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Interview Christiane Karg

„Schönklang war mir immer zu langweilig”

Die Sopranistin Christiane Karg über musikalische Farben, melodiöse Sprachen – und was es mit Ihrer „Silberstimme” auf sich hat

Viele Künstler müssen sich erst daran gewöhnen, immer dann arbeiten zu müssen, wenn alle anderen frei haben. Christiane Karg indes wusste schon lange vorher, was das bedeutet …

Sie wuchsen im fränkischen Feuchtwangen auf, gleich mit Blick auf eine Bühne …

Christiane Karg: … eine Sommerbühne für Sprechtheater. Von meinem Fenster in meinem Kinderzimmer konnte ich Theater hautnah miterleben. Das war die Normalität. Im April wird alles aufgebaut und bis August wird dort gespielt.

Dort liegt auch das von Ihrer Familie betriebene „Café am Kreuzgang”.

Karg: Mein Elternhaus ist praktisch ein Teil des ehemaligen Benediktinerklosters. Mein Großvater hatte das Haus gekauft. Und wenn man unten im Café sitzt, dann kann man durch romanische Bögen in den Kreuzgang schauen. In unserem Haus waren früher die Winterschlafzellen der Mönche.

Christiane Karg
Christiane Karg © Gisela Schenker

Was haben Sie dort gelernt, was Ihnen später in Ihrer Karriere geholfen hat?

Karg: Sehr viel. Meine Eltern haben immer hart gearbeitet, auch an den Feiertagen, am Abend, den Wochenenden. Mit dieser Einstellung wuchs ich auf. Das ist gar nicht so weit vom Opern- und Musikbetrieb entfernt. Auch hier wird zu ungewöhnlichen Zeiten gearbeitet.

Und immer gelächelt?

Karg: Nun ja, in der Gastronomie ist der Kunde König. Und auch bei einer Künstlerin interessiert es niemanden, wie es einem wirklich geht. Man darf sich nichts anmerken lassen und beißt sich eben durch. Wenn ich manchmal sehe, wie viel meine Schwester, die den Betrieb jetzt führt, an einem Sonntag laufen muss, dann kommt mir mein Job geradezu einfach vor.

Würden Sie manchmal gerne mit ihr tauschen?

Karg: Nein! Und sie übrigens auch nicht. Wie auch nicht meine andere Schwester. Die würden es hassen, immer Koffer packen zu müssen. Alle sind glücklich, wo sie sind, sie bewundern mich auch nicht, sondern jeder hat Respekt vor der Arbeit des anderen. Ich bin sehr stolz auf meine Familie. Ich wohne zwar in Berlin, habe aber immer noch in Feuchtwangen ein wirkliches Zuhause. Ich weiß, sollte es mit meiner Karriere nicht weiter gehen… ich hätte dort immer einen Platz.

Derzeit läuft es ja recht gut mit Ihrer „Silberstimme“. Was ist eigentlich damit gemeint?

Karg: Ich fürchte, es ist sogar meine Schuld, wenn in einigen Artikeln über mich immer „Silber“ steht. Das habe ich in einem Interview zu meiner Aufnahme der Richard Strauss-Lieder gesagt. Dabei geht es mir um eine typische Farbe bei Richard Strauss. Im Gegensatz zur runden, dunklen, üppigen Goldstimme, der Puccini-Farbe, einer Mimì etwa. Anna Netrebko hat für mich so eine Goldstimme. Bei Strauss’ Musik ist immer noch ein silberner Faden eingewirkt, etwas Schwebendes, Feines.

Christiane Karg
Christiane Karg © Gisela Schenker

Es heißt, Sie sprechen fließend Italienisch und Englisch, dazu noch Spanisch, Französisch …

Karg: Irgendwie muss man ja mit den Kollegen kommunizieren. Zudem singe ich auch etwas Französisch, ganz wenig Spanisch. Partien in unterschiedlichen Sprachen. Irgendetwas muss da hängenbleiben, aber vielleicht bin ich auch sprachbegabt, was ja bei musikalischen Menschen nicht selten ist.

Tschechisch wollten Sie auch lernen.

Karg: Das steht noch aus, ich habe mir schon ein Lehrbuch gekauft, bin aber in der ersten Lektion hängen geblieben.

Janáček hat die Sprache seiner Landsleute erforscht, sammelte Volkslieder und prägte die sogenannte „Sprachmelodie”. Ist die tschechische Sprache tatsächlich so „musikalisch”?

Karg: Er hat ja sehr an der Sprache entlang komponiert, Tschechisch hat für mich etwas Sprödes, das gefällt mir außerordentlich gut.

 

Gibt es für Sie Sprachen, die sangbarer sind als andere?

Karg: Viele sagen, das Deutsche sei so abgehackt, mit sehr vielen Konsonanten. Das finde ich nicht. Im Deutschen wie auch im Französischen gibt es sehr viel Lautmalerei, das hat das Italienische mit seinen vielen Vokalen so nicht. Sie wird zwar als gesangliche Sprache beschrieben, aber viel wichtiger ist, was man mit der Sprache macht. In der Musik und somit im gesungenen Wort kann man eine andere Zeit fühlen. Da ist die Sonne nicht innerhalb einer halben Sekunde „gesprochen“, sondern wenn man etwa eine Vokalise auf dem Wort hat, dann bekommt die Bedeutung des Wortes eine ganz andere Qualität. Die Sprache wird sozusagen durch die Musik „verlängert“.

Sie sind eine der wenigen Sängerinnen, die noch Wert auf Wortverständlichkeit legen. Warum ist das so aus der Mode gekommen?

Karg: Es wird viel Wert auf Schönklang gelegt, aber das war mir immer zu langweilig. Mich interessieren die Ecken und Kanten. Dass man eine schöne Stimme hat, ist eine Voraussetzung des Berufes. Damit ist man aber noch lange kein wirklicher Interpret. Wenn jemand einen Sterbenden auf der Bühne darstellt, dann geht es nicht darum, dass er schön singt, sondern dass er so nah, so wahrhaftig wie möglich diese Todesahnung darstellt.

Bei Französisch klinge Ihre Stimme vielleicht am besten, sagten Sie einmal in einem Interview. Nachprüfen lässt sich das auf Ihrer jüngst erschienenen CD, die „Parfum” heißt.

Karg: Offenbar ist das ein sehr ‚markttauglicher‘ Name, wie ich gelesen habe. Dabei habe ich gar nicht daran gedacht. Wirklich nicht. Parfum ist ein wichtiger Begriff in der französischen Lyrik und taucht immer wieder in den ausgewählten Stücken auf. Der Begriff trifft zudem die Auswahl, die Farbe der Vertonungen, die ich gewählt habe. Es ist alles sehr in Pastellfarben, transparent, duftig, in der Luft sich verstäubend, eine Momentaufnahme, angedeutet, nie gegenständlich, impressionistisch.

Christiane Karg
Christiane Karg © Gisela Schenker

Vor welcher Herausforderung steht ein Sänger, wenn die Verse, wie etwa bei den Verlaine- und Hugo-Vertonungen des erst 14-jährigen Benjamin Britten, selbst Musik sind?

Karg: Wenn das Gedicht bereits in sich klingt, dann braucht es die Kunst der Schlichtheit. Das ist wohl das Schwierigste. Es darf keine Überinterpretation geben. Dann erst kann die Musik aufblühen. Ich bin übrigens bei der Auswahl der Werke zunächst von den Gedichten, den Dichtern ausgegangen. Und nicht unbedingt von den Komponisten. Mir ging es um Charles Baudelaire, Victor Hugo, Paul Verlaine, Leconte de Lisle und Tristan Klingsor. Alle Lieder gibt es zudem als Klavierfassung.

Welcher Unterschied besteht für Sie als Liedinterpretin zwischen Klavier-und Orchesterfassung?

Karg: Ein sehr großer! Man darf das Orchester nicht unterschätzen. Es ist ein großer Unterschied, ob man nur mit sozusagen einer Stimme als Begleitung auftritt oder mit hundert Musikern. Die Farbgebung ändert sich gewaltig. Man muss sich den Atem, die Phrasen neu zurechtlegen. Mit einem Orchester ist es noch anstrengender, man muss noch mehr aus dem Vollen schöpfen.

Überhaupt muss man recht tough sein heutzutage als Opernsängerin. In Mozarts „La finta giardiniera” in Glyndebourne 2014 haben Sie sich das Knie gebrochen und dennoch tapfer weiter gesungen …

Karg: Ich habe zunächst keinen Schmerz gespürt, ich bin nur wahnsinnig erschrocken, als ich an meinem Bein heruntersah. Das sah irgendwie seltsam aus … Und dann stand da noch im Text einer Arie „ich kann mich nicht bewegen, wer hilft mir“. Da haben alle gelacht. Ich war aber nicht irgendwie eine Heldin, sondern habe von einem Stuhl aus weiter gesungen und meinen Beruf gemacht.

Wie damals im Café Ihrer Eltern.

Karg: Genau! The show must go on!

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