Opern-Kritik: RADIO FRANCE– LA JACQUERIE

Liebestod auf Französisch

(Paris, 11.3.2016) Nicht nur Richard Wagner, auch der Spätromantiker Édouard Lalo liebte das Mittelalter – eine aufregende Wiederentdeckung

© Jean-François Leclercq

Er gehört zu den von der Musikgeschichte bestraften Ein-Hit-Komponisten. Ein trauriges Schicksal, das Èdouard Lalo mit seinem Landsmann Bizet teilt: Während letzterer mit seiner Carmen immerhin eine veritable Top Ten-Oper schrieb, kennt man Lalo eigentlich nur durch seine Symphonie espagnole, die anno 1875 just einen Monat vor der Carmen das Licht der Musikwelt erblickte. Das folklorefarbene, Pablo de Sarasate gewidmete Violinkonzert wie die Carmen verbindet der französische Blick auf das ach so exotische südliche Nachbarland, wobei Lalo sich rühmen kann, den authentischeren Zugang zu haben: In ihm floss schließlich auch spanisches Blut.

Germanophiler Franzose mit spanischem Blut

Viel zu wenig bekannt ist freilich, dass Lalo drei Opern hinterließ, die alles andere als Petitessen sind, die nur echten Feinschmeckern munden würden. Seinen Erstling Fiesque wollte der sehr wohl auch germanophile Komponist nach dem Erringen eines wenig hilfreichen 3. Platzes eines Pariser Kompositionswettbewerbs zunächst der Hamburger Oper zueignen. Der Deutsch-Französische Krieg von 1870 machte die Hoffnungen zunichte. Auch die Pläne einer Uraufführung in Brüssel zerschlugen sich. Lediglich Ausschnitte wurden schließlich in Konzerten in Paris zu Gehör gebracht. Le Roi d’Ys war hernach mehr Glück beschieden, in der Opéra Comique erlebte die bretonische Legende einen Riesenerfolg, der sich in der Mitte des 20. Jahrhunderts mit einer triumphalen Welle von stolzen 490 Pariser Aufführungen fortsetzte.

Mittelalter-Nostalgie statt Naturalismus-Orgie

Die dritte und letzte Oper aus Lalos Feder hat es bis heute schwerer. Wobei die musikalische von Qualität von La Jacquerie durchweg begeistert, wie die jetzige konzertante Ausgrabung im Auditorium von Radio France beweist. Eine CD-Produktion der Oper entsteht gerade und wird im Herbst veröffentlicht. La Jacquerie greift eine Liebesgeschichte zu Zeiten des blutigen Bauernaufstands im Jahr 1358 auf: Der junge Revoluzzer Robert verehrt die aristokratische Blanche. Er stellt sich schützend zwischen das wütende Volk und ihren Vater, den Gutsbesitzer, ohne dessen Tod verhindern zu können. Von den Bauern verfolgt, wird er verletzt und stirbt in Blanches Armen, die ins Kloster geht, den Liebestod. Die Mittelalter-Nostalgie der Romantik feiert bei Lalo also nochmals Auferstehung – als sich in der italienischen Oper längst der moderne Naturalismus der Verismo-Reißer ankündigt.

Aufregende Anklänge

Doch klingt Lalo für seine Zeit altmodisch? Mitnichten. Die Einflüsse sind indes vielfältig. Nur die gewaltigen Chöre – und im Falle einer Inszenierung monumentalen Massenszenen – erinnern noch an die Grand Opéra eines Meyerbeer, die mittlerweile abgewirtschaftet hatte. Der Lyrismus des tenoralen Schwärmers Robert aber lässt unmittelbar an Massenets Werther denken, der kaum zufällig zeitgleich entstand. Die unmögliche Liebe zwischen Blanche und Robert hat große Ähnlichkeit mit der verbotenen Beziehung von Charlotte und Werther. Überhaupt ist die gesamte Tonsprache in ihren Farben urfranzösisch.

Die harmonische Würzung und die durch Blechbläser geschärften dramatischen Effekte indes verdankt Lalo durchaus auch Richard Wagner, dessen Ring-Kühnheiten im Orchester immer wieder anklingen. Der gern beschworene Sehnsuchtston des Englischhorns ist – zumal im Vorspiel zum Finalakt – durch und durch tristanesk. Ganz anders indes als der zehn Jahre ältere deutsche Übervater baut Lalo in seinem Mittelalterdrama aber auch mit Vorliebe eine antikisierende Motivik ein, die seiner Oper eine Spur echter Couleur längst vergangner Zeiten verleiht, die man folkloristisch nennen kann, die aber mehr ist, weil sie eine authentische Aura vermittelt. Ab und an klingt aber auch schon eine impressionistisch schillernde Farbgebung an. Auch ein Debussy ist nicht von Himmel gefallen.

Ein lyrisch strahlendes Lalo-Traumpaar: Véronique Gens und Edgaras Montvidas

Die aktuelle Pariser Sängerbesetzung unterstreicht entschieden die französischen Valeurs der Partitur. Die Entscheidung ist stimmig: kein Heldentenor für Robert und kein dramatischer Sopran für die Blanche. Stattdessen erleben wir feinstimmige Stilisten, die über eine edle Voix mixte verfügen und sich auf eine perfekte Textausdeutung verstehen. Mit ihrem vornehm nachgedunkelten, an der Textprägnanz der Alten Musik geschulten Sopran führt Véronique Gens als Blanche das Ensemble an. Sie gibt eine ihrer selbst bewusste, oboenumflorte Femme fragile. Grens leitet große und theatralisch glaubwürdige Intensität aus lyrischer Intimität und raffiniert abgemischter delikater Farbigkeit ab. Dazu passt perfekt, dass Edgaras Montvidas als Robert seinen Tenore di grazia nicht bruststimmig versteift, sondern seinerseits auf die französischen Tugenden einer klug ausgebauten Kopfstimme setzt. Oft hört man heraus, dass der Litauer ein gefragter Werther ist, die Leidenschaft langer Legatolinien und der wohldosierte Schmelz seines Singens erinnern mitunter an Nicolai Gedda.

Sehr gut besetzt sind auch die tiefe Stimmen, allen voran Nora Gubisch als Jeanne mit grandioser französischer Mezzo-Idiomatik, der sie freilich auch, ganz der Partitur gemäß, so manche verdianisch keifende Amneris-Töne beimischt. Patrick Davin dirigiert das zumal in den charakteristischen Holzbläsern gar exquisit besetzte Orchestre Philharmonique de Radio France mit punktgenau herausgekitzelten Effekten und viel Gespür für die Schönheiten dieser sehr französischen Partitur, deren Wiederentdeckung einmal mehr dem Forschergeist des im Palazetto Bru Zane von Venedig angesiedelten Centre de musique romantique francaise zu danken ist.

Radio France

Lalo: La Jacquerie

Patrick Davin (Leitung), Véronique Gens, Nora Gubisch, Edgaras Montvidas, Florian Sempey, Alexandre Duhamel, Julien Véronèse, Rémy Mathieu, Choeur und Orchestre Philharmonique de Radio France

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