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Opern-Kritik: Rossini Opera Festival – LA DONNA DEL LAGO

Rossinis alte Liebe

(Pesaro, 11. August 2016) Juan Diego Flórez führt im Mekka des Belcanto ein Traum-Ensemble an

vonPeter Krause,

In der Oper geht’s um die Liebe, freilich kaum je um die erfahrenen Emotionen von Senioren, vielmehr um die großen Gefühle junger Leute. Die Irrungen und Wirrungen des Eros müssen noch ungebremst und unbedingt, grenzenlos träumerisch und gern auch eifersüchtig aufeinander prallen. Dreierbeziehungen der Bauart “Sopran liebt Tenor, Bariton begehrt Sopran” bieten willkommen konfliktträchtige Konstellationen, sorgen für spannungsgeladene Duette und Terzette. Was dann aus den frühen Liebesträumen so wird, erfahren wir im Musiktheater indes fast nie. Was oft auch besser ist, lässt es uns doch nach der Oper mit ein paar schönen Illusionen nach Hause gehen. Regisseure allerdings dürfen sehr wohl darüber nachdenken und die Frage stellen: “Was wäre, wenn Sopran und Tenor in 50 Jahren immer noch zusammen sind?”

 

Was bleibt eigentlich von der großen Liebe – im reifen Rentenalter?

 

Damiano Michieletto hat sich entschieden, darüber zu reflektieren, was denn aus Elena und Malcolm im leicht gebeugten Rentenalter geworden sein wird. Schon im Vorspiel von Rossinis reifem opera seria-Meisterwerk La Donna del Lago dürfen wir zuschauen, wie in einem gutbügerlich spießigen Haushalt zwei in die Jahre gekommene Herrschaften sich reichlich anöden. Immerhin knallt der Alten seiner Alten am Ende des Vorspiels die Wohnzimmertür zu. Grund dafür könnte ein bezaubernder junger Herr sein, dessen Bildnis auf dem Tisch der heimischen Sitzgruppe steht. Es zeigt das Antlitz des Juan Diego Flórez, der an diesem denkwürdigen Abend König Jakob V. von Schottland singen wird. Als Jäger verkleidet trifft der König zu Beginn der Oper just auf die schöne junge Elena, gibt sich als Uberto von Snowdon aus und verliebt sich unsterblich in die Tochter des Aufständischen Herrn Duglas, der natürlich auf politischem Parkett sein Feind ist.

 

Die Revoluzzer von einst landen alsbald im Establishment

 

Elena scheint nun keineswegs ganz abgeneigt, sich mit dem freundlichen Fremden anzufreunden. Und doch will sie ihrer Liebe zu Malcolm treu bleiben. Das für italienische Verhältnisse ziemlich gewagte Regiekonzept, das Elenas gleichsam lebenslangem Zwiespalt nachspürt, kann sich nun durchaus deutlich auf Gioachino Rossini berufen. Der Komponist räumt nämlich dem Paar, das sich am Ende leider nicht kriegt, einen so enormen langen, intensiv und intim duettierenden Zeitraum ein, dass die musikalische Zuneigung Rossinis durchaus eindeutig zum Vorschein kommt. Diesem Paar wünscht man einfach echtes Liebesglück. Michieletto stellt nun dem jungen singenden Paar keineswegs aufdringlich, sondern psychologisch klug die stummen Darsteller der alten Elena und des alten Malcolm gegenüber. Letztlich erzählt der Regisseur die Handlung der Oper somit als eine Rückblende, was in mancher Hinsicht erkenntnisfördernd für das Beziehungswirrwarr des Stücks ist. Und zudem die immer wieder neue Wahrheit vermittelt, wie die Revoluzzer von einst alsbald im Establishment landen. 

 

Der Belcanto-König in Mitten eines Traumensembles

 

Die in der Personenregie präzise gearbeitete wie in ihren (Natur-) Bildern der Vergänglichkeit poetische imaginative Inszenierung der musikalisch an Kostbarkeiten reichen opera seria stützt sich einmal mehr auf ein Ensemble, das bis in die Nebenrollen hinein nicht besser vorstellbar ist. Zwar ist Flórez mit seinen edelsüßen Piani, den geschmackvollen Phrasierungen, dem stilgenauen Schmelz und den mühelos natürlichen, stupenden Spitzentönen bis hinauf zum hohen D der geborene Belcanto-König. Doch neben dem Star können sämtliche Kolleginnen und Kollegen auf Augenhöhe mithalten. Viele von ihnen kommen aus der festivaleigenen Sängerschmiede der Akademie. So auch die fabelhafte georgische Sopranistin Salome Jicia, die der Elena ihr anschmiegsam weiches und warmes Organ und eine berückende Erscheinung leiht. Ihr Pesaro-Debüt allerdings feiert als Hosenrollen-Malcolm mit Varduhi Abrahamyan ein Edel-Mezzo, der sowohl über satte und sirrende Carmen-Qualitäten als auch über die erforderliche Rossini-Agilität verfügt. Elenas dritter Liebhaber, der ihr vom Vater Duglas (imposant, wohl- und vollklingender Bass: Marko Mimica) zugedachte Hauptmann des Clans namens Rodrigo, verlangt nach einem zweiten Rossini-Tenor von idealer Statur. Auch über ihn verfügt das Rossini Opera Festival in Gestalt und Stimme von Michael Spyres: Geradezu sportiv steuert der Amerikaner die multiplen Extremtöne an. Die rustikalere Stimmfärbung, aber nicht minder gewandte Stimmführung kontrastiert perfekt zum raffinierten Flórez-Ton. Ein großartiger Abend, den Michele Mariotti am Pult des Orchestra del Teatro Comunale di Bologna mit delikaten Zwischentönen, fein ausgehörten Crescendi und letztlich eben einem ausgeprägten Rossini-Geist adelt, von dem deutsche Opernorchester meist doch nur Bahnhof verstehen.

 

Rossini Opera Festival

Rossini: La Donna del Lago

 

Mitwirkende: Michele Mariotti (Leitung), Damiano Michieletto (Regie), Paolo Fantin (Bühne), Klaus Bruns (Kostüme), Juan Diego Flórez, Marko Mimica, Michael Spyres, Salome Jicia, Varduhi Abrahamyan, Ruth Iniesta, Francisco Brito, Orchestra e Coro del Teatro Comunale di Bologna

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