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Opern-Kritik: BÜHNEN HALLE – ADRIANA LECOUVREUR

Schmachten, jauchzen, genießen

(Halle, 30.1.2016) Offene Dekolletés, wunde Herzen – Francesco Cileas Primadonnenoper gerät szenisch zahm

vonRoland H. Dippel,

Der Wiener „Opernführer“ Marcel Prawy erklärte dereinst, im Vergleich zu Adriana Lecouvreur sei das Verständnis der kruden Handlung von Verdis Troubadour leicht. Francesco Cilea (1866 – 1950) komponierte nach dem gleichnamigen Sensationsstück von Eugène Scribe ein seit 1902 geschätztes Melodramma: Geschätzt als Rennbahn für die besten Rosse im Stall des Opernbusiness, damit sie mal so richtig losgaloppieren in der Vokalarena und sportiv einander übertrumpfen können. Detailkenntnisse der Handlung von Adriana Lecouvreur sind im prickelnden Cocktail des spätfeudalen Prominenten- und Adels-Voyeurismus eher unnötig. Sie gehen im dramatischen und stellenweise grotesken Gebalze und Wehklagen unter.

Fetzig auskomponiert hatte das Cilea mit vielen streicherverdoppelten Kantilenen, Fortissimo-Attacken und elegant auffrisierten Ariosi. Trotz des Todes der Titelheldin am Aroma eines vergifteten Veilchensträußchens ist das Bühnengeschehen im Auditorium Anlass zum Schmachten, Jauchzen, Genießen. Auch das Hallenser Premierenpublikum und viele Angereiste zeigten sich begeistert und applausfreudig.

Erfolgssicheres Melodramma

Adriana Lecouvreur macht Eindruck beim Publikum, weil das Timing von Partitur und Dramaturgie gut sitzt. Sollte sich die Spielleitung vor dem abendfüllenden Hin-und-Her des Emporkömmlings Maurizio von Sachsen zwischen Adriana, dem Star der Comédie-française, und der gefährlichen Fürstin von Bouillon etwas zieren, kann man sich noch immer am hochtourigen Ausagieren der Solisten erfreuen. Wichtig vor allem: Hat man die Besetzung – oder nicht? Am Opernhaus Halle hat man sie.

Erstaunliche Besetzung

An ihrer Spitze: Romelia Lichtenstein, die hier nahezu alles von Händel über Lucrezia Borgia bis zum Vampyr und Pique Dame gesungen hat – immer exzellent und ausdrucksstark. Auch spielen kann sie, doch warum sollte sie nicht in dieser Premiere? Sie darf zum ersten Auftritt beim Text-Repetieren im berühmten Entrée „Io son l’umile ancella“ mit dem attraktiven Fürsten von Bouillon (Ki-Hyun Park) und dem Abbe von Chazeuil (Ralph Ertel) kokettieren wie die Operetten-Mätresse „Madame Pompadour“, später mit Standardgesten leiden-leiden-leiden. Die hörbaren Qualitäten dieser beiden Herren kommen leider nur weit unter deren szenischem Potenzial zum Einsatz.

Romelia Lichtenstein hat – einer Beinverletzung am Ende des ersten Teils trotzend – im letzten Akt wunderschöne Piano-Töne für „Poveri fiori“, während die Racheattacke des gesprochenen Phädra-Monologs, der sonst zentrale Showdown, verpufft. Das liegt daran, dass die erste Hälfte der Ballettszene gestrichen wurde. Der Konversationskrieg Adrianas und der Fürstin von Bouillon, der sich bis zum Stutenbeißen mit Fortissimo-Ensemble hochputscht – verschenkt! Zum verbliebenen Rest garniert ein Paar aus dem hauseigenen Ballett von Ralf Rossa mit Spitzen-Figuren den Zeitsalat, der Chor dazu in Gruppe.

Szenisches Irgendwie zwischen Spätbarock und 1920

Offenbar will Ausstatter Christian Floeren mit Barock-Versatzstücken zeigen, dass das ein Film über die Comédie-française werden soll. Die Projektionen des Zuschauerraums neutralisieren die Wirkungen der farbüppigen Kostüme, für die man sich offenbar an einem Fernsehfundus der Wirtschaftswunderjahre inspirierte. Das immer zu Scherzen aufgelegte Quartett von Adrianas Kollegen darf sich für keinen Kalauer zu schade zeigen. Dieses Theatervolk spielt in den 1920ern Rokoko. Kwang-Keun Lee wertet den oft unterschätzten Bariton-Part von Adrianas heimlichen Verehrer und künstlerischem Vertrauten Michonnet auf, bleibt beim Dauer-Schmachten immer viril und pointiert. Dazwischen erscheint in schicksalsschwangeren Momenten der Tod, der die in den feschen Maurizio von Sachsen und noch mehr in ihre eigene Bühnenkunst verliebte Adriana holt.

Ihre Rivalin im Silberhaar, die vor Maurizio ihre machtvolle Büste wogen lässt und zugleich des Abbes Liebesdienste kokett ködert, zieht vokal in den beiden von ihr dominierten Mittelakten alle Register. Svitlana Slyvia stattet die hier nur frustriert-böse Fürstin von Bouillon mit durchgängig effektvollem Dauerforte aus.

Es bleibt ein Rätsel, warum die Sänger bei guter Staffelung der Orchestergruppen ohne Überschall häufig viel lauter intonieren als nötig. Gerade Cileas Partitur lässt Differenzierungen zu und würde durch diese gewinnen. Josep Caballé-Domenech machte das vor der Pause vor, während – seltener Fall – danach die instrumentale Balance seltsam vergröberte. Bruno Ribeiro muss deshalb in der oberen Mittellage Dauer-Gas geben, obwohl sich sein Material im Mezzopiano so schön entfalten könnte. Sein Maurizio von Sachsen ist ein grundsympathischer Bursche mit derart lauterer Ausstrahlung, dass ihm die Fürstin mit wütender Gier an die Wäsche gehen kann.

Wenig prickelnd

Ulrich Peters, Generalintendant des Theater Münsters, setzt sich immer gründlich mit historischen und fiktionalen Fakten der von ihm inszenierten Werke auseinander. Doch diese Zwei-Stunden-Oper über eine aberwitzige Nacht und einen umso trüberen Todesmorgen lebt vor allem durch die in Bann schlagende Darstellung von Flirt, Anmache, Werben, Begehren, Eifersucht und Frustration à la Gefährliche Liebschaften und Manon Lescaut.

Und egal, ob der Fürst sich an den Schauspielerinnen vergreift oder die Fürstin in Torschlusspanik an Maurizio herumfingert – in allen Momenten von Leidenschaft und aggressiver Häme bleibt die Inszenierung arglos und zahm. Man sieht diesmal nur wenige ehrliche Ansätze in dieser lyrischen Monstrosität. Cilea selbst wusste um 1900 wahrscheinlich besser, warum seine in das Spätbarock projizierten Fantasien von Gewalt und degenerierter Überzivilisation eine Erfolgsgarantie waren.

Bühnen Halle

Cilea: Adriana Lecouvreur

Josep Caballé-Domenech (Leitung), Ulrich Peters (Regie), Christian Floeren (Bühne und Kostüme), Ralf Rossa (Choreografie),Jens Petereit (Chöre), Romelia Lichtenstein, Bruno Ribeiro, Ki-Hyun Park, Svitlana Slyvia, Kwang-Keun Lee, Ralph Ertel, Linda van Coppenhagen, Olivia Saragosa, Robert Sellier, Rainer Stoß, Ballett Rossa: Andriy Holubovsky, Olga Shalaevskaya, Chor und Statisterie der Oper Halle, Staatskapelle Halle

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