Er hat unzählige Werke initiiert und uraufgeführt, viele Jahre lang galt er als der einzige, der Bernd Alois Zimmermanns Trompetenkonzert spielen konnte. Der Schwede Håkon Hardenberger ist unbestritten der interessanteste klassische Trompeter der letzten zwei Jahrzehnte.
Herr Hardenberger, was bedeutet Ihnen die Trompete?
Sie ist ein Körperteil. Ich spiele sie jetzt so lange, ich kann mir kein Leben ohne sie vorstellen. Da würde ich krank werden.
Was lieben Sie besonders an der Trompete?
Jeder Musiker wird sagen: Mein Instrument kommt der menschlichen Stimme am nächsten. Aber für die Trompete stimmt das! Es ist Lippe zu Mundstück, nichts dazwischen, sie wird mit dem Atem gespielt. Die Trompete ist ein sehr direktes Instrument, der Ton kommt gerade heraus. Sie kann ein ganzes Sinfonieorchester überpowern, aber auch sehr weich sein.
Und was hassen Sie an der Trompete?
Dass man so viel üben muss. Nein, das stimmt nicht, im Gegenteil, ich habe diese handwerkliche Seite wirklich lieben gelernt. Dass man jeden Tag versucht, sich zu verbessern, ist etwas Schönes. Mein Lehrer in Paris hat immer gesagt (mit starkem französischem Akzent): Two Lifetimes is not enough.
Aber Sie können doch gar nicht den ganzen Tag Trompete spielen.
Oh doch. Ich habe gerade eine Art Trainingslager mit dem Schlagzeuger Colin Currie hinter mir, wo wir drei neue Stücke einstudiert haben, da haben wir zehn Stunden pro Tag gespielt. Das geht, wenn man das schon so lange macht.
Wie sind Sie denn zur Trompete gekommen?
Sie war ein Weihnachtsgeschenk, als ich acht Jahre alt war. Das war mehr ein Spaß – es gab keine Musik in unserer Familie, meine Eltern haben auch nie gesagt: Du musst üben. Sehr wichtig war der erste Lehrer, durch ihn ist mir die Musik zur Droge geworden.
Damals gab es einen klassischen Trompeter, den jeder kannte: Maurice André. War er Ihr Vorbild?
Ich habe ihn sehr früh im Konzert erlebt, da hatte ich vielleicht ein halbes Jahr Trompete gespielt. Das war ein Erlebnis, auch für meine Eltern, die gar nicht glauben wollten, dass es sowas gibt. Maurice André war derjenige, der die Trompete als Solo-Instrument auf die Bühne gebracht hat. Er war auf jeden Fall ein Vorbild. Dann habe ich aber doch andere Sachen gemacht. Man soll ja niemanden imitieren.
Und die Jazz-Trompeter?
Es war immer klar, dass ich Klassik machen wollte. Aber man kann kein Trompeter sein und den Jazz ignorieren, er ist ein Großteil unserer Geschichte. Clifford Brown, Miles Davis, Dizzy Gillespie, Chet Baker – die sind alle ganz unterschiedlich, sie alle haben das Instrument ausdrucksmäßig entwickelt, dass es nicht nur den einen Trompetenklang gibt, der ins Orchester passt. Für sie war die Trompete ein Mittel zum Sprechen, sie klingt jeweils völlig anders. Es ist natürlich inspirierend, wenn man das auf die klassische Musik übertragen kann.
War es nicht frustrierend zu entdecken, dass es viele Stücke aus dem 18. Jahrhundert gibt – und dann kommt nichts mehr?
Anfangs nicht. Als ich ganz jung war, war Maurice André das Vorbild. Dann, mit 15, 16, haben alle gesagt: Man wird nicht Solist, man geht ins Orchester. Ich dachte, ich müsste nach Amerika zum Studieren, da waren die besseren Orchestertrompeter. Aber dann habe ich Pierre Thibaud getroffen und bin aufs Pariser Konservatorium gegangen. Ich habe ein paar internationale Wettbewerbe gemacht und gemerkt, ich könnte vielleicht doch Solist werden. Und dann war es wirklich frustrierend, dass es keinen Brahms und keinen Beethoven gibt. Aber ich habe sehr schnell verstanden: Man darf nicht nur U-Musik-Konzerte machen, sondern muss sich ein Repertoire mit Substanz erarbeiten, das wirklich mit den großen Geigenkonzerten mithalten kann. Jemand hat mir das Zimmermann-Konzert gezeigt, das seit den 50er Jahren nicht gespielt worden war, ich habe angefangen es zu spielen, und dann kamen früh in der Karriere weitere wichtige Stücke – und jetzt gibt es wirklich viele wichtige Stücke.
Viele Ihrer Kollegen spielen weiterhin Bearbeitungen.
Es ist anstrengend, so oft von zu Hause weg zu sein und herumzureisen – und das für zehn Minuten D-Dur? Nee! Wenn ich mich vor 2000 Leute stelle und sage: Hier bin ich, dann muss ich was Wichtiges zu sagen haben. Maurice hat seine Oboenkonzerte in den 60er Jahren gespielt. Aber dann kam die große Barockbewegung, die Entdeckung der Originalinstrumente. Heute noch solche Bearbeitungen zu spielen, ist eher Unterhaltung als Kunst.
Gehen viele Aufträge von Ihnen aus?
Jedes Stück hat seine Geschichte. Das Birtwistle-Konzert zum Beispiel, das ich 1987 uraufgeführt habe, war ein Auftrag des berühmten Paul Sacher. Sacher wollte ein Streichorchesterstück, aber Birtwistle hat gesagt: Ich will ein Trompetenkonzert schreiben. Und Sacher fragte: Für wen denn? Meinen Namen kannte er nicht und sagte: Nein! Darauf Birtwistle: Dann gibt’s kein Stück. Das war schon unglaublich. Später ist der Anstoß manchmal von mir gekommen, manchmal von den Komponisten, manchmal von Institutionen. Viele Komponisten sagen: Es ist schön, für ein Ins¬trument zu schreiben, für das es kein großes Gepäck gibt. Brahms guckt einem nicht über die Schulter und sagt: Naja…
Kennen sich die Komponisten mit der Trompete aus, oder sind Sie da als Berater gefragt?
Wenn ich zu viel sagen würde, würde ich immer dasselbe Konzert bekommen. Jeder Komponist hat sein eigenes Bild von der Trompete, ob sie stark ist oder etwas Zerbrechliches hat oder beide Seiten.
Aber da kann ein Stück leicht unspielbar werden.
Ich sage ungern: Das geht nicht – nur wenn ich es wirklich versucht habe oder auf Anhieb sehe, das ist unmöglich. Das ist ja auch das, was mich reizt, so entwickle ich mich weiter – noch ein paar Jahre. Mehr als 30 Jahre spiele ich jetzt, mein erstes professionelles Konzert war vor über 30 Jahren.
Ist auf der Trompete klanglich noch viel zu entdecken?
Das Interessante sind nicht die Effekte. Es geht eher darum, wie man mit der traditionellen Technik umgehen und sie ausdrucksmäßig erweitern kann.
Sie spielen aber auch immer noch Haydn und Hummel.
Natürlich, die guten Sachen spiele ich. Aber davon gibt es nicht so viele.
Warum spielen Sie Haydn auf einem modernen Instrument?
Man muss das schon so gut spielen wie die Spezialisten. Und da kann ich nicht einen Tag Zimmermann auf der modernen Trompete und den anderen Tag Haydn auf der Barocktrompete spielen. Ich zumindest kann das nicht. Es gibt Trompeten, die sehen wie original aus, funktionieren aber wie ein modernes Instrument, nur ohne Ventile. Aber wenn man es richtig macht: großes flaches Mundstück, keine Löcher – das ist was ganz anderes!
Ein Geiger spielt nur eine Geige, Sie wechseln allein beim Konzert von Mark-Anthony Turnage zwischen drei Instrumenten.
Es fängt dunkel an mit dem Flügelhorn, geht durch große Energie auf der C-Trompete und endet hoch und schön auf der Piccolotrompete. Für Haydn kommt noch die Es-Trompete hinzu, manchmal spiele ich noch Kornett – macht fünf verschiedene Instrumente. Hin und her zu wechseln ist aber kein Problem.
Fühlen Sie sich als Trompeten-Solist wie ein Exot im Konzertleben?
Am Anfang war das schon so, vor allem mit meinem Repertoire. Dafür musste ich schon sehr kämpfen, auch mit Musikern. Aber mit der Zeit baut sich ein Vertrauen auf. Jetzt weiß man, wenn ich ein Stück mitbringe, ist das auch gut.
Sie haben mehrere Professuren. War das anfangs auch eine Absicherung gegen die Unsicherheit des Solistenlebens?
Nein. Ich habe viel Glück gehabt, ich konnte mit 24 schon meine erste Schallplatte aufnehmen. Ich möchte das, was meine Lehrer mir vermittelt haben, und meine eigenen Erfahrungen weitergeben. Außerdem ist es manchmal gut, in Worte zu fassen, was man tut – Musik ist ja etwas sehr Unkonkretes. Und schließlich möchte ich auch gern in meiner Stadt arbeiten. Ich habe nur in Malmö eine echte Professur, in Manchester und London gebe ich nur regelmäßig Meisterklassen.
Haben Sie einen Überblick, wie viele Werke Sie uraufgeführt haben?
Nein, aber es sind ziemlich viele.
Merken Sie schnell, ob ein Stück wirklich Substanz hat? Oder ist es so, dass das eine Stück mit der Zeit immer spannender wird, das andere immer langweiliger?
Ja, in den guten Stücken entdeckt man immer neue Schichten, da öffnen sich immer neue Türen. Haydn zum Beispiel kann man hundert Mal spielen, und man entdeckt immer noch eine Tür, durch die man nie gegangen ist. Bei Hummel gibt es nicht so viele Türen.
Haben denn einige der Werke, die Sie uraufgeführt haben, ein ähnliches Gewicht wie das Haydn-Konzert?
Ja! Es ist ja so: Es kommt zur Geburt. Und wenn ich ein Stück gut finde, versuche ich es zu verkaufen. Aber dann muss es sein eigenes Leben beginnen, dass immer mehr Trompeter es spielen. Ich habe vor ein paar Wochen wieder das Birtwistle-Konzert gespielt – davon bin ich überzeugt! Auch das Zimmermann-Konzert und Aerial von HK Gruber, das ich über 60 Mal gespielt habe – das sind Meisterwerke! Auch beim Turnage entdecke ich immer noch neue Türen!