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Carolin Widmann im Interview

„Das zeigt, dass man mir das zutraut“

Die Geigerin Carolin Widmann über außergewöhnliches Repertoire, musikalisches Neuland und ihre Begegnungen mit Mendelssohn und Schumann

vonBurkhard Schäfer,

Kammermusikerin, Solistin und Violinprofessorin an der Leipziger Musikhochschule: Deutet sich allein schon an Carolin Widmanns drei Beruf(ung)en ihre Vielseitigkeit an, offenbart diese sich erst recht angesichts des bemerkenswert breiten Repertoires der Violinistin.

Frau Widmann, vom Schumann-Violinkonzert gibt es nur wenige Aufnahmen – und gar keine in der Kombination mit dem von Mendelssohn. Was hat Sie zu dieser Pioniertat bewogen?

Carolin Widmann: Aus ganz verschiedenen Gründen wollte ich die beiden Werke unbedingt in dieser Kombination zusammenbringen. Zum einen lebe ich seit ein paar Jahren in Leipzig, wo sowohl Mendelssohn als auch Schumann sehr glückliche Jahre verbracht haben. Überall, wo ich in der Stadt entlanglaufe, begegnen mir die zwei (lacht). Zum anderen fand ich spannend, dass beide ihre Violinkonzerte in enger zeitlicher Nähe geschrieben haben und dabei doch grundverschiedene Romantiker geblieben sind. Ich wollte zeigen, wie verschieden man in dieser Zeit komponieren konnte, obwohl man geografisch und von der Zeit her ganz nah beieinander war.

Wie haben Sie diese zwei Konzerte in einen Dialog miteinander treten lassen?

Widmann: Es war für mich entscheidend, mit der größtmöglichen Freiheit an das Projekt heranzugehen. Deshalb bin ich auch sofort auf die Idee gekommen, es ohne Dirigenten zu probieren, um diese wirklich große Kammermusik zu feiern. Im Schumann-Konzert gibt es ganz viele musikalische Sackgassen, aus denen er erst nach einer Stille oder einem Schweigen wieder einen Weg herausfindet. Bei Mendelssohn ist es im Duktus natürlich wesentlich mehr nach vorne getrieben und drängender. Aber von dem romantischen Gedanken dieses Freien und Schwärmerischen her habe ich bei beiden viele Parallelen gefunden.

Die Meinungen über Schumanns Violinkonzert gehen weit auseinander. Schon Joseph Joachim hielt es für missglückt, diese Ansicht hielt sich hartnäckig. Was fasziniert Sie an dem Werk?

Widmann: Schumanns Violinkonzert ist kein Konzert, das einen von vornherein begeistert. Es ist ein echtes Spätwerk, er hat es drei Jahre vor seinem Tod geschrieben. Aus ganzem Herzen kann ich sagen: Ich habe nicht nur den Zugang dazu gefunden, ich liebe dieses Konzert einfach unglaublich. Ich denke, wenn man von dieser Musik enttäuscht ist, dann liegt das an der Erwartungshaltung, die einem suggeriert, dass alle romantischen Violinkonzerte brillant, strahlend und virtuos sind. Genau das trifft hier nicht zu. Wolfgang Rihm hat sich auch immer gegen Behauptungen gewehrt, dass dieses Stück so sperrig wäre. Dabei ist es nur das erste Violinkonzert für tiefe Geige – das ganze Register ist schon mal tiefer. Aber dies birgt natürlich auch unglaubliche Chancen. Ich habe zum Beispiel beim zweiten Satz immer das Gefühl, dass er als Musik komponiert wurde, die nicht notwendigerweise Zuhörer braucht. Dies musste Schumann nur für sich allein schreiben, um sich in dieser Zeit für ein paar Momente Trost zu geben. Für mich haben die Klänge den Zauber einer inneren Musik, gleich einer innere Stimme.

Carolin Widmann
Carolin Widmann © Lennard Rühle

Welche Reaktionen vom Publikum erhalten Sie, wenn Sie den Schumann auf der Bühne spielen?

Widmann: Oft passiert es dann doch – besonders wenn ich das Stück zusammen mit dem Mendelssohn aufführe –, dass im ersten Moment der Mendelssohn als das bessere Stück aufgefasst wird. Aber ich habe auch Leute erlebt, die sich dem Schumann-Konzert ganz geöffnet haben und die davon begeistert, besser gesagt: berührt – waren, was diese Musik noch aussagen kann – mit eigentlich fast gar nichts mehr. Gerade dieses Verschwinden ist ja ein Thema, das sich durch alle drei Sätze durchzieht. Ja, man kann es als Anti-Dasein bezeichnen und das versuche ich ganz gezielt in den Mittelpunkt zu stellen, dass da nichts mehr übrig bleibt außer Oboe und Solo-Geige. Das ist so einzigartig, so großartig, wenn man sich darauf einlässt, wirklich zuhört und bereit ist, diese Qual auszuhalten, dass da mitten im ersten Satz nichts mehr ist, dann kann die Poesie den Zuhörer berühren.

Sie sind vor allem auch als Interpretin zeitgenössischer Musik bekannt. Inwiefern hat das auch Einfluss auf Ihr Spiel des kanonischen Repertoires?

Widmann: Was ich in der modernen Musik für all meine Interpretationen gelernt habe, ist, dass ich hier keine Referenz habe, dass ich gezwungen bin, Neuland zu betreten. Ich muss den Notentext oft zum allerersten Mal in Musik übersetzen und damit bei null anfangen. Ich kann mich auf nichts stützen. Diese Herangehensweise habe ich mir für mein Spiel bekannterer und älterer Werke bewahrt. Deshalb versuche ich wirklich, alles auszulöschen, was ich weiß. Das klappt erstaunlich gut, und so studiere ich die Werke am besten im Urtext und nähere mich ihnen wie unbekannten zeitgenössischen Kompositionen, die es zu entdecken gilt. Nur auf diese Art und Weise setzt man sich mit den Werken wirklich auseinander. Es ist das Geheimnis, die Musik so zu spielen und zu hören, als spielte und hörte man sie zum ersten Mal. Das ist der höchste Anspruch, den man an die Musik stellen kann.

Wie fiel bei Ihnen die Entscheidung, sich für die Musik unserer Zeit stark zu machen?

Widmann: Auch wenn es von außen so aussieht, als hätte ich eine Entscheidung getroffen: Man kann das gar nicht planen, vor allem nicht, wenn man noch jung ist und die sogenannte Karriere noch vor einem liegt. Es hat sich bei mir einfach so ergeben, auch deshalb, weil mein Bruder Jörg Komponist ist. Ein Schlüsselmoment war, als ich 2003 als Interpretin zu den „Wittener Tagen für neue Kammermusik“ eingeladen wurde, um Stücke meines Bruders zu spielen. Da mein Spiel beim Publikum und den Kritikern gut ankam, also auch entsprechend positiv darüber berichtet wurde, kam quasi über Nacht der Eindruck zustande, dass in dieser Art von Musik mein Spezialgebiet liegt. Ich selber habe das nie so empfunden, es war für mich ein Gebiet von vielen. Aber natürlich freut es mich, dass man den Namen Carolin Widmann mit Musik unserer Zeit in Verbindung bringt, das zeigt, dass man mir das ganz offensichtlich zutraut (lacht).

Carolin Widmann
Carolin Widmann © Lennard Rühle

Haben Sie sich denn auch schon in Ihrer Ausbildung zur Geigerin für Komponisten unserer Zeit interessiert?

Widmann: In einer klassischen Geiger-Ausbildung, wie ich sie genossen habe, spielt die moderne Musik gar keine so große Rolle. Schon damals, als beim „Jugend musiziert“-Wettbewerb ein Stück aus der Zeit nach 1950 von den Juroren verlangt wurde, war es mir wichtig, nicht etwas von Harald Genzmer zu spielen, was viele meiner Mitstreiter getan haben, um das leidige Thema los zu sein. Ich weiß noch, dass ich mit 13 Jahren schon Stücke von meinem Bruder gespielt habe. Wenn ich heute Recital-Konzerte spiele, nehme ich immer mindestens auch ein modernes Werk mit ins Programm hinein, das habe ich früher schon so gemacht – und da war ich die Einzige weit und breit, die sich das getraut hat (lacht).

Wie bereiten Sie sich auf Ihre Auftritte vor?

Widmann: Wenn ich ein modernes Stück, eine Uraufführung vor mir habe, übe ich parallel dazu immer die Paganini-Capricen, um die geigerische Fitness zu behalten. Und wenn ich ein Recital-Konzert mit Werken von Bach, Bartók und Bernd Alois Zimmermann mache, dann spiele ich für mich selbst immer auch Stücke aus der Zeit der Klassik oder Romantik. Auch die Barock-Geige spiele ich zwei Mal pro Woche, weil mich das inspiriert und ich so flexibel bleibe. Es ist bei mir nicht anders als bei Athleten, die immer trainieren müssen, um fit zu bleiben.

Inwiefern hat die moderne Musik ein neues oder anderes Traditionsbewusstsein geschaffen, vor allem im Hinblick auf Donaueschingen und Darmstadt?

Widmann: Letztes Jahr war ich zum ersten Mal in Darmstadt und war überrascht zu sehen, dass dort auch Musikströmungen von modernen Komponisten vertreten wurden, die nun wirklich gar nichts mehr mit der abendländischen Kultur der klassischen Musik zu tun haben. Ich finde das völlig in Ordnung denn wir leben gerade in einer Zeit, in der alles geht. Nach dem Krieg musste man atonal schreiben, um überhaupt aufgeführt zu werden. Heute gibt es kein Dogma mehr – das ist einerseits eine Chance für die Komponisten, andererseits haben sie es dadurch heute unendlich viel schwerer, ihren eigenen Weg zu finden.

Carolin Widmann über ihr aktuelles Album:

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Carolin Widmann (Violine)
Chamber Orchestra of Europe
ECM

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