R. Strauss: Salome

© Inga Mendelsöhn

Illustration zu "Salome"

op. 54 (UA Dresden 1905)

Aus der Tiefe ein leiser, bitonal schräger Klarinettenlauf zum rhythmisch zuckenden, durch dissonante falsche Nebennoten verschlagenen Salome-Thema, darüber ein gedämpfter gefährlicher cis-Moll-Trompetenakkord, von dem ein Tremolo flimmernd aufsteigt, dann ein zweiter, modal gleitender Lauf hinauf in den sinnlichen Klangbereich der Klarinette, darunter ein duftiger Cis-Dur-Streicherakkord, durch Beimischung von Celesta funkelnd, und von Harmonium mystisch, durch an- und abschwellenden Celloseufzer lasziv – der nächtliche Palast des König Herodes wird im weißen Mondlicht sichtbar, und Narraboth, ein jugendlich-jugendstiliger Offizier, singt mit verdrehtem Hals und schmachtenden Augen: Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!

Kürzer und plastischer kann eine Einleitung nicht sein – nach fünf Sekunden befinden wir uns zweitausend Kilometer und zweitausend Jahre weit weg … Schon die erste Partiturseite zeigt den versierten Klangmagier Strauss am Werk. Die Komposition verfolgt ihren Weg und nimmt dabei alles an Anregungen mit, was am Wege liegt: die schwüle Atmosphäre, die Bildorgien aus Oscar Wildes Dichtung, die Charaktere, Gedanken und Lüste der Akteure. Narraboth vergleicht Salomes Füße mit weißen Tauben – die Holzbläser gurren; Salome tritt erregt herein – eine Pizzicato-Kette trippelt unter ihrer schweifenden Melodie …

Salome hat das Bankett verlassen, weil Herodes (ihr Stiefvater) sie mit seinen Maulwurfsaugen immer anstarrt, und weil die ungeschlachten Römer und die unentwegt über ihre Religion streitenden Juden sie langweilen. Draußen hört sie aus der Zisterne die Stimme des eingekerkerten Propheten Jochanaan: Nach mir wird einer kommen, der ist stärker als ich. Sie verlangt ihn zu sehen. Narraboth kann sich diesem Verlangen nicht lange widersetzen. Als sie die asketische Gestalt des Propheten (wie bleich und abgezehrt er ist) erblickt, möchte sie ihn berühren und seinen Mund küssen. Jochanaan verflucht sie und steigt wieder in die Zisterne. Salome brütet erregt einen furchtbaren Plan aus. Herodes erscheint und bittet sie: … wenn du für mich tanzest, kannst du von mir begehren, was du willst … Salome tanzt den Tanz der sieben Schleier. Als Belohnung verlangt sie auf einer Silberschüssel den Kopf des Jochanaan. Herodes versucht verzweifelt, sie umzustimmen – vergeblich. Der Henker steigt in die Zisterne. Salome lauscht in wilder Lust auf ein Geräusch … Der Kopf erscheint, Salome küsst ihn leidenschaftlich … man töte dieses Weib! befiehlt Herodes.

Salome war Strauss’ erster Welterfolg auf der Opernbühne. Die kompositorische Palette reicht von sinnlichem Wohllaut bis zu scheußlicher Kakofonie, von lyrischem Arioso bis zu hysterischem Kreischen. Fantastisch: die beiden Zwischenspiele (Jochanaans Auftritt aus- und sein Abgang in die Zisterne) sowie Salomes Tanz.

Ein Striptease auf der Opernbühne! Zur ersten Klavierprobe mit Strauss erschien das Ensemble der Dresdner Staatsoper, um ihm die Verweigerung des Studiums mitzuteilen. Nur der Tenor Karl Burian (Herodes) sagte, er könne seine Partie schon auswendig, und beschämte so alle Anwesenden. Kaiser Wilhelm II. war empört:Damit wird der Strauss sich schaden!“ Aber Strauss konnte sich von diesem Schaden seine Villa in Garmisch kaufen.

Seine eigene Einschätzung der Salome lautete: „Die auftretenden Leute sind alle pervers, und – nach meinem Geschmack – der perverseste ist – der Jochanaan.“

(Mathias Husmann)

Opern-Kritik: Staatsoper Unter den Linden – Salome

Aseptischer Strauss-Rausch

(Berlin, 4.3.2018) Altmeister Hans Neuenfels distanziert sich mit präziser Regie… weiter