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Blind gehört Simon Höfele

„Warum nicht mal ein bisschen semplice?“

Trompeter Simon Höfele hört und kommentiert Aufnahmen, ohne dass er weiß, wer spielt.

vonJakob Buhre,

Nicht nur mit Klassik kennt sich Simon Höfele gut aus, sondern auch mit Kaffee. Als er sich im Büro seiner Berliner Agentur eine Tasse einschenkt, verrät der Trompeter, wo er einen Großteil der Pandemie-Zeit verbrachte: „Ich habe in Karlsruhe ein spezielles Café entdeckt, wo sie verschiedene Kaffeearten servieren. Spontan habe ich gefragt, ob sie noch Mitarbeiter suchen – und dann habe ich dort ein Jahr lang als Barista gearbeitet.“ Es sei nicht selten vorgekommen, dass Kollegen vom Staatstheater oder der Musikhochschule verdutzt am Tresen standen und sich fragten, warum ihnen dieser Barmann so bekannt vorkam.

Hummel: Trompetenkonzert Es-Dur

Wynton Marsalis (Trompete), National Philharmonic Orchestra, Raymond Leppard (Leitung)
CBS 1983

Aha, Es-Dur. Hummel hat dieses Konzert ja in E-Dur komponiert, aber für das Spiel auf einer modernen B-Trompete wird es meistens nach Es-Dur transponiert, wodurch es nicht mehr ganz so spritzig klingt. Das hier ist schön gespielt, es hat zum Teil auch dieses melancholische Cantabile, was mir gefällt. Vermutlich eine ältere Aufnahme, könnte aus den Achtzigerjahren sein. Håkan Hardenberger ist es jedenfalls nicht. Und Wynton Marsalis auch nicht, der hat eine bessere Intonation. – Ach, doch Wynton? Für mich ist er der größte Trompeter, den wir im Moment haben. Er nimmt Leopold Mozart und Hindemith auf, spielt gleichzeitig Jazz – und er hat für die Trompetenliteratur so viel getan wie Miles Davis und Maurice André zusammen. Das hier ist aber nicht meine Lieblingsaufnahme vom Hummel-Konzert, für mich spielt er es etwas zu bedeutungsschwanger.

Weinberg: Trompetenkonzert B-Dur

Selina Ott (Trompete), RSO Wien, Dirk Kaftan (Leitung)
Orfeo 2022

Das Stück habe ich mal bei einem Wettbewerb gespielt. Sehr kraftvolle Interpretation. Man hört hier sehr gut diese Schostakowitsch-Energie, so als wenn jemand die Starkstromleitung nicht loslassen kann. Technisch ist das einwandfrei. Ich würde mir aber etwas mehr Agogik wünschen, auch mal zwischendurch loslassen, entspannen und dann wieder dem Ganzen Schwung geben – als Trompeter ist man im Zweifel immer laut genug. Etwas mehr Kontraste, etwas mehr warme Farbe vom Dämpfer rausbringen. – Ah, das ist die neue Aufnahme von Selina? Die kannte ich noch nicht. Vermutlich hat sie das in einem Take eingespielt, denn sie ist technisch einfach perfekt.

Debussy: La Plus Que Lente

Sergei Nakariakov (Trompete), Maria Meerovitch (Klavier)
Teldec 2012

Was für ein Vibrato! Von der Klangästhetik her könnte es mein Lehrer Reinhold Friedrich sein. Jemand, der gerne solche Arrangements spielt, ist Sergei Nakariakov. Das ist wunderbar interpretiert, technisch perfekt, stilistisch sehr geschmackvoll. Hier die Spitzentöne, schon außerordentlich, wie leichtfüßig und intonatorisch sauber er das hinbekommt. Es ist auch tolle Musik, aber ich bin grundsätzlich kein großer Fan von Arrangements. Weil man der Trompetenliteratur damit oft einen Bärendienst erweist, man verfestigt ja dieses Vorurteil, wir hätten zu wenig Original-Stücke. Dabei haben wir sehr viele. Bevor ich Debussy arrangiere, würde ich eher ein noch unbekanntes Trompetenstück hervorholen oder etwas Neues komponieren lassen. 

Tartini: Concerto D-Dur

Arturo Sandoval (Trompete), Studio-Ensemble
Crescent Moon Records 2003 

Das klingt nach einer sehr alten Aufnahme. Barockmusik kann so wundervoll sein, wenn man sie energiegeladen spielt, aber das hier finde ich nur langweilig. Da wird einfach jede Note einzeln nebeneinandergesetzt, das Orchester hat auch gar nichts mit dem Solo-Part zu tun. Es fehlt die Leichtigkeit, es ist viel zu eckig gespielt, „Staccato“ heißt ja nicht, dass die Note automatisch kürzer wird, eine Achtel bleibt eine Achtel. Maurice André hat viel Tartini gespielt, aber er ist es nicht. – Arturo Sandoval? Er ist ja vor allem für Latin Jazz bekannt und dafür, wie hoch er spielen kann. Wenn der Kontext dieses Albums gewesen ist, verschiedene Stilrichtungen zu präsentieren, ist das in Ordnung. Aber ich würde mir von ihm wohl nicht das gesamte Tartini-Konzert anhören. 

Killmayer: The Broken Farewell

Reinhold Friedrich (Trompete), RSO Frankfurt, Dimitrij Kitajenko (Leitung)
Capriccio 1993

Hört sich toll an, sowohl das Orchester als auch die Trompete, gesättigter Klang, aber nicht forciert. Das Stück kenne ich nicht, könnte von Copland sein. Ist das vielleicht Alison Balsom? – So wie in der Trompete die Töne leicht angerissen werden, das kenne ich von Reinhold Friedrich. Wobei ich ihn zuerst nicht erkannt habe. Reinhold hat sehr viel für die moderne Trompetenliteratur getan, in dem er viele Werke beauftragt und aufgenommen hat. Ohne Interpreten wie ihn hätten es Komponisten wie Killmayer viel schwieriger gehabt. Ich finde diesen Ansatz, Neuem eine Chance zu geben und dabei auch mal ein Risiko einzugehen, sehr wichtig und werde den auch selbst weiter verfolgen.

James: Trumpet Concerto

David Glänneskog (Trompete), Göteborg Wind Orchestra
Swedish Society 2011

Die Big-Band hier macht auf jeden Fall schon mal Laune. Oh, aber der Trompetenpart, das ist ja so eine Variation des Hummelflug, nein, das ist nichts für mich. Es ist gut gespielt, sicher auch viel Übe-Aufwand, aber wenn ich merke, dass Technik über die Musik gestellt wird, schalte ich ganz schnell weg. Deshalb würde ich auch niemals so etwas wie „Karneval von Venedig“ spielen, das ist für mich absolute Anti-Musik. Da habe ich das Gefühl, es geht nur um: „Guckt mal, wie schnell ich spielen kann!“ Nein, da ist mir ein schöner, langsamer zweiter Satz in einem Haydn-Konzert, in dem technisch gar nichts passiert, viel lieber als so eine Virtuosen-Show.

Hollaender/Keller: Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt

Till Brönner (Trompete), Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, Jörg Achim Keller (Leitung)
Minor Music 1996

Großartig! Ist das Ibrahim Maalouf? Ich bin schwer begeistert, das will ich spielen! Vom Klang her könnte es Chet Baker sein, aber dafür ist die Aufnahme zu neu. Ein wunderbares Stück, grandios! Und vermutlich ist der Trompeten-Teil improvisiert, das könnte ich nicht. Um gut zu improvisieren, muss ich mich ungeheuer anstrengen. – Ach, das ist Till Brönner? Das Stück ist jedenfalls nicht dieser Feelgood-Jazz, den ich von ihm kenne. Sehr einfühlsam. Till hat auf jeden Fall diese sehr emotionale Klangästhetik, die im Jazz eben auch einen viel höheren Stellenwert hat als in der Klassik.

Hindemith: Sonate für Trompete und Klavier

Ludwig Güttler (Trompete), Arkadi Zenziper (Klavier)
Berlin Classics 2004

Dieses Stück ist wahrscheinlich die beste Sonate, die wir als Trompeter haben. Hindemith kann so wunderbar klingen, so melodiös – aber das höre ich hier nicht. Ich bin in einer Holzbläserfamilie groß geworden, und da gab es immer dieses Klischee, dass ein Trompeter laut und trötig spielt. Und das hier klingt leider genau so: laut und trötig. Wenn jemand den Ton immer so ein bisschen nachdrückt, dagegen bin ich allergisch. Und warum hier dieses Vibrato? – Ludwig Güttler? Er hat als Trompeter sicherlich große Verdienste geleistet, aber das hier ist entweder nicht seine Musik oder es war nicht sein Tag. Auch am Klavier, da wird jeder Ton einzeln genagelt, und wenn die Trompete dann noch genauso mitmacht, klingt es wie eine Schlacht, wie ein Massaker. Warum nicht mal ein bisschen semplice, die Musik für sich sprechen lassen, anstatt alles gerade durchzuspielen? Diese Stelle hier muss unheimlich klingen, leise und nicht schnell. Nein, hier ist leider alles gleich laut, gleich schnell und gleich langweilig.

Takemitsu: Paths

Håkan Hardenberger (Trompete)
Philips 1996

Das ist Håkan. Und interessant ist, dass er bei diesem Stück, das für ihn geschrieben wurde, den Harmon-Dämpfer anders verwendet, als Takemitsu es notiert hat. In diesen Dämpfer kann man nämlich einen zusätzlichen Stift – oder auch „Stem“ – einsetzen. Takemitsu schreibt „Stem out“, wodurch der Klang nasaler und obertonreicher wird, aber Håkan spielt es mit Stem, wofür er ganz sicher seine Gründe hat. Vielleicht war es in den Noten ein Druckfehler, so was kommt ja durchaus mal vor. Ich persönlich finde es ohne Stem schöner, weil es dann noch leiser und abgekehrter klingt, man hört dann noch besser dieses schwebende Nichts, wie man es von Takemitsus Musik kennt, und man kann ohne Stem auch die Kontraste besser rausbringen. In jedem Fall spielt Håkan es großartig, das hier ist die Aufnahme für dieses Stück.

CD-Tipp

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