Auf den ersten Blick erkennt man sie gar nicht unter all der Schminke. Anna Netrebko hat etwas gewagt, was manche Eiferer der politischen Korrektheit verächtlich „Black-Facing“ nennen, präsentiert sich also als eine farbige Äthiopierin mit aparten Zeichnungen im Gesicht, dazu kunstvoll frisiert und in farbenprächtige Gewänder gehüllt. Wenn dann noch die traumhafte Stimme dazu kommt, die im Laufe der Jahre an Größe und dramatischem Potenzial gewonnen hat und zum Ende ihrer großen Szene „Numi, pietà del mio soffrir“ mit überirdisch schönen Kopf- und Pianotönen anrührt, die nur wenige Kolleginnen aufbieten können, hat das spektakuläre Rollendebüt die großen Erwartungen noch übertroffen.
Anna Netrebko als Publikumsmagnet
Den wahnwitzigen Hype um die Primadonna mag man angesichts von gigantischen Salzburger Schwarzmarktpreisen bis zu 4.000 Euro pro Karte für übertrieben halten. Aber dass man seit Leontyne Price keine vergleichbar grandiose Aida mehr gehört hat, muss man der Russin schon konzedieren.
Die Salzburger Produktion, die wegen der großen Nachfrage im nächsten Sommer wiederaufgenommen werden soll, bot aber mehr als ein reines Netrebko-Event. Auch wenn die Inszenierung der iranischen Filmemacherin, Fotografin und Video-Künstlerin Shirin Neshat trotz aktueller Bezüge zur Flüchtlingskrise angesichts einer allzu reduzierten Personenregie weitgehend konzertant anmutete. Für die Emigrantin, die sich der Heldin Aida als Vertriebene und von Männern Unterdrückte seelenverwandt fühlt, war dies ihr Debüt als Opernregisseurin. Ihre Einfälle beschränken sich mehr oder minder auf drei kurze Videos. Zwei davon in Schwarz-Weiß zeigen frontal in die Kamera starrende Migranten, im letzten Akt zeigt ein Video die über Radamès zu Gericht sitzenden Oberpriester.
Regie ohne großen Erkenntnisgewinn
Einen Erkenntnisgewinn bescheren diese Bilder nicht. Neshats Aida ist mehr Installation als Musiktheater ohne imposante Schauwerte. Statt Pyramiden und Elefanten gibt es auf Christian Schmidts karger Bühne nur zwei weiße, verschiebbare Kuben, in ihnen arrangiert die Regisseurin auch den Wiener Staatsopernchor als starre Tableaus.
Anna Netrebko ist, wiewohl von der Regisseurin allein gelassen, nicht darum verlegen, ihre Figur glaubwürdig zu verkörpern. Sie spielt intensiv wie immer, berührt mit starker Mimik und Gestik als die Leidende, Liebende, sich Aufopfernde. Das Musiktheater kommt gleichwohl zu kurz, aber das war womöglich der Preis für die uneingeschränkte Vorfahrt der Musik und Riccardo Mutis Bereitschaft, sich entgegen seiner Vorsätze doch noch einmal auf eine Regie einzulassen. In den vergangenen Jahren stand er nur für konzertante Aufführungen zur Verfügung.
Riccardo Muti zaubert am Pult
Musikalisch lässt sich die umjubelte Salzburger Aida nicht überbieten. Muti leitet die farbenprächtig spielenden Wiener Philharmoniker äußerst differenziert. Er fokussiert auf die feinen, leisen, unheroischen, kammermusikalischen Facetten. Jedes, mit dem denkbar schönsten Ton angestimmte noch so kurze Oboen-und Flötensolo wird da zum Ereignis. Der berühmte Triumphmarsch tönt majestätisch, makellos vor allem die Trompeten direkt von der Bühne, doch lässt es der geniale Verdi-Interpret zugunsten eines kompakten, kultivierten Klangs nie zu stark krachen.
Bis in kleinste Nebenrollen hinein könnte auch die Besetzung kaum trefflicher ausfallen. Ekaterina Semenchuk steht der Netrebko als Amneris in nichts nach, führt ihren großen Mezzo schlank und ohne unschöne Tremoli, die man neuerdings so oft in diesem Fach hört, durch alle Register. Und welch explosive, satte Spitzentöne bringt sie erst in der finalen Gerichtsszene hervor: So hat man sie seit Fiorenza Cossotto nicht mehr gehört.
Nachhaltige Vorstellung mit starken Sängern
Als Radamès hätte sich manch einer vielleicht in dieser Luxusbesetzung Jonas Kaufmann als I-Tüpfelchen gewünscht. Aber wie gut, dass es außer ihm noch andere Tenöre gibt, die eine solche Partie zu meistern verstehen: Francesco Meli singt zwar mit weniger Schmelz, aber er bietet alles auf, was es für die Rolle braucht, singt den Feldherrn mit wunderbaren Phrasierungen, zart in der Intonation, nie kraftmeierisch und das „Celeste Aida“ ungemein kultiviert. Eine ebenso starke Figur machten Roberto Tagliavini als Ägypterkönig und Luca Salsi als Aidas Vater Amonasro, zwei profunde Stimmen, die sich wunderbar verbanden mit Anna Netrebko.
Die letzte Szene, in der Aida und Radamès zusammen sterben, berührte am stärksten. Wie Netrebko und Meli mit der denkbar größten Zärtlichkeit ihr Duett „Ah! Si chiude il ciel“ sangen, klang noch nach den stehenden Ovationen lange nach.
Salzburger Festspiele
Verdi: Aida
Ausführende: Riccardo Muti (Leitung), Shirin Neshat (Regie), Christian Schmidt (Bühne), Tatyana van Walsum (Kostüme), Reinhard Traub (Licht), Martin Gschlacht (Kamera), Thomas Wilhelm (Choreografie), Bettina Auer (Dramaturgie), Anna Netrebko (Aida), Roberto Tagliavini (Der König), Ekaterina Semenchuk (Amneris), Francesco Meli (Radamès), Dmitry Belosselskiy (Ramfis), Luca Salsi (Amonasro), Bror Magnus Tødenes (Ein Bote), Benedetta Torre (Oberpriesterin), Wiener Philharmoniker, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Angelika-Prokopp-Sommerakademie der Wiener Philharmoniker