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Porträt Marlis Petersen

Die Wandelbare

Kaum jemand verkörpert abgründige Figuren so überzeugend wie Marlis Petersen. Sie darauf zu reduzieren würde jedoch ihrer Kunst keineswegs gerecht.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Wenn man Marlis Petersen nach den Fotos und Texten im Booklet ihrer jüngsten CD „Anderswelt“ beurteilen müsste, dann stünde das (Vor-)Urteil fest: Da taucht die 1968 geborene Sängerin als lilahaar­gesträhnte Nixe aus einem moosbewachsenen Waldboden auf, bedeckt ihr Gesicht mit Schlamm, steht im Nachthemd am Strand, mal im Gegenlicht fotografiert, dann wieder von der Sonne angestrahlt. Dazu Phrasen wie: „Das eigene Sein in der Welt in allen Facetten mit offenen Augen zu sehen, die Anderswelt zu entdecken …“ Wir haben verstanden: eine Frau, völlig eins mit der Natur, den Geheimnissen der Schöpfung auf der Spur. Ein bisschen peinlich und albern, in jedem Fall Esoterik-Kitsch für die Frauenzeitschrift-Klientel.

Marlis Petersen: Liebe zum Abenteuer

Sobald man Marlis Petersens Gesang dann aber hört, ist man begeistert. Denn die „Marlis Frau“, wie sie sich mitunter in Interviews bezeichnet, ist in jedem Fall eine fantastische, vielfach preisgekrönte Sängerin. Quellklar ihr Sopran, nuanciert ihr Gesang, was auch an ihrer präzisen Artikulation und Wortverständlichkeit liegt, die selten bei den Kollegen geworden ist. Intuitiv erfasst sie jeden Stil, sei es als Alban Bergs Femme fatale Lulu oder als verrückte Ophelia in Richard Strauss’ kurzem Liederzyklus op. 67. Mal war sie die Traviata, mal die Königin der Nacht. Sie glänzte als Henzes Phaedra und als Medea, die ihr Aribert Reimann auf dem Leib schrieb. Ihr Repertoire zeigt, was sich bereits in ihren wechselnden Haarfarben und ihrem Leben zwischen Wien und dem Oliven­hain auf der Peloponnes andeutet: Die passionierte Motorradfahrerin liebt das Abenteuer.

Marlis Petersen
Marlis Petersen

Vielleicht sehnt man sich besonders nach einem solchen, wenn man in der Sicherheit der schwäbischen Provinz im beschaulichen Tuttlingen aufwächst. Der Vater hatte „eine schöne Stimme und auf der Gitarre geklampft“, erzählt sie. Die Mutter wiederum „einige klassische Platten“ im Schrank. Doch die Liebe der Eltern galt eher der Volksmusik. Als junges Mädchen habe sie Kirchenmusik „berührt“, sie trat sogar in einen Kirchenchor ein. Richtigen Spaß aber hatte sie als Sängerin am Keyboard in einer Band. „Wir coverten die damaligen Hits von Whitney Houston bis Pink Floyd. Die Nächte waren lang, die Tage kurz“. Anfang der Neunzigerjahre sang sie in Hamburg sogar für die Grizabella in „Cats“ vor. Und als wollte sie es beweisen, stimmt sie – mitten im Interview – Whitney Houstons „I Wanna Dance with Somebody“ an. Den Cats-Song „Memory“ singe sie noch heute, vorwiegend auf Kreuzfahrtschiffen, auf deren Bühnen sie all das ausleben kann, „was ich im Klassikbereich nicht machen kann“.

„Es reicht!“, sagte der Kosmos

Dort aber – auf den Bühnen der Welt – übernahm sie oft die schwierigen Partien. Fast zwei Jahrzehnte lang faszinierte sie als Lulu, „eine Rolle, die man besetzt und von der man besessen wird“. Bis zu jenem Tag, als „der Kosmos“ ihr sagte: „Es reicht!“ Vielleicht aber war es auch die blutige Nase, die sie sich 2015 in der „Lulu“–Inszenierung von Dmitri Tscherniakov an der Bayerischen Staatsoper holte: Im zweiten Akt war sie gegen eine Wand des Glas-Labyrinths geprallt. Mit gereichtem Taschentuch und Blutspritzern auf dem weißen Kleid zog sie professionell die Vorstellung durch und bewies ihre wahre Bühnennatur.

Derzeit steht sie wieder unter Kirill Petrenko auf der Bühne der Bayerischen Staatsoper – als Salome. Eine mörderische Partie in jederlei Hinsicht, unter „lauter perversen Leuten“, wie Richard Strauss das Personal seiner gleichnamigen Oper bezeichnete. Denbkar weit weg also von ihrer aktuellen CD. Und von „Cats“.

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