Da sitzt er im elegantem Zweireiher mit Weste und Spazierstock und dem blasierten Blick des aristokratischen Lebemannes: der Tenor Charles Castronovo in der Kleidung und der Pose von Giacomo Puccini auf dem Cover einer CD mit kaum bekannten Liedern des italienischen Operngottes und versierten Spielers auf der Klaviatur der Gefühle. Und der Geschäfte. Denn mit kaum Vierzig war der passionierte Frauenheld, Jäger, Auto- und Motorbootfahrer Puccini ein sehr wohlhabender Mann. Castronovo meint, dass die Freiheit, die ihm der Wohlstand gab, seine künstlerische Entwicklung nicht einschränkte, auch wenn er nicht so viele Opern geschaffen habe wie Verdi, Donizetti oder Massenet. Hundert Jahre nach seinem Tod 1924 weiß man aber auch, dass hinter Puccinis glänzender, schillernder und mondäner Fassade ein einsamer, depressiver und arroganter Mann mit misanthropischen Zügen stand, der ungern Geld für andere ausgab.
Adoptivkind Puccinis
„Wenn ich Puccini persönlich begegnen könnte“, sagt Castronovo, „dann würde ich ihn um eine Arie bitten. Mehr noch als die musikalischen Dinge würde es mich interessieren, wie Puccini gelebt hat als ein Mann in dieser Zeit; seine Lebenserfahrungen, und wie er diese Emotionen in die Musik übertragen hat.“ Und: „Ich würde ihn fragen, ob er mich adoptieren würde.“ Auf die sechzig Zigaretten und Zigarren, die der Meister am Tag rauchte, weshalb er an Kehlkopfkrebs starb, würde Castronovo allerdings verzichten.
Anders als Puccini, dessen Ururgroßvater schon im 17. Jahrhundert in Lucca die Orgel spielte, wuchs Castronovo in Rancho Cucamonga, östlich von Los Angeles, als Sohn eines sizilianischen Vaters und einer ecuadorianischen Mutter mit Volksliedern auf. Ein Rockstar wollte er werden. Mit einem Freund übte er in der Schul-Mittagspause Beatles-Songs, gründete eine Band, trat in Schulmusicals auf. Die Reaktionen des Publikums, insbesondere des weiblichen Teils, habe den damals pubertierenden Jungen süchtig gemacht, bekannte er einst.
Lernen von Bugs Bunny
Schon damals bemerkte er: So leicht ihm der Gesang auch fiel – der Klang seiner Stimme war zu rein, zu wenig rauchig für einen echten Rock ’n’ Roller. Abgesehen von Rossinis „Barbier von Sevilla“ in den Bugs-Bunny-Cartoons kannte er die Oper nicht, doch als er auf einer CD Plácido Domingo in Verdis „Otello“ hörte, war es um ihn geschehen. Bis heute bezeichnet er ihn als einen seiner Götter. Den idealen Belcanto-Ton definiert er mit den Worten „warm, dunkel, schimmernd und voller Vibrato“. Doch dabei „nicht schwer sondern frei“.
Einen Namen machte sich Castronovo in Mozart-Opern, etwa als Tamino in der „Zauberflöte“, Don Ottavio in „Don Giovanni“ und Belmonte in „Die Entführung aus dem Serail“. Er brillierte aber auch in lyrischen französischen Tenorrollen und – natürlich – als Rodolfo in Puccinis „La bohème“. Puccinis Lieder sieht er als eigenständige Kompositionen und keineswegs als Nebenprodukte der Opernwerkstatt oder gar Jugendsünden. Im Unterschied zu der Aufnahme von Plácido Domingo von 1989 präsentiert er sie nun in einer orchestrierten Version.
Im Bewusstsein, dass die Optik eine große Rolle auf der Bühne spielt, trainierte er seinen Körper zeitweise mit einem ehemaligen Marinesoldaten, was ihm nicht allzu große Freude einbrachte. Doch er weiß: „Ich singe besser, wenn ich trainiere und in Form bin.“ Das Militär und besonders seine Geschichte hat ihn bereits als Jugendlicher fasziniert. Als junger Mann erwog er, in die amerikanische Armee einzutreten, wegen der Kameradschaft und um dem Land zu dienen. Er habe damals „eine sehr romantische Idee von Krieg und Heldentum“ gehabt, räumt er heute ein, findet es aber nach wie vor wichtig, sich über die politische Lage zu informieren. „Ich bin dennoch sehr froh, dass ich Tenor wurde. Man kann auch so Menschen helfen und inspirieren, deren Stimmung aufhellen, sie für einen Moment in eine andere Welt entführen.“