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Opern-Kritik: Luzerner Theater – Salome

Trotzige Frauwerdung eines Kindes

(Luzern, 15.12.2019) Mit der mädchenhaften Sopranistin Heather Engebretson schlägt Regisseur Herbert Fritsch ein ganz neues Kapitel in der Interpretation der Strauss-Antiheldin auf.

vonPeter Krause,

Erdig, brutal und roh tönt es aus dem Orchestergraben. Ist das Musik aus einem Horrorstreifen? Es ist Musik, die kolportagehaft grell und pointiert benennt, was in dieser schrecklichen Familie zwischen Mutter, Stiefvater und Töchterchen so alles total schief läuft. Aufregend anders also klingt die „Salome“ von Richard Strauss im kleinen Theater dieser entzückenden kleinen Stadt. Da gibt es kein wohliges Bad im Streichermeer, sondern klar herausgemeißelte moderne Strukturen, die auch mal weh tun dürfen. Die brutale akustische Direktheit des Hauses an der Reuss legt einen musikalischen Zugriff nah, den Clemens Heil am Pult des Luzerner Sinfonieorchester vollends zum Konzept verdichtet. Der Musikdirektor zelebriert hier keine Strauss-Wonnen, er kittet nicht die psychischen Abgründe der Musik mit schönen Stellen, er spitzt zu, peitscht hochgespannt voran, zeigt, wie unerhört diese Partitur bei der Uraufführungen anno 1905 an der Semperoper Dresden für die damaligen Ohren geklungen haben muss. Und er möchte, dass wir das auch heute noch merken. Da motiviert das Luzerner Theater zum aufregenden Neuhören. So soll es sein!

Es operettet ger grotesk in Fritschens „Salome“ – freilich immer nur da, wo es denn Sinn macht

Nach seinem Musiktheater-Debüt am Theater Bremen mit Offenbachs „Die Banditen“, Ligetis „Le Grand Macabre“ in Luzern oder Mozarts „Così fan tutte“ an der Staatsoper Hamburg hat Herbert Fritsch den überbordenden Slapstick zu dosieren gelernt. Und auf das groteske Grimassieren seiner Darsteller verzichtet er ganz. Ja, es operettet durchaus auch in seiner „Salome“ noch, freilich immer nur genau da, wo es denn Sinn macht: zumal in der Zeichnung des Herodes, den mit Hubert Wild einer seiner Lieblingsdarsteller als transig schmierige Karikatur eines durchgeknallten Potentaten und zugleich als Karikatur eines Charaktertenors anlegt. Als damenstreng kalkuliert kaltes Pendant zu ihrem Gatten und mit schneidenden Mezzo-Tönen wie echter Grandezza gibt Solenn› Lavanant-Linke die Herodias. Die Juden marschieren im Gleichschritt durch ihre Zankszene, die Gefahr, die im Stück angelegte Grenze zum Antisemitismus zu streifen, umschifft Fritsch geschickt, indem er die anderen Glaubensgruppen nicht minder trefflich durch den Kakao zieht. Zumal die beiden oberfrömmelnd dauerbetenden Nazarener sind ein kleiner Clou der gewitzten Figurenzeichnung. So weit, so von Fritsch erwartbar.

Regie hat nicht schlauer als das Stück zu sein, sondern einfach nur genauer als die Klischees, die wir mit dem Werk verbinden

Szene aus „Salome“ am Luzerner Theater
Szene aus „Salome“ am Luzerner Theater

Was der einstige Berliner Volksbühnen-Schauspieler sich im perfekten Zusammenspiel mit der kongenialen Kostümbildnerin Victoria Behr aber für das ungleiche Paar Salome und Jochanaan hat einfallen lassen, gleicht dann indes einer ganz genau auf die Musik und ihre psychologischen Enthüllungen lauschenden Lesart. So sehr die groteske Überzeichnung des Typentheaters zu Fritschens Markenzeichen geworden ist, so sehr weiß er mittlerweile, dass Regie nicht schlauer als das Stück zu sein hat, sondern einfach nur genauer als die Klischees, die wir mit dem Werk verbinden. Ist Salome wirklich die Femme fatale, wie sie im Buche der exotisch orientalisch duftenden Partitur zu stehen scheint? Nein, Fritsch bringt eine Kindfrau auf die Bühne – und zeigt uns deren schmerzliche Frauwerdung. Ein Kind in der ewigen Trotzphase ist diese Salome-Göre, die immer besser lernt, die Geilheit ihres Stiefvaters für die aufkommenden eigenen (sexuellen) Interessen zu nutzen.

Der Tanz der Sieben Schleier und das sexuelle Erwachen: Kind zeigt das Erlernte, die Eltern loben voller Entzücken

Vom Publikum erwarteter (doch angesichts stimmlich und figürlich sonst so gern schwergewichtiger Sängerinnen der Titelpartie ach so selten eingelöster) Höhepunkt ist in Luzern dann in der Tat der Tanz der Sieben Schleier. In der grandiosen Darstellung durch Heather Engebretson gleicht er jenem Vortanzen (Vorsingen oder Vortragen von Poetischem), wie es der hochbegabte Nachwuchs gerade jetzt zu Weihnachten vor der Familie zu absolvieren hat. Kind zeigt das Erlernte, die Eltern loben voller Entzücken, was die lieben Kleinen doch schon so alles können. Die drahtig kleine Kindfrau der Heather Engebretson gleicht hier einer Ballerina, die artig ihre Schritte gelernt hat und sich dennoch bereits beherzt zu emanzipieren versteht. Und sich selbst gerade in ihrer Sexualität entdeckt. Sie verdreht denn auch nicht nur Herodes, wie von ihm bestellt und per Eid bekräftigt, den Kopf. Auch der Kopf des Jochanaan ist zu sehen: Er steckt in der Mitte der spiegelglatten Bühne, die nur von zwei phallischen güldenen Thronen geschmückt wird, auf denen das Herrscherpaar als Beobachter Platz nimmt. Salome tanzt somit nicht nur für den geilen Herodes, sie geilt sich selbst in pubertärer Entdeckerinnenfreude am Kopf und Mund des Jochanaan auf, der sich in seinem für uns sichtbaren Gefängnis so gar nicht wehren kann. Erlebt die Kindfrau hier gerade ihren ersten Orgasmus? Auf jeden Fall ihr sexuelles Erwachen. Sie probiert sich aus, entwickelt weibliches Wollen und Verlangen und findet die perfekte Taktik, dieses auch durchzusetzen: Mithilfe ihres perversen Stiefvaters erprobt sie ihre eigenen ersten Perversionen. Sie will den Kopf des Jochanaan. Und kriegt ihn auch. Wer aber ist hier Opfer? Wer Täter? Simple Schuldzuweisungen kann es da nicht geben. In die aktualitätsheischende MeToo-Falle der klaren Trennungen in die Guten und die Bösen tappt Fritsch mitnichten.

Die Glaubensgewalt des Jochanaan hat so gar nichts balsamisch Christusnahes, sondern die extreme Emphase eines Eiferers

Szene aus „Salome“ am Luzerner Theater
Szene aus „Salome“ am Luzerner Theater

Wenn Jochanaan, der von der Gruppe der Juden beaufsichtigt wird, seinem Gefängnis entsteigt, ist er ein Mannsbild in saftiger Fleischlichkeit, wie im Sandalenfilm nur mit einem um die Hüften geschlungenen Tuch umhüllt. Jason Cox singt den Mann Gottes mit wuchtigem Heldenbariton und damit auch einer Glaubensgewalt, die so gar nichts balsamisch Christusnahes hat, sondern die extreme Emphase eines Eiferers verströmt. Feinfühlig beobachtet Herbert Fritsch dabei, dass die Geschichte von Salome und Jochanaan auch anders hätte ausgehen könnte. Fast kommt es da zum parsifalesken Kuss zwischen den beiden, als der dann aber eben doch prinzipientreue Täufer die Tochter der Herodias pflichtgemäß verflucht.

Ein zweiter Besuch am Vierwaldstätter See ist nun eigentlich ein Muss

Premierenpech ereilt die in ihrer Mimik und Gestik, ihrem Werden zur Frau so extrem und exemplarisch agierende Heather Engebretson, die für das Verständnis der Titelpartie einen echten Paradigmenwechel einleitet. Sie kann die Partie in der Premiere krankheitsbedingt nur spielen, Sera Gösch singt für sie vom Bühnenrand – mit glühenden Höhen und einem jugendlichen Timbre, das die Kindfrau-Deutung dezidiert stützt. Fraglos ist die Besetzung der Titelpartie am Luzerner Theater der Schlüssel zur Deutung durch Herbert Fritsch, der gemeinsam mit Heather Engebretson also ein ganz neues Kapitel in der Interpretation des Stücks aufschlägt. Ein zweiter Besuch am Vierwaldstätter See ist nun eigentlich ein Muss, um diese grandiose Salome in Personalunion als Sängerin und Darstellerin zu erleben: Gute Besserung, Heather Engebretson!

Luzerner Theater
Strauss: Salome

Clemens Heil (Leitung), Herbert Fritsch (Regie & Bühne), Victoria Behr (Kostüme), Hubert Wild, Solenn› Lavanant-Linke, Heather Engebretson / Sera Gösch, Jason Cox, Robert Maszl, Sarah Alexandra Hudarew, Luzerner Sinfonieorchester

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