Opern-Kritik: Staatstheater Nürnberg – Lohengrin

Die Götter sind unter uns

(Nürnberg, 12.5.2019) David Hermann und Joana Mallwitz überraschen mit einem szenisch kurzweiligen und musikalisch glanzvollen „Lohengrin“.

© Bettina Stöß

Eric Laporte (Lohengrin)

Dieser neue Nürnberger „Lohengrin“ ist zur Abwechslung mal kein weiterer Leistungskurs in deutscher Geschichte auf der Opernbühne. Zuletzt hatten den Oliver Py und David Alden in Brüssel bzw. in Gent so bewährt wie erwartet jeder in seiner Art abgeliefert. Bei Regisseur David Hermann gibt es keine aktuelle Polemik zum gezogenen deutschen Schwert, mit dem König Heinrich das Deutsche Reich gegen die Ungarn-Horden aus dem Osten verteidigen will. Stattdessen wartet er mit einer über weite Strecken erfrischenden Lektion in Sachen Wagner auf.

Szenische Querverweise aufs gesamte Wagner-Œuvre voller selbstironischem Witz

In seinem Karlsruher „Rheingold“-Beitrag (die dortige Tetralogie wurde mit vier verschiedenen Regieteams realisiert) nutzte Hermann die Chance, anhand des Vorabends gleichsam den kompletten „Ring“ szenisch abzuhandeln. Zumindest beim exemplarischen Gesamtkunstwerker spielt er offensichtlich gern mit szenischen Querverweisen aufs Œuvre. Mit dieser Methode verpasst er jetzt auch dem „Lohengrin“ am Staatstheater Nürnberg eine gewisse Dosis selbstironischen Witz.

So hat er der populärsten Musiknummer, jenem stürmischen Orchesterauftakt zum „Treulich geführt“, mit dem der dritten Aufzug beginnt, eine Szene beigefügt, die den Anweisungen Hagens an seine Mannen in der „Götterdämmerung“ zur Feier der bei den Gibichungen anstehenden Doppelhochzeit zu folgen scheint. Da machen sich nämlich Wotan persönlich, nebst seiner Walküren-Brigade, über den zu seinen Ehren geschlachteten und knusprig gebrutzelten Eber her und sprechen dem Met gleich humpenweise zu. Als das Brautpaar anrückt, ist Wotan so randvoll, dass er kaum gehen kann.

Wotan hat randvoll getankt

© Bettina Stöß

Emily Newton (Elsa von Brabant), Martina Dike (Ortrud) und Ensemble

Was soll aus der Welt werden, wenn sich schon die Götter so besaufen, könnte man sagen. Aber dieser „Lohengrin“ funktioniert eh nach dem Motto: die Götter sind unter uns. Zumindest so in etwa. Hinter dem Kampf um den Thron des Herzogs von Brabant stehen Wotan (Johannes Lang) und der Gralskönig Parzifal (Jochen Kuhl) persönlich. Wotan – in herrlich archaischer Aufmachung wie aus einem Bilderbuch des 19. Jahrhunderts entsprungen – auf Seiten seiner Anhängerin Ortrud und ihres Mannes Friedrich Telramund.

Gralschef Parzifal in einer etwas putzigen roten Uniformierung zwischen Waldmännchen und Fantasy auf der Seite seines Sohnes Lohengrin im Hilfseinsatz in Brabant. Nur weil er es schafft, Wotan abzuwehren, gewinnt Lohengrin das Gottesgericht gegen Telramund. Aber als Lohengrin ihm dann den Rest geben will, fällt Parzifal seinem Sohn gerade noch rechtzeitig in den Arm. Im Brautgemach schließlich ist er der Lauscher an der Wand. Noch bevor Wotan und sein Spezi Telramund auftauchen, ist es Parzifal, der kontrolliert, was Lohengrin von seiner Herkunft preisgibt bzw. umschreibt. Ganz am Ende ist er für die verblüffendstes Wende der Inszenierung verantwortlich. Da nämlich macht Parzifal persönlich mit einem Fingerschnipsen den schon erschlagenen Friedrich Telramund wieder lebendig und ernennt ihn zum Führer von Brabant.

Lohengrin: Ein Wagner-Spektakel

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Eric Laporte (Lohengrin), Emily Newton (Elsa von Brabant)

Diese Pointe ging manchen Zuschauern dann offensichtlich zu weit, so dass der einsetzende Jubel mit ein paar kräftigen Buhs gewürzt wurde. Bis es aber soweit ist, erleben wir ein „Lohengrin“-Spektakel, das seinem Schöpfer so dicht auf die Pelle rückt, dass es ihn sogar „korrigiert“. Vor allem, was die szenische Entsprechung des musikalischen Schwarz-Weiß-Schemas betrifft. Diese „Korrektur“ geht naturgemäß zu Lasten des hellstimmig strahlenden Paares Elsa und Lohengrin und zu Gunsten der wie die Hunnen daherkommenden einheimischen Brabanter um Friedrich und seine unheimliche Gemahlin, die aus ihren Zauberinnenambitionen hier keinen Hehl macht.

Die mitinszenierten Fragezeichen und Fußnoten sind keine Regisseurs-Willkür

© Bettina Stöß

Emily Newton (Elsa von Brabant), Johannes Lang (Wotan), Sangmin Lee (Friedrich von Telramund), Martina Dike (Ortrud), Jochen Kuhl (Parzifal), Eric Laporte (Lohengrin) und Ensemble

David Herrmann inszeniert die für ihren Opportunismus berühmten Chöre durchweg als differenzierte Parteien. Die Brabanter im Barbarenlook bleiben, ganz gleich was sie singen, was sie sind. Sie akzeptieren mit erkennbarem Widerwillen die Herrschaft des Königs und die Insignien von dessen Macht. Die Zettel mit den Lobpreisungen des Königs zerknüllen sie und werfen sie dessen Leuten vor die Füße. So wie dann auch die an sie verteilten Schärpen mit dem Königslogo. Bei diesen wilden Brabantern, die schon die Streitäxte heben, wenn nur das Wort „Kampf“ fällt, wird jedes „Heil» in Richtung des König zu einer Hohn- oder gar Drohgebärde. Dessen Leute mit ihren geföhnten, blonden Prinz-Eisenherz-Frisuren wirken im Gegensatz dazu wie gut dressierte Besatzungsbeamte. Dass diese Brabanter am Ende unter ihrem neuen Herzog gegen die Ungarn mit in den Krieg ziehen werden, darf man stark bezweifeln.

Doch all die Fragezeichen und Fußnoten, die Hermann hier mitinszeniert, sind keine Regisseurs-Willkür, sondern lassen sich durchaus aus der Vorlage ableiten. Wobei die als aufgescheuchte stilisierte Hühner daherkommenden und mit den Händen flatternden vier Edelknaben in Nürnberg wie ein parodierendes Augenzwinkern in Richtung Bayreuth zu Hans Neuenfels’ Rattenparodie des ganzen Personals in dessen „Lohengrin“ wirkte.

Die Bühne von Ausstatter Jo Schramm glänzt mit einem ausgeklügelten System von hängenden Stangen, aus denen sich mühelos alle Raumsituationen formen lassen. Sie imaginieren Chaos und Ordnung (beim Eintreffen des Königs wie ein gerade fallendes Mikado) ebenso wie das Schwingen der Schwanenflügel (beim Eintreffen des Wundermannes). Sie räumen den Platz für den martialischen mittelalterlichen Käfig mit Elsa drin, oder für die isolierten Inseln, die die Protagonisten für ihre Solo-Auftritte oder die Zweisamkeit im Brautgemach brauchen. Dafür bauen die Brabanter – widerwillig, wie es ihre Art ist – ein großes Doppelbett für das Brautpaar zusammen. So souverän wie diese abstrakten Räume fügen sich die konkreten, fantasievollen Kostüme von Katharina Tasch zu einem Gesamtkunstwerk, das ein vorzügliches Protagonistenensemble komplettiert.

Gesamtkunstwerk mit vorzüglichem Protagonistenensemble

© Bettina Stöß

Daeho Kim (Heerrufer des Königs) und Ensemble

Karl-Heinz Lehner als hochsouveräner und kultivierter König und Daeho Kim als sein Heerrufer steigen mit hohem vokalen Niveau in den Abend ein. Den König in märchenhaft schickem Ge-wand beschirmt sein Sprecher durchweg, nicht mit einem Reichsadler, dafür mit einer goldenen Reichstaube. Natürlich spielen der Südkoreaner Sangmin Lee und die Schwedin Martina Dike als Telramund und Ortrud die dramatisch die Handlung forcierenden Seilvorlagen ihrer Partien voll aus. Er mit einem vokalen und darstellerischen Aplomb, als wäre er Attila persönlich. Sie als geheimnisvolle Fremde im großen Fricka-Format.

Der frankokanadische Tenor Eric Laporte ist ein wunderbar strahlender Lohengrin, auch wenn er äußerlich eher Sigmar Gabriel als einem geheimnisvollen Supermann ähnelt. Seine Stimme hat einen betörenden Gralsklang mit der Spur Traurigkeit, die bei diesem Gralsritter besonders groß ist, weil Elsa ihn schon geküsst hat und er von den Gralsboten regelrecht abgeführt werden muss, als er sich am Ende von ihr nicht trennen will. Emily Newton ist diese selbstbewußte Elsa, die im Brautgemach die Initiative übernimmt. Bei ihren großen Auftritten liefert sie ihren vokalen Beitrag zu Hermanns witzig spielerischer Romantik.

Triumph für die die neue GMD Joana Mallwitz

Dazu die neue GMD Joana Mallwitz am Pult der Staatsphilharmonie Nürnberg! Ihr gelingt schon im Vorspiel jene silbrig blaue Atmosphäre und hinreißende Steigerung, die Thomas Mann einst so ins Schwärmen brachte. Mallwitz hat das Orchester durchweg im Griff und trägt auch die gestalterischen Eigenwilligkeiten bei dem von Tarmo Vaask fabelhaft einstudierten und sich mit Lust in seine Rolle werfenden Chor mit. Auch, dass hier Wotan persönlich verkündet, dass das Unheil in das Haus zieht. In Nürnberg wurde am Ende eine Inszenierung gefeiert, die sich mit einem gewissen Quantum staunender Neugier der Geschichte nähert und sie mit Witz und dem Wissen um das ganze Wagneruniversum hinterfragt. Mit einem glänzenden, spielfreudigen Protagonisten- und Chorensemble auf der Bühne und einem fabelhaften, inspirierend von Joana Mallwitz geführten Orchester im Graben.

Staatstheater Nürnberg
Wagner: Lohengrin

Joana Mallwitz (Leitung), David Hermann (Regie), Jo Schramm (Bühne, Licht & Video), Katharina Tasch (Kostüme), Karl-Heinz Lehner, Eric Laporte, Emily Newton, Sangmin Lee, Martina Dike, Daeho Kim, Chor und Extrachor des Staatstheater Nürnberg, Staatsphilharmonie Nürnberg

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