Sich selbst hielt er für völlig talentfrei, und tatsächlich war er sowohl als Komponist wie auch als bildender Künstler grandios gescheitert. Doch Sergej „Serge“ Diaghilev verfügte über eine besondere Gabe: Er erkannte künstlerisches Potenzial und verstand es, unterschiedlichste Begabungen zusammenzuführen und zu Höchstleistungen anzuspornen. Dies gelang ihm durch subtile, manchmal auch durch skrupellose Manipulation von Menschen – die sensationellen Erfolge der „Ballets Russes“ gaben ihm recht und prägten die Kunst des 20. Jahrhunderts nachhaltig.
Kaleidoskop bringen „Serge“ ins Radialsystem
Um „Serge“ und seine manipulativen Machenschaften dreht sich das so betitelte Musiktheater mit dem Solistenensemble Kaleidoskop. Anklänge aus der Komposition „Prélude à l’après-midi d’un faune“ von Claude Debussy ziehen sich wie ein musikalischer Faden durch den Abend – immerhin sorgte Vaslav Nijinskys sexuell aufgeladener und revolutionär choreografierter Nachmittag eines Fauns 1912 für einen der größten Skandale der Ballettgeschichte. In dieser Inszenierung nun bewegen sich sieben Musiker und ein Gast-Schauspieler – der mitunter als Serge durchgeht – spielend in einer Choreografie, und die fußt auf 120 stilisierten Gesten aus den Notizen Nijinskys. Zeitgleich mit einem bestimmten Gesichtsausdruck und der Musik ergibt das drei Ebenen einer Performance, die nur selten aufeinander abgestimmt sind.
Zwischen Rimski-Korsakow und Techno-Rhythmen
Einfaches Beispiel: Jemand steht mit traurig hängenden Schultern da, lächelt zugleich, während aggressive Klänge zu hören sind. Michael Rauter komponierte die Musik für den Abend, der Ballettmusik-Zitate, etwa von Rimski-Korsakow, mit Techno-Rhythmen aufmischt. Über einen Knopf im Ohr bekommen die Spieler Anweisungen, werden quasi dirigiert und auf diese Weise ganzkörperlich zu mobilen Instrumenten. Oder technisch ausgedrückt: Die drei Ebenen aus Körpergestik, Musik und Gesichtsausdruck ermöglichen eine sich permanent ändernde Perspektive auf die Konstellation auf der Bühne – wie ein sich drehendes Mobile, das den Blick des Betrachters einfängt und ihn dazu verführt, lange hinzuschauen. Das gelingt Regisseur Luigi De Angelis auch mit „Serge“ – durch ein Wechselspiel aus Zeigen und Verbergen kann das Publikum ständig Neues entdecken und Angedeutetes individuell auslegen. Nichts anderes macht auch das Leben mit uns: Manchmal reicht eine Geste oder eine flüchtige Erinnerung, um ein komplexes Bild (in uns) entstehen zu lassen.
Sehen Sie hier den künstlerischen Leiter Michael Rauter im Interview: