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Interview James Gaffigan

„Ich merke, Sie wollen auf die Komische Oper hinaus“

Der US-amerikanische Dirigent James Gaffigan über sein neues Amt als Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin.

vonTeresa Pieschacón Raphael,

James Gaffigan hat viel Interessantes zu erzählen und tut dies auf bestechend beredte Art. So kommt es denn auch gleich zu Beginn des Interviews zu spannenden Exkursen in die Rock- und Popwelt. Als er dann auf seinen neuen Arbeitsplatz zu sprechen kommt, zeigt sich: Der Mann hat nicht nur Visionen – er hat auch Großes vor.

Sie sind eine Kombination aus der Liebe zu Tristan und Isolde, aber auch zu Sweeney Todd, lieben sowohl Xenakis als auch Björk, Led Zeppelin und Mozart: So beschrieben Sie sich selbst einmal. Das müssen Sie mir erklären.

James Gaffigan: Die Musik von Sweeney Todd ist großartig, die Musik von Tristan und Isolde ist es auch. Aber natürlich jeweils aus ganz anderen Gründen. Ich wuchs zwar in einem musikalischen Haushalt auf, aber nicht mit klassischer Musik, sondern eher mit Pop, Rock und Jazz. Wir lebten in Staten Island, in einem der fünf Stadtbezirke New Yorks südwestlich von Manhattan, von der Atmosphäre aber eher in der Vorstadt. Ich hatte das große Glück, auf der kostenlosen öffentlichen Schule frei ein Instrument wählen zu dürfen. Meine Eltern hatten nicht viel Geld. In der Grundschule lernte ich die Klarinette, weil es ein Bläserensemble an der Schule gab, in dem alle mitspielen wollten. Ich musste mir lediglich das Mundstück für das Instrument kaufen. Mein erster Bandleader trat übrigens auch am Broadway auf und erzählte immer sehr viele spannende Geschichten. Von ihm lernten wir, miteinander zu sprechen, ohne sprechen zu müssen, was bis heute sehr wichtig ist für mich als Dirigenten. Ich hatte wirklich großes Glück.

Zum Fagott griffen Sie auch, weil von Frank Zappa der Spruch kolportiert wird, dass die coolsten Typen die Fagottisten seien.

Gaffigan: Ja, absolut! Und wer will nicht cool sein in diesem Alter. Außerdem liebte ich es, Instrumente zusammenzuschrauben. Und das Fagott hat viele Teile. Doch dann passierte etwas. Eines Tages hörte ich Mendelssohns Schottische Sinfonie. Und obwohl ich jede Art von Musik liebte, empfand ich plötzlich so viel mehr Emotion und Tiefe als jemals zuvor bei Led Zeppelin oder Jane’s Addiction oder welcher Rockmusik auch immer. Der Klang, die Farben.

Im heutigen Musikbetrieb werden die Genres und Stile gerne gemischt und oft qualitativ nicht mehr unterschieden. Was macht für Sie genau den Unterschied zwischen Rock/Pop und Klassik aus?

Gaffigan: Popmusik lässt einen ‚relaxed‘ fühlen. Diese Musik ist da für die einfachen Gefühle, die wir jeden Tag haben. Aber bei der Klassik ist das anders. Klassik kann Einsamkeit widerspiegeln, rührt am Existenziellen. Wenn Sie den zweiten Satz von Bruckners sechster Sinfonie hören, dann fragen Sie sich: „Was ist das bloß?“ Klassische Musik führt einen einfach in eine andere Welt. Auch wenn die Komponisten zeitlich weit entfernt von unserem Leben sind, aus einem anderen Jahrhundert, einer anderen Zeit stammen, sind sie dennoch mit ihrer Musik der Seele so nah, viel näher als die Musik von Led Zeppelin oder den Beatles je sein kann. Egal ob Bach, Wagner, Bruckner. Bereits als Kind wollte ich herausfinden, warum Musik eine solche Wirkung auf Menschen hat.

Sind Sie deshalb Dirigent geworden?

Gaffigan: Ich liebte es, Detektiv zu spielen. Musik zu entdecken. Hinzu kam: Beim Fagott entdeckte ich, wie begrenzt das Repertoire für dieses Instrument war. Alle meine Freunde spielten wunderschöne Kammermusik, Quartette von Beethoven, Haydn und Bartók. Sogar Hornisten verfügen über ein majestätisches Repertoire. Ich aber hatte nur das Schubert-Oktett und im allgemeinen Orchesterrepertoire nur kurze Soli.

Seit 2011 für Europäische Orchester tätig: James gaffigan
Seit 2011 für Europäische Orchester tätig: James Gaffigan

Einer Ihrer Mentoren war Franz Welser-Möst. Was hat er Ihnen vermittelt?

Gaffigan: Ich traf ihn, als ich in Cleveland war. Ich war 22 Jahre alt. Franz half mir, die Musik von Bruckner und Schubert zu verstehen. Als Amerikaner dachte ich, Bruckner sei nichts weiter als schwere Kost, langweilig und langatmig. Und es hätte nichts mit mir zu tun. Doch bei Franz lernte ich so viel. Er vertraute mir und glaubte an mich und empfahl mich weiter. Für mich, als Amerikaner, war es besonders wichtig, dass mir ein europäischer Dirigent vertraute.

An den Amerikaner nun die Frage: Wie übersetzt man den in den siebziger Jahren auf deutschen Bühnen geprägten Begriff des Regietheaters?

Gaffigan: Oh, dafür gibt es keine Übersetzung – und ich merke, Sie wollen auf die Komische Oper hinaus. Das Haus ist wirklich anders als alles, was wir in den USA haben. Die Komische Oper ist eben Berlin, sehr speziell, ob man dies mag oder nicht – schon allein wegen der Party-Atmosphäre, die einem entgegenschlägt, wenn man das Haus betritt, ganz anders als etwa in der Staatsoper Unter den Linden. Zwischen verrückt und großartig, eines der aufregendsten Theater überhaupt. Ich habe es selbst erlebt, wie die Menschen lange im Schnee in der Schlange mit ihren Covid-Masken anstanden für Barrie Koskys Produktion von Jacques Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“. Und alles ausverkauft. Das ist doch der Wahnsinn!

Und dennoch waren Sie skeptisch, den GMD-Job an der Komischen Oper zu übernehmen.

Gaffigan: Ja. Unter der Intendanz des Regisseurs Barrie Kosky war alles bisher auf die Produktion, die Inszenierung fokussiert. Ich würde mich freuen, wenn die Leute eines Tages kommen und sagen, wir kommen nicht nur wegen der aufregenden Inszenierung, sondern auch wegen des hohen Musiklevels. Ich mag Barrie und ich sage es mit aller Liebe: In der letzten Dekade gab es nur die Barrie-Show. Die Balance zwischen Regie und Musik stimmte nicht. Als neuer GMD ist mein Job nun, dass die Leute auch über die Musik sprechen und nicht nur über eine tolle und schräge Inszenierung. Es muss von allem ein bisschen da sein. Das Experimentelle ist sehr interessant. Gleichzeitig muss auch das musikalische Niveau stimmen und gehoben werden. Das wird Zeit und Arbeit kosten.

Eine Show aller und nicht die von Kosky oder von Gaffigan?

Gaffigan: Ja, absolut.

Koskys Show war bunt, divers und sexy. Würde dieses Konzept auch an einem Opernhaus in den USA funktionieren?

Gaffigan: Vielleicht in Brooklyn. Aber an anderen Orten würde es nicht überleben, nicht in Chicago und selbst nicht in San Francisco. So etwas funktioniert nur in Berlin. Was ich wunderbar an der Komischen Oper finde: Jeder ist dort willkommen. Es ist wie bei einem Rockkonzert. Man sieht alte und junge Menschen, Mitglieder der Homosexuellen-Community, Drag Queens und Transgender, die türkische Kultur Berlins, alle Arten von Menschen, die man sich vorstellen kann, mit den unterschiedlichsten sozioökonomischen Hintergründen. Und es ist immer voll, weil die Leute einfach dort sein wollen. Das ist sehr schwer in den USA zu erreichen.

Sie sind auch GMD am Opernhaus in Valencia. Dort dürfte die Stimmung eine andere sein.

Gaffigan: Oh ja. In Valencia ist das Publikum gut gekleidet und stolz auf die Hochkultur und konservativer. Da kann es schon passieren, dass sich Karten etwa für Alban Bergs „Wozzeck“ schwer verkaufen lassen. Doch sobald man es schafft, die Menschen ins Haus zu bringen, sind sie begeistert und kommen auch wieder.

Doch wenn man all die Figuren aus den Opern von Händel, Richard Strauss, Mozart, Puccini oder Wagner auf Queerness, Transgender, Gender etc. herunterbricht und die Musik mit Pop und Punk mixt – werden sie dann nicht auch belanglos und beliebig?

Gaffigan: Mir geht es mehr darum, Menschen auf die Plätze zu bringen, auf denen sie normalerweise nicht sitzen würden. Deshalb machen wir so etwas wie Bruckner und Bowie. Wir wollen, dass die Bruckner-Fans David Bowie hören und die David Bowie-Fans Bruckner. Mein Ziel ist ferner, dass die Menschen uns auch musikalisch vertrauen und ins Schillertheater kommen. Weil es dort ein wahrhaftiges Erlebnis gibt, sowohl auf der Bühne als auch in der Musik. Ich bin kein Freund der vorgefertigten Programme. Am liebsten wäre mir ein Abend ohne festgelegtes Repertoire, das Menschen überrascht. Das wäre spannend.

James Gaffigan wechselt ab 2023/24 zur Komischen Oper Berlin
James Gaffigan ist seit der Spielzeit 2023/24 GMD der Komischen Oper Berlin

Seit Walter Felsenstein wurden alle Opern an der Komischen Oper in deutscher Sprache aufgeführt. Kosky brach mit dieser Regel. Wie wird das bei Ihnen sein?

Gaffigan: Wir werden einen Mix machen. Eine russische Oper würde ich zum Beispiel nicht ins Deutsche übersetzen, da ginge zu viel an Atmosphäre und Kolorit verloren. Auch Puccini muss auf Italienisch gesungen werden.

Sie werden im Jahr 2024 unter anderem Mozarts „Figaro“ und Tschaikowskys „Eugen Onegin“ an der Komischen Oper dirigieren. Was wünschen Sie sich für Ihre Aufführungen?

Gaffigan: Mein größter Wunsch ist, dass wir das Publikum mitnehmen, auch wenn wir jetzt in einem anderen Stadtteil im Westen spielen, im Schillertheater nahe der Deutschen Oper. Die Komische Oper ist ja wegen Renovierung geschlossen. Ich wünsche mir, dass wir wegen unseres hohen musikalischen Niveaus und nicht nur wegen unserer Inszenierung in Berlin ein Begriff sind.

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