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OPERETTEN-KRITIK: Teatro Malibran– LES CHEVALIERS DE LA TABLE RONDE

Pfeffer der Parodie, Zucker des Eros

(Venedig, 7.2.2016) Der Palazzetto Bru Zane gräbt ein champagnersprühendes Operetten-Meisterstück von Hervé aus

vonPeter Krause,

Die Mischung der musikalischen Gewürze ist unschlagbar: Einerseits dieses Pariser Pfeffer der Parodie, andererseits das Süßholz von erotisch gurrenden, champagnersprühenden Koloraturen und allerhand lyrisch verzückten Herz-Schmerz-Sentimentalitäten. So geht Operette. Jedenfalls, als sie Mitte des 19. Jahrhunderts ihren unhaltbaren Aufstieg als die unerhört freche kleine Schwester der ernsten Oper antrat: Der französischen Tragédie lyrique wie dem mythenschweren deutschen Musikdrama begegnete die Operette mit dem Mut der krassen Persiflage. Nichts ist ihr heilig. Weder die hehren Ritter, noch die holden Burgfräulein des in der Romantik gerade mit Vorliebe wiederbelebten Mittelalters. Statt holder Minne geht’s um schnellen Sex. Den hört man sofort dank der gern im rasanten Tempo abgespulten Nummern. Der Charme dieser Musik entzückt, ihr Esprit beschwipst, ihre edle Einfachheit berührt.

 

Nur wer hat diese herrliche Rittergroteske Les Chevaliers de la Table ronde geschrieben? Wer Jaques Offenbach für den Erfinder der Gattung Operette hält, wird beim außer Puste geratenden Zuhören schnell auf den Wahlpariser aus Köln tippen. Und liegt dann doch deutlich daneben. Urheber des komischen Meisterstücks ist der lebenslange französische Rivale des Deutschen, der sich mit seinem klugerweise gewählten Künstlernamen schlicht Hervé nannte, freilich als Louis-Auguste-Florimond Ronger geboren wurde. Hervè und Offenbach waren fast gleich alt und sehr wohl ähnlich hochbegabt fürs komische Fach. Mal gilt der eine als Vorläufer des anderen, mal umgekehrt.

 

Die Operette – schöne Tochter mit zwei Vätern

 

Die historische Wahrheit ist: Die Konkurrenten eröffneten in der französischen Hauptstadt ganz kurz hintereinander zwei Tempel des Buffonesken Bühnenvergnügens – im Jahr 1854 war es zunächst Hervé mit den Folies Concertantes, Offenbach dann 1855 mit den legendären Bouffes Parisiens. Da Hervé nach Offenbachs Abgang den Widersacher dort als Hauskomponist beerbte, wird er bis heute meist als Epigone des Deutschen betrachtet. Mit zunächst noch nicht abendfüllenden opéra bouffes war es freilich Hervé selbst, der die entscheidenden initialen Impulse für die Ausprägung eines komischen Musiktheaters in Frankreich gab. Heute darf man ausgleichend sagen: Es gibt eben schöne Töchter, die gleich zwei Väter haben.

 

Respektloser Mythenmix um Sex und Geld

 

1866 nun komponierte Hervè seine erste abendfüllende Operette – just für Offenbachs bisherige Heimstadt, die Bouffes Parisiens. Wie sein Kollege bricht auch Hervé eine mythologische Vorlage an seinen real existierenden bürgerlichen Zeiten. Dazu mischt er die Artussage mit ihren Rittern von der Tafelrunde mit dem zuvor für unzählige Opern ausgeschlachteten Fundus des Ariost-Epos Orlando furioso. Heraus kommt ein köstlich respektloser Mythenmix um Sex und Geld.

 

Der Palazzetto Bru Zane verschreibt sich mit Verve der Ausgrabung Musik der französischen Romantik

 

Als Produzent der Operette hat der venezianische Palazzetto Bru Zane als Stiftung, die sich mit fantastischer Verve der Wiederentdeckung, Edition und künstlerischen Produktion der Musik der französischen Romantik verschreibt, auf ein junges Team gesetzt. Französische Sängerinnen und Sänger wie Schauspieler werfen sich mit überbordender Spielfreude ins rasante Räderwerk der Komödie. Ein nur zwölfköpfiges Salonorchester aus der Companie Les Brigands schärft den Witz der Partitur mit eleganter Kammeroperndirektheit.

 

Der Regisseur überdreht das Komödienrad

 

Regisseur Pierre-André Weitz indes will das perfekte musikalische Komödienuhrwerk in der Szene noch übertreffen. Sein dem Stummfilm abgeschautes Dauer-Prestissimo, sein überdrehtes Overacting, sein hyperaktiv clowneskes Absurdes Theater hat in seinem Wahnsinn sehr wohl Methode. Doch Subtexte und Doppelbödigkeiten bleiben in den atemlos abgespulten Dialogen mitunter auf der Strecke. So wie die Musik von ihren luststeigernden Rubato-Verzögerungen lebt, sollte auch der Regisseur mitunter Zeit klauen, das Tempo anhalten, sich retardierende ernste Momente gönnen. Getreu der Chaplin-Erkenntnis: Der Clown ist nicht nur der ewige Spaßmacher, er ist am Ende der Traurigste von allen.

 

Nächste Vorstellungsserie im März 2016 in der Opéra de Rennes, Frankreich

 

Teatro Malibran

Hervé: Les Chevaliers de la Table Ronde

 

Christophe Grapperon (Leitung), Pierre-André Weitz (Regie, Bühne & Kostümbild), Damien Bigourdan, Antoine Philippot, Arnaud Marzorati, Mathias Vidal, Ingrid Perruche, Lara Neumann, Chantal Santon Jeffery, Clémentine Bourgoin, Rémy Mathieu, David Ghilardi, Théophile Alexandre, Jérémie Delvert, Pierre Lebon, Compagnie Les Brigands

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