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Opern-Kritik: Theater Erfurt – Die Zauberflöte

Genauigkeit ohne Geheimniskrämerei

(Erfurt, 30.9.2017) Mozarts Märchenoper wird dank Dirigentin Joana Mallwitz und Regisseurin Sandra Leupold zum Triumph

vonRoland H. Dippel,

Beim Heranschweben der gealterten Knaben-Genien stehen sie fast alle auf der Bühne: Die Darsteller beobachten den Beginn der Befreiungsaktion des asiatischen Prinzen Tamino. Dieser Abgesandte der hier wenig sternflammenden Königin der Nacht liefert sich den Prüfungsritualen im Reich Sarastros aus. Das geht hier alle an, auf der Bühne und davor!

Dem Theater Erfurt gelingt ein echter Triumph. Ganz ohne klassizistische Tempel und den ägyptischen Modeschnickschnack aus den berühmten Schinkel-Dekorationen verdeutlicht das Frauen-Produktionsteam in der neuen „Zauberflöte“, deren Originaltextbuch bereits Goethe im nahen Weimar umgangen hatte, nicht nur die Bruchstellen der Sarastro-Welt, sondern auch die inhaltlichen Fragezeichen. Die Premiere am Jahrestag der Uraufführung, dem 30. September 1791, von Emanuel Schikaneders Märchenkonstrukt für seine Wiener Vorstadtbühne brachte der Oper in Erfurt Glück: Der Applaus wollte nicht enden.

Szenenbild aus "Die Zauberflöte"
Die Zauberflöte/Theater Erfurt © Lutz Edelhoff

Abschied von frauenfeindlicher Psychologie

Schon die Ouvertüre war ein Fest: Straff, zügig, energisch und an den richtigen Stellen nachgiebig geleitet Joana Mallwitz alle Akteure durch die Partitur. Spannungsgeladen kommt jeder Akkord der gar nicht so wenigen Szenenmusiken, und wie zur Mozartzeit übernimmt das sich in Bestform präsentierende Philharmonische Orchester Erfurt auch die Geräuschuntermalungen. Eine derart spannungsgeladene Dynamik zwischen Musik und Szene hört man leider nur ganz selten in Mozarts „Großer deutscher Oper“, die eigentlich doch eher ein Singspiel ist.

Szenenbild aus "Die Zauberflöte"
Die Zauberflöte/Theater Erfurt © Lutz Edelhoff

Die vierte Wand fällt

Sandra Leupold, die erste weibliche Trägerin des deutschen Theaterpreises „Der Faust“, lässt, wie das in jüngerer Zeit endlich öfter geschieht, der Königin der Nacht mehr Gerechtigkeit widerfahren als jene Aufführungstradition, die frauenfeindliche Sentenzen der im dramatischen Gefüge eigentlich fortschrittlichen Priester unüberlegt kolportiert.

Das Spiel beginnt auf der Bühne eines kleinen Theaters vor jugendlichem Publikum. Die Tamino verfolgende Schlange, eine kleine Handpuppe, wird nur durch deren riesigen Schatten bedrohlich. Von diesem engen Bretterhaus mit rotem Vorhang durchmisst das Geschehen den ganzen Kreis der Schöpfung, weitet sich in den von Jessica Rockstroh bis auf wenige Ausnahmen konsequent im späten 18. Jahrhundert belassenen Kostümen über die ganze Bühnenfläche, zum Höhepunkt der Prüfungen sogar ins Parkett. Immer wieder lässt Sandra Leupold die vierte Wand fallen und befreit Mozarts Vorstadtmusical vom in zwei Jahrhunderten aufgetürmten Erklärungsballast.

Märchenhaft!

Szenenbild aus "Die Zauberflöte"
Die Zauberflöte/Theater Erfurt © Lutz Edelhoff

Deshalb ist diese Sicht nicht nur erfrischend märchenhaft, sondern am Ende auch sehr ernsthaft, wenn der Vers „Mann und Weib und Weib und Mann reichen an die Gottheit an“ auf einer Projektion mit einem Fragezeichen ergänzt wird. Man möchte es eigentlich nicht verraten: Das Paar Pamina und Tamino steht am Ende außerhalb der feindlichen Sphären im Dunkel der Hinterbühne, wenn Sarastro die Königin der Nacht und ihre drei zunehmend depressiven Damen mit einem Knopfdruck erledigt.

Dass „Die Zauberflöte“ in der kulturgeschichtlichen Ahnenreihe zu den Space Operas aus Hollywood steht, wird in der Erfurter Produktion ohne visuelles Klimbim deutlich, aber durch einen anderen Kunstgriff Sandra Leupolds: Sie bemüht sich nämlich gar nicht, die vermeintlich unlogischen und tatsächlich wirren Knackpunkte der „Zauberflöte“-Handlung zu beglaubigen. Das macht das Stück in Erfurt sogar für abgebrühte Kenner zu einem frischen Abenteuer. Es sind – neben einer angesichts des internationalen Ensembles erst recht bewundernswerten Tiefgründigkeit der gesprochenen Dialoge – oft nur ganz kleine Akzente, mit denen Sandra Leupold das Erfurter Prüfungsspiel schärft. Etwa wenn Monostatos nicht schon zu Beginn ein „böser Mohr“ ist, sondern erst nach seiner Zurückweisung durch Sarastro sich selbst mit tiefem Nachtblau „maskiert“, also nur durch Druck der meinungsbildenden Gruppe der Priester zum Außenseiter und Rachedämon wird.

Mitreißende musikalische Charakterisierung

Insgesamt ist das eine herrlich homogene und runde Leistung des bunten Erfurter Ensembles. Man hört und bewundert, wie alle Solisten mit Joana Mallwitz und Sandra Leupold an der musikalischen Phrasierung und am inhaltlichen Ausdruck gemeißelt und geschliffen haben. Da gibt es in dieser Premiere mehrere charakteristische Sterne. Won Whi Choi ist mal nicht der Adelige im Wattebausch, er entfaltet hier mit hell schimmerndem Tenor ein von der Inszenierung sinnfällig beanspruchtes Exotencharisma. Sagenhaft die Königin der Nacht von Christina Rümann, die ihre zweite Arie von der Angstnummer zum echten kleinen Musikdrama macht: Kunstvoll mit Schmerzaffekten aufgeraut beginnt sie und legt am Ende, wo sonst nur noch die Limits in den aufgetürmten Extremforderungen Mozarts kaschiert werden, derart mit stark gestützten Tönen zu, dass es eine Freude ist.

Daniela Gerstenmeyer ist als Pamina wirklich und glaubhaft das ganz junge Mädchen. Wenige Korrekturen der Phrasierungen machen es stimmig, dass die Figur endlich vom Heroinenpodest heruntergeholt wird – eine große, berührende Leistung. Und, wie es Mozart sich sicher vorgestellt hat, ist hier vor der Pause nicht ausgeschlossen, dass aus dem so sympathisch-lyrischen Papageno von Máté Sólyom-Nagy und ihr ein Paar hätte werden können. Auf dem Sockel aber bleibt bildhaft und sängerisch Bart Driessen als Priestermonarch und Phrasendrescher Sarastro, dem man seinen Energieaufwand für Machterhalt und Machtmissbrauch endlich einmal anhört.

Szenenbild aus "Die Zauberflöte"
Die Zauberflöte/Theater Erfurt © Lutz Edelhoff

Mit Leichtigkeit und Ernst werden auch die zeitbezogenen Themen des Werks deutlich. Es gab keinen einzigen der klassischen Lacher, doch dafür beim Schnäbeln und Turteln Papagenos mit seiner Papagena einige beglückte Freudenseufzer. Auch das spricht für den exemplarischen Rang der Aufführung.

Theater Erfurt
Mozart: Die Zauberflöte

Joana Mallwitz (Leitung), Sandra Leupold (Regie), Jessica Rockstroh (Bühne & Kostüme), Andreas Ketelhut (Chor), Daniela Gerstenmeyer (Pamina), Won Whi Choi (Tamino), Máté Sólyom-Nagy (Papageno), Christina Rümann (Königin der Nacht), Nicole Enßle (Papagena), Alexander Voigt (Monostatos), Margrethe Fredheim (Erste Dame), Stéphanie Müther (Zweite Dame), Katja Bildt (Dritte Dame), Siyabulela Ntlale (Sprecher), Philharmonisches Orchester Erfurt, Opernchor des Theaters Erfurt

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