Startseite » Interviews » „Ich war noch nie eine Frühaufsteherin“

Interview Iveta Apkalna

„Ich war noch nie eine Frühaufsteherin“

Ihr Album „Light & Dark“ wurde nachts aufgenommen. Die Organistin Iveta Apkalna kennt sich mit dieser Tageszeit gut aus.

vonHelge Birkelbach,

Bereits ihre Erscheinung zieht einen in den Bann. Schlank, grazil, akkurat – so erscheint die lettische Organistin in dem morgendlich belebten Alt-Berliner Café, das sie für das Interview ausgesucht hat. Sie wohnt gleich um die Ecke. Iveta Apkalna ist eine echte Lichtgestalt – und eine quirlige Gesprächspartnerin. Es sprudelt geradezu aus ihr heraus. Sie spricht schnell, ihr Deutsch ist differenziert und lebhaft zugleich.

Sie kommen gerade von zuhause. Haben Sie heute schon Musik gehört?

Iveta Apkalna: Ich höre zuhause kaum klassische Musik. Aber ich gehe natürlich gerne in Konzerte, wenn ich die Möglichkeit und die Zeit dazu finde. Bei über sechzig Auftritten im Jahr ist das jedoch schwierig. Wenn ich freie Zeit zwischen den Auftritten habe, schenke sich sie in erster Linie meiner Familie und meinen Kindern. Ich denke, man ist dann ein guter Musiker, wenn man sich auch für ganz andere Sachen als für Musik interessiert – für Familie, für andere Menschen oder für andere Künste beispielsweise. Bei mir ist es die Bildende Kunst, die mich interessiert. Und Fotografie! Was man auf einem Foto sieht, ist nur ein bestimmter Augenblick, der da fixiert wurde. Das entspricht unserem Leben als Musiker. Wir können nie dasselbe Stück auf exakt die gleiche Weise interpretieren, wie es schon einmal gemacht wurde. Ich habe erst viel später verstanden, warum mich die Fotografie so interessiert hat und ich so oft Ausstellungen besucht habe.

Sie tanzen auch gerne. Zumindest, wenn ich mir dieses Foto auf Instagram anschaue. Hier sieht man Sie backstage in Vilnius …

Iveta Apkalna
Iveta Apkalna © Maxim Schulz

Apkalna: Zeigen Sie mal (sieht sich das Foto auf dem Handy an und lacht). Ja, das war mit Ronith Mues, der Solo-Harfenistin des Konzerthausorchesters Berlin. Wie herrlich! Das war zwei oder drei Minuten vor meinem Auftritt, ein kleiner Warm-up. Ich fühlte mich schön locker, und die Ouvertüre zu Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“, die vorher erklang, hat mich zu diesem Tänzchen animiert. Als kleines Kind habe ich wahnsinnig gerne getanzt und mir ernsthaft überlegt, das ein ganzes Leben lang zu machen – als vielseitige Ausdrucksform und Kunst, nicht aus spontan motorischen Gründen. Es gibt immer etwas Neues zu entdecken.

Immer neu ist auch das Erlebnis mit Ihrem Instrument, das Sie ja nicht mitnehmen können. Wie bereiten Sie sich auf Konzerte vor?

Apkalna: Pro Konzert braucht man eine Vorbereitung von drei Tagen. Der erste Tag: ankommen, die Orgel kennenlernen und acht bis zehn Stunden für die Registrierung einplanen, um alle Farben, die im Programm vorgesehen sind, einsetzen zu können. Manchmal dauert es auch länger, je nach Temperatur des Saales und je nach meiner Temperatur (lacht). Dann spiele ich das Programm durch und nehme nochmals Änderungen vor. Am zweiten Tag probe ich, am dritten Tag findet schließlich das Konzert statt. Wobei: Von „Tag“ kann man eigentlich nicht sprechen. Die Proben müssen nachts stattfinden, wenn am Tag der Konzertsaal ausgelastet ist oder Orchesterproben stattfinden. Das Schöne dabei ist, dass ich ganz allein bin. Ich habe die Stille der Nacht und einen riesigen Raum allein für mich, sogar ein ganzes Gebäude für mich. Stellen Sie sich vor, Sie spielen nachts im Kölner Dom, das ist schon ein phantastisches Erlebnis. Zwar spooky, aber etwas ganz Besonderes. Auch die CD-Aufnahmen zu „Light & Dark“ mussten wir nachts vornehmen. Das war aber ein kolossales Geschenk. Die Interpretation hat dadurch viel gewonnen, finde ich. Schließlich war die Dunkelheit, der Kontrast zwischen Nacht und Tag, grundlegend für die Repertoireauswahl der CD. Es gibt romantische Inseln mit zwei Kompositionen aus meiner Heimat, die sind hell. Mit der Musik von Thierry Escaich kommen die Kontraste hinzu. Ich kann es eigentlich nicht als dunkle Musik bezeichnen, denn gerade bei „Évocation I“ leuchtet immer das Helle auf, bevor es wieder im Dunkeln versinkt. Die Musik bringt mich dorthin, zum Licht und zum Verborgenen.

Sie sind also ein Nachtmensch?

Apkalna: Ja, kann man so sagen. Ich war noch nie eine Frühaufsteherin. In der Nacht vor einem Auftritt kann ich aber nicht so lange üben, das geht nicht. Nun rechnen Sie drei Tage mal sechzig Auftritte pro Jahr, da kommt schon was zusammen. Das ist anders als bei einem Geiger oder Cellisten, der in zehn Tagen zehn Konzerte spielen kann. Wenn ich als Organistin allerdings auf eine Orchestertournee gehe, muss das ja auch funktionieren, weil das Orchester buchstäblich jeden Tag woanders spielt. Was tun? Ich muss diese ganze Tournee schon vorher einmal ohne das Orchester gemacht haben, um das Repertoire an jeder Orgel in den verschiedenen Spielorten in den Griff zu bekommen. Da müssen wir Organisten durch.

Einen festen Ort haben Sie: Sie sind Titularorganistin der Elbphilharmonie. Was ist das Besondere an der Klais-Orgel?

Apkalna: Bei ihr passen visuelles Bild und Klangbild wunderschön zusammen. Wie man sie mit dem Auge wahrnimmt – sehr hoch und organisch im Raum eingewachsen –, so klingt sie auch: Breit, weit und hoch. Das Volumen, das diese Orgel anbieten kann, ist eigentlich ziemlich untypisch für einen Konzertsaal. Normalerweise ist der Prospekt vorne über der Bühne gebaut, so dass wir wissen, woher der Klang kommt. In der Elbphilharmonie muss man sich dagegen erst einmal in diesem Klangbad wiederfinden. Mir als Interpretin liefert sie viele Ideen, auch als Provokation im positiven Sinne. Man kann alles auf ihr spielen, vom Barock über die Romantik bis zur zeitgenössischen Musik, ganz authentisch. Mit dem eingebauten Touchscreen kann ich binnen Sekunden neue Situationen schaffen. Ich kann zum Beispiel den Luftdruck sinken lassen, also die Quantität der Luftzufuhr verringern, und schon klingt es anders. Bei Ligetis 1. Etüde, die ich auch aufgenommen habe, wird allein von der Klangvorstellung Enormes gefordert. An einer klassischen Orgel mit ihren gegebenen technischen Möglichkeiten ist das äußerst schwierig realisierbar. Mit dem Touchscreen kann ich die Angebote umgehend ansteuern. Ich kann auch einen Buxtehude auf einem Manual spielen, das geht wunderbar, oder produziere feine Zwischentöne oder sogar Geräusche. In der erwähnten Etüde von Ligeti kommen alle neun Minuten in beiden Händen zehnstimmige Akkorde. Sie hören aber keine zehnstimmigen Akkorde, sondern eine Bewegung im Luftraum und fragen sich: Woher kommt das? Ist es überhaupt Orgel?

Iveta Apkalna
Iveta Apkalna © Michael Zapf

Gibt es Orgeln, die der in der Elbphilharmonie nahekommen?

Apkalna: Es gibt einige, die in letzter Zeit gebaut wurden. Zum Beispiel die in der Pariser Philharmonie, die von den österreichischen Orgelbauern Rieger stammt. Im September vergangenen Jahres habe ich in Linz im Brucknerhaus die neue Rieger-Orgel eingeweiht, die wiederum eine sehr schöne klassische Orgel ist. Im gewissen Sinne bin ich ein konservativer Mensch. Ich muss nicht unbedingt alle Effekte nutzen, die mir ein modernes Instrument anbietet. Je mehr man nach Effekten sucht, desto eher werden daraus Defekte. Weniger ist mehr. Spannend ist das allerdings für Organisten, die gerne improvisieren. Ich selbst aber improvisiere nicht, das hat mich nie gereizt.

Warum?

Apkalna: Ich hatte Kopf und Herz und Hände voll mit Literatur, die ich spielte oder künftig spielen wollte. Meine emotionale Welt ist damit schon ganz voll und reichhaltig. Ich wusste immer: Ich gehe eine Linie, meine Linie. Das wusste ich schon in meinem achten Lebensjahr. Ich möchte das, was Komponisten geschrieben haben, zu den Menschen bringen und mit ihnen zusammen in einem Raum erleben. Ich möchte, dass zwischen Komponist, Künstler und Publikum keine Wand steht, auch keine transparente Wand, die ein Bühnenrand darstellt. Für mich ist es deshalb auch wichtig, dass ich mein Publikum spüren und sehen kann. Nach Möglichkeit spiele ich immer an freistehenden Spieltischen. Und zwischen den Stücken, wenn die Leute klatschen, stehe ich immer auf, um Augenkontakt zu suchen.

Es scheint, dass Orgelmusik heute kein Schattendasein mehr führt.

Iveta Apkalna: Ja, es ist schon erstaunlich, dass in den letzten Jahren Instrumente in die Aufmerksamkeit des Publikums rücken, die bisher solistisch nicht so oft ins Konzertleben fanden: Harfe, Akkordeon, Mandoline und eben die Orgel. Mit Avi Avital habe ich 2005 gespielt, das hat mich damals sehr inspiriert. Man wundert sich, was für ein reichhaltiges Repertoire zum Beispiel für sein Instrument, die Mandoline, existiert. Die Orgel ist quasi „good old style“ der Kirchenmusik – und nun auch immer präsenter auf der konzertanten Bühne. Vor zehn Jahren war das noch anders.

Sehen Sie hier den Trailer zu „Light & Dark“ von Iveta Apkalna:

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Album-Tipp

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!