Opern-Tipps: Uraufführungen und Opern des 20. Jahrhunderts im Januar

Neue Töne

Die Opernbühnen warten im Januar mit einer Fülle
 von Uraufführungen und Inszenierungen von Opern des 20. Jahrhunderts auf.

© Staatstheater Braunschweig

Geisterseher in Benjamin Brittens „The Turn of the Screw“

Der bedeutendste Opernintendant der letzten drei Jahrzehnte hat mit Verve eine überaus provokante These vertreten. Die Anzahl der wahren Meisterwerke sei im 20. Jahrhundert wesentlich höher als jene des 19. Jahrhunderts, „mit dem Unterschied, dass diese Meisterwerke trotzdem nur sehr schwer Eingang ins Repertoire finden.“ Und Gerard Mortier folgerte: „Die Fortsetzung einer Spielplanpolitik, die sich im Wesentlichen dem 19. Jahrhundert oder der Wiederentdeckung von zu Recht vergessenen Opern widmet, wird der Zukunft der Oper ernsthaft schaden.“

Die Kollegen des 2014 verstorbenen Visionärs des Musiktheaters scheinen seine Botschaft mittlerweile vernommen zu haben. Denn der Beginn des Jahres 2019 bietet eine beglückende Fülle an Neuinszenierungen großer Werke, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs entstanden sind oder die in der Gegenwart entstehen.

Geistergeschichten, Gefühlsfragen und radikales Musiktheater

Auffällig ist die vorherrschend angloamerikanische Provenienz der Premierentitel. Dabei stammt das älteste Werk aus dem Jahr 1954. Benjamin Brittens Kammeroper „The Turn of the Screw“ dreht sich, basierend auf der Novelle des Henry James, um eine Gouvernante, die eine geheimnisvolle Geis­tergeschichte imaginiert – oder doch tatsächlich durchlebt? Hausherrin Dagmar Schling­mann inszeniert Britten in Braunschweig höchstselbst. Auch in Magdeburg ist die Re­gie Chefinnensache, wenn Karen Stone Samuel Barbers und Gian Carlo Menottis „Vanessa“ in Szene setzt, die um die allzu menschliche, immer wieder aktuelle Liebesfrage kreist: Sollen wir für unsere Träume kämpfen? Oder unsere Gefüh­le der Realität anpassen?

John Cage befragt stattdessen in „Europeras“ weniger unseren archaischen Gefühlskanon als den Kanon der Gattung Oper selbst. In seinem im reinen Wortsinne radikalen Musikthe­ater gibt es längst keine Hand­lung mehr, es besteht aus ei­nem per Zufallsgenerator kom­ponierten Mix aus annähernd 200 Opern, die er im dadaisti­schen Stil zu einer Anti­-Oper verquirlt. „Europeras“ ist eine Steilvorlage für das Regie-­Trio von Rimini Protokoll, das nun auch in Wuppertal mit seinen Hybriden aus Theater, Hörspiel, Film und Installation einmal mehr den multiplen Perspek­tivwechsel wagt.

© Alice Arnold

Cages Landsmann Steve Reich, Meister des Minimalismus, erzählt in sei­ner 2002 in Wien uraufgeführ­ten Video­-Oper „Three Tales“ in drei Stationen die Geschichte des technischen Wandels der Moderne. Die Künstlerin Beryl Korot schuf Bewegtbild­collagen zur Brandkatastrophe des Hindenburg­-Zeppelins 1937, zu den amerikanischen Kernwaffentests auf dem Biki­ni Atoll 1946 und zur Schöp­fung des Klon­-Schafs Dolly 1996. Die Kammeroper ist mi­nutiös auf die Videos abge­stimmt und sozusagen ein di­gitalisiertes Gesamtkunstwerk. Das Theater Erfurt gibt das Erfolgsstück unter der Leitung von Peter Leipold.

Knallbunte Stil-Melange

Den komischen Kontrapunkt zum ernsthaften Neuen Musik­theater liefert das Münchner Gärtnerplatztheater. Auch der Operettenfrühling treibt also frische Blüten. Die Urauffüh­rung von Thomas Pigors „Drei Männer im Schnee“, die auf einem Roman von Erich Käst­ner basiert, wird knallbunt inszeniert und in der Nachfol­ge des 1930 uraufgeführten Erfolgsstücks „Im weißen Rössl“ eine Stil­-Melange. Das Werk enthält Jazznummern von Kon­rad Koselleck, Benedikt Eich­horn bringt die Musicalwelt und Christoph Israel seine Klassikexpertise ein. Pigor schart also wie einst Benatzky Erfolgskünstler ganz verschie­dener Genres um sich.

Auch Beat Furrer erzählt in seinem neuen Werk „Violetter Schnee“ an der Staatsoper Unter den Linden vom Winter, allerdings in einer Alptraumvariante. In apokalyptischer Kälte trifft eine Gruppe Überlebender auf­einander, die angesichts der Katastrophe zu verstummen drohen. Furrer evoziert das Eis auch in der Musik, die formal zunehmend zersplittert und sich auflöst. Matthias Pintscher wird den Stab führen, und die Stars Anna Prohaska, Elsa Drei­sig, Gyula Orendt, Georg Nigl und Otto Katzameier bilden mit Schauspielerin Martina Gedeck das Ensemble der Ur­aufführung.

concerti-Tipps:

Braunschweig
Fr. 11.1. 19:30 Uhr (Premiere) Staatstheater Britten: The Turn of the Screw. Ivàn López Reynoso (Leitung), Dagmar Schlingmann (Regie).
Weitere Termine: 18. & 30.1., 9. & 12.2., 3. & 10.3.

Berlin
So. 13.1., 18:00 Uhr (UA) Staatsoper Unter den Linden Furrer: Violetter Schnee. Matthias Pintscher (Leitung), Claus Guth (Regie).
Weitere Termine: 16., 24., 26. & 31.1.

Magdeburg
Sa. 19.1., 19:30 Uhr (Premiere) Oper Barber: Vanessa. Svetoslav Borisov (Leitung), Karen Stone (Regie).
Weitere Termine: 26.1., 9.2., 31.3. & 8.5.

Erfurt
Do. 31.1., 20:00 Uhr (Premiere) Theater Korot & Reich: Three Tales. Peter Leipold (Leitung), Stefan Winkler (Lichtdesign).
Weitere Termine: 2., 9. & 23.2., 3. & 24.3., 7. & 20.4.

München
Do. 31.1., 19:30 Uhr (UA) Gärtnerplatztheater Pigor: Drei Männer im Schnee. Andreas Kowalewitz (Leitung), Josef E. Köpplinger (Regie).
Weitere Termine: 2., 3., 9. & 28.2., 3., 6., 7. & 10.3.

Wuppertal
Sa. 2.2., 19:30 Uhr (Premiere) Wuppertaler Bühnen Cage: Europeras 1 & 2. Johannes Pell (Leitung), Rimini Protokoll (Regie).
Weitere Termine: 10.2., 1.3., 6.4. & 19.5.

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