nach ihrem Lebensmotto, liefert sie gleich drei. „Erstens: Sei freundlich. Freundlichkeit wird heute dermaßen unterbewertet. Zweitens: Sei tolerant und zeige Respekt. Wen immer du im Leben triffst, wo immer du ihn triffst: Toleranz und Respekt helfen weiter. Und drittens: Sei positiv. Die Energie, die du übermittelst, kommt irgendwann zu dir zurück. Es macht die Sache einfacher, auch im musikalischen Zusammenspiel.“

Poesie und Zugriff

So elfenhaft feingliedrig die Norwegerin auf den ersten Blick auch scheinen mag, so wenig entrückt und auf erfrischende Weise nahbar und direkt ist sie tatsächlich. Sie spricht schnell, denkt schnell, mag Metaphern und kommt trotzdem sofort zum Punkt. Die Balance zwischen raumgreifender Poesie und packendem Zugriff ist bei ihr ausgeprägt, auch im musikalischen Ausdruck. Auf keinen Fall sollte man deshalb den Fehler begehen, Eldbjørg Hemsing leichtfertig in die Schublade „Junge fotogene Geigerin zaubert Klanglandschaften“ zu stecken. Ihre zurückliegenden, hochgelobten Einspielungen mit Werken von Schostakowitsch, Dvořák, Grieg und insbesondere zweier Violinkonzerte von Tan Dun sprechen eine andere Sprache.

Die 33-Jährige, die zeitweise in London lebt, tritt nicht nur mit großen Sinfonieorchestern auf, sondern sucht auch die Intimität des kleinen Formats. Als Kammermusikerin hat sie sich kürzlich mit dem Cellisten Daniel Müller-Schott und dem Pianisten Martin Stadtfeld zusammengetan. „Es war eine Art Koinzidenz, die dazu führte, dass wir uns trafen. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, das passiert nicht oft. Uns ist es passiert. Es ist wirklich eine Freude, mit den beiden zu arbeiten. Wir passen einfach gut zusammen.“

Wunder? Es gibt sie. Eins fügt sich zum anderen und ergibt Sinn. Diese Schönheit, diese Harmonie sollte man wertschätzen, betont die Künstlerin. „Ich glaube, es war Béla Bartók, der einmal sagte, dass jede Note wie ein Blatt an einem Baum sein sollte. Jedes Blatt hat eine andere Form, Farbe und Identität. Jede Note, jede Phrase, jeder Satz hat eine Bedeutung und eine Aufgabe. Zusammen bilden sie – wie in der Natur – ein großes Ganzes.“

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