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Reportage: Klavierfestival Le Piano Symphonique in Luzern

Pianistische Langdistanz

Beim Klavierfestival Le Piano Symphonique in Luzern dauern die Konzerte gern mal drei Stunden und länger, um die Weiten des Klavierkosmos zu erkunden.

vonJan-Hendrik Maier,

Luzern leuchtet an diesem Winterabend in allen Farben. Sogar der Mond ist klar und detailreich vom Ufer des Vierwaldstättersees aus zu sehen. Mit einem seltenen Naturschauspiel hat all das an diesem wolkenbedeckten, dunstigen Tag freilich nichts gemein. Der sieben Meter lange „Himmelskörper“, der unter dem Dach des Kultur- und Kongresszentrums (KKL) hängt, gehört zur Installation „The Museum of the Moon“ des Briten Luke Jerram und ist Teil des „Lilu Lichtfestival“. Ein Hauch von Magie mag manchen Besucher des Festivals „Le Piano Symphonique“ noch vor dem Konzert erfüllen. Auf der Bühne des KKL wird sich jedenfalls musikalischer Zauber auf achtundachtzig Tasten entfalten.

Seit 2022 veranstaltet das im KKL beheimatete Luzerner Sinfonieorchester das neue Festival. Die programmatische Vielfalt vereint wie selbstverständlich den großen Kanon mit selten live gehörten Werken und einem wohl dosierten Maß an Uraufführungen. In diesem Jahr reichte das künstlerische Personal von Koryphäen des Fachs wie Elisabeth Leonskaja, Jean-Yves Thibaudet und Martha Argerich über die jüngere Generation mit Benjamin Grosvenor und Kit Armstrong hin zu gerade aufgehenden Sternen am Klavierhimmel wie dem zwanzigjährigen Yoav Levanon. Ein Line-Up, das den Puls von Klaviermusik-Enthusiasten vor Freude ansteigen lässt und zugleich hohe Erwartungen weckt: Das Weltklasse-Niveau der Künstler sollte sechs Tage lang nicht enttäuschen.

Eine kulturelle Lücke wird geschlossen

Das gemeinsame Erleben von Klaviermusik ist in der Tradition der zentralschweizerischen 80.000-Einwohner-Stadt fest verankert. Zahlreich sind die Berührungspunkte mit Komponisten, Größen ihrer Zeit haben hier Meisterkurse gehalten, und mit der Jahrtausendwende hatte sich unter dem Dach des Lucerne Festivals eine prominent besetzte Klavierreihe etabliert. Als diese 2019 eingestellt wurde, klaffte eine Lücke auf, die rasch geschlossen werden sollte. Der Verwaltungsrat des KKL Luzern initiierte einen Ideenwett­bewerb, und der klavieraffine Intendant des Luzerner Sinfonieorchesters, Numa Bischof Ullmann, der in den vergangenen Jahren ohnehin die Zusammenarbeit des Ensembles mit den Tastensolisten gestärkt hatte, griff zu: „Wir hatten entschieden, ein Konzept zu entwickeln, sofern das Lucerne Festival seinerseits nicht mitmacht.“ Die Verantwortlichen im KKL waren überzeugt. Noch im November 2021 folgte ein Probelauf, wenige Wochen später bestand „Le Piano Symphonique“ seine Feuertaufe. Die jüngsten Besucherzahlen bestätigen Bischof Ullmanns Einschätzung, dass das „aus Leidenschaft geborene“ Festival auf große Nachfrage bauen kann: Fast zehntausend Besucherinnen und Besucher strömten 2024 in das Dutzend Konzerte, die Auslastung lag bei knapp neunzig Prozent.

Durch Liszts Musik verbunden: Pianist Yoav Levanon und Dirigent Michael Sanderling
Durch Liszts Musik verbunden: Pianist Yoav Levanon und Dirigent Michael Sanderling

„Wir machen ein Angebot, sich in extremer Weise mit Repertoire auseinanderzusetzen, und das in einer Verdichtung, die Sie sonst nirgends finden und mit Künstlern, die etwas zu sagen haben“, beschreibt Festivalleiter Bischof Ullmann den eigenen Anspruch. Am deutlichsten wird das beim Blick auf die zugrundeliegende Dramaturgie. So sind die Abende im KKL wie in der Oper in Akte aufgeteilt. Die Veranstaltung kann drei Stunden oder länger dauern. Am Anfang steht zum Beispiel ein klassisches Klavierkonzert inklusive Zugabe des Solisten, nach der Pause folgt ein gesamter Liederzyklus, bevor die Veranstaltung in einem reinen Klavierrecital kulminiert. Programmgestaltung wie zur Blüte der Romantik. Das ist äußerst reizvoll, vorausgesetzt, man kann und will so viel Musik in kürzester Zeit verarbeiten. Das Festival stößt bewusst an die Grenzen des Aufnehmbaren. „Ich bin aber niemanden böse, der nach einem Akt geht. Das müssen wir respektieren.“ Doch das blieb die Ausnahme, die Reihen waren auch zu vorangeschrittener Stunde gut gefüllt.

Unterirdische Wurzeln, überirdische Vernetzung

„Le Piano Symphonique“ lebt von einer weit gefassten Ausdeutung seines Namens. Das Klavier kommt in vielerlei Dimensionen zur Geltung, vom Soloinstrument über die Kammermusik hin zum Konzert mit Orchester. Man legt sich weder Tabus noch Pflichtübungen im Repertoire auf und blickt mit der Einbindung weiterer Tasteninstrumente über den Tellerrand. 2023 spielte Cembalist Jean Rondeau im Schwimm­becken des Luzerner Neubads, in diesem Jahr entfachte Kit Armstrong die Klangwelten von Liszts „Ad nos, ad salutarem undam“-Fantasie an der Orgel. „Ich sehe uns als eine Wiese mit unterirdischen Wurzeln und oberirdischer Vernetzung“, resümiert Bischof Ullmann.

Für zusätzliche Strahlkraft sorgt seit dieser Ausgabe außerdem der Gewinn von Martha Argerich als „Pianiste associée“, als dem Festival in besonderer Weise verbundene Pianistin. 2024 war sie in vier Konzerten zu erleben, unter anderem gab sie einen ihrer seltenen Soloauftritte. Im Abschlusskonzert holte sie ihre beiden Enkel für Rachmaninows sechshändige Romanze auf die Bühne. Ein Moment, der im Saal Freudentränen auslöste. Im kommenden Jahr sind fünf Konzerte mit ihr angekündigt, darunter Saint-Saëns’ „Karneval der Tiere“ mit Tochter Annie Dutoit. Dass es dem Luzerner Sinfonieorchester gelungen ist, die Jahrhundertpianistin für eine zeit- und inhaltsoffene Partnerschaft zu gewinnen, kann als Coup gewertet werden: „Le Piano Symphonique“ ist damit eines von nur zwei Festivals in Europa, denen Argerich auf diese Weise verbunden ist.

Stimmungsvolle Lichtkunst: „The Museum of the Moon“ am KKL Luzern
Stimmungsvolle Lichtkunst: „The Museum of the Moon“ am KKL Luzern

Auch dem pianistischen Nachwuchs möchte man in Luzern prominenten Raum geben. Die ganz große Bühne erhielt Yoav Levanon, der neben Liszts „Totentanz“ ein von Marc-André Hamelin für ihn komponiertes Bravourstück aus der Taufe hob. In geschützter Atmosphäre feierte indes vor einem kleinen Zuschauerkreis die erst fünfzehnjährige Französin Arielle Beck ihr Debüt mit einem romantischen Programm. Und 140 Klavierschüler der städtischen Musikschule konnten in einem eigenen Konzert, für das zwanzig Klaviere angeliefert wurden, Festivalluft schnuppern.

Schwerpunkt Schostakowitsch

Nach Brahms, Schumann, Schubert und Liszt rückt man 2025 Dmitri Schostakowitsch in dessen fünfzigstem Todesjahr in den Fokus. Anders als die vorangegangenen Schwerpunkte geht dieser thematische Überbau auf die Initiative von Evgeny Kissin zurück. Als künstlerische Partner haben sich bereits Gidon Kremer, Chen Reiss, Gautier Capuçon und Giedrė Dirvanauskaitė angekündigt.

Und dann wäre da noch der Mann im Mond gewesen. Zumindest in Form von Jean-Yves Thibaudet, der im Anschluss an seinen Marathon durch Claude Debussys „Préludes“ als exklusive Zugabe dessen „Clair de Lune“ mittels Live-Projektion auf den Mond unter dem Dach des KKL brachte.

concerti-Tipp:

Klavierfestival Le Piano Symphonique in Luzern

Anreise

Luzern ist optimal ans Schweizer Schienennetz angebunden, halbstündliche Verbindungen existieren u. a. nach Olten, Zürich und Basel. Der Zürcher Flug­hafen Kloten ist rund eine Stunde Fahrzeit entfernt.

Hotel-Tipps

Komfortables Vier-Sterne-Hotel in unmittelbarer Nähe des Kulturzentrums:

Continental Park Luzern
Murbacherstraße 4
CH-6003 Luzern
www.continental.ch

Uriges Boutique-Hotel in unmittelbarer Nähe zu Altstadt, Hofkirche und See:

Hotel Hofgarten Luzern
Stadthofstraße 14
CH-6006 Luzern
www.hofgarten.ch

Extra-Tipp

Zahlreiche Komponisten wirkten in Luzern, Richard Wagner und Sergej Rachmaninow haben dabei auch architektonisch ihre Spuren hinterlassen: Erstgenannter lebte in einem Herrenhaus auf der fußläufig gut erreichbaren Landzunge Tribschen, Letzterer ließ sich die Villa Senar (Foto) im Stil des Neuen Bauens im benachbarten Hertenstein errichten.

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