Lukas Sternath ist ein Künstler, der nicht den Status sucht, sondern den Sinn. Einer, der seiner Intuition folgt, um daran zu wachsen. Dieser Umstand lässt sich schon früh in seiner Biografie festmachen. Immer spielten die Frage nach der richtigen Entscheidung im Leben und die mit ihr verbundenen Folgen eine zentrale Rolle. Ein Wiener Sängerknabe ist Sternath dabei längst nicht mehr. Doch blickt der Pianist gern auf die Zeit zurück, die er von seinem zehnten bis vierzehnten Lebensjahr als Chorknabe verbrachte – mit kindlicher Leichtigkeit, aber auch disziplinierter Hingabe. „Da musiziert man einfach drauf los“, sagt er rückblickend. Eine Haltung, die er sich bewahren will. Denn mit der Reife trete im Leben schnell auch eine Ernsthaftigkeit hervor, von der man sich befreien müsse.
Allerdings spielt Sternath bereits in Kindestagen „ambitioniert und mit größtem Ernst“ Klavier. Früh erlebt er Musik als etwas Spielerisches, Ursprüngliches, etwas, das vor allem dann kraftvoll ist, wenn es aus der inneren Überzeugung kommt. Die Entscheidung für das Klavier trifft er daher mit Entschlossenheit. Nicht mit Druck, sondern aus Neugier. Später führt ihn der Weg nach Hannover, zur Klavierklasse von Igor Levit. Die Stadt weiß er längst zu schätzen: die Begegnungen mit Klavierschülern, vor allem aber die idyllische, befreiende Lage der Hochschule im Grünen. Doch schmunzelnd gesteht der Österreicher: „Wenn Levit in Wien gewesen wäre, wäre ich dortgeblieben“.
Die Beziehung zum Lehrer ist prägend. Kein traditionelles Meister-Schüler-Verhältnis, sondern ein Dialog, der von stetiger gegenseitiger Entwicklung getragen wird. Es geht nicht nur um konkrete Konzepte, sondern um philosophische Fragen dahinter: Wer bin ich, wenn ich spiele? Was will ich mitteilen? Levit kennt seinen Schüler genau, gibt keine Lösungen vor, sondern nur die Werkzeuge an die Hand, diese selbstständig zu erarbeiten. Reibung gehöre dazu – nicht als Streit, sondern als Grundlage, um eine höhere ästhetische Ebene zu erreichen.
„Früher kämpfte ich mehr gegen mich selbst“
Vor allem das Verhältnis zur Bühne veränderte sich mit der Zeit grundlegend. Stand anfangs noch sportlicher Ehrgeiz im Vordergrund, geht es heute um die Präsenz von Kunst und darum, diese mit anderen zu teilen. Für Sternath steht fest: „Die einzige Konstante ist der Wandel.“ Und das fühle sich zurzeit unglaublich gut an. „Früher kämpfte ich mehr gegen mich selbst“, sagt er. Heute ist der Wettkampfgedanke passé – was zählt, ist das gemeinsame Erleben. Etwa beim ARD-Musikwettbewerb, den er 2022 in München mit eindrucksvoller Leistung gewinnt, steht für ihn nicht das Gegeneinander im Zentrum, sondern das persönliche Wachstum. Ein Wettbewerb sei eher der Blick auf die eigene Psyche als auf die Technik. „Man lernt dort mit viel Repertoire, also mit der bewussten Überforderung umzugehen. Es werden viele Schrauben gleichzeitig gelockert“.
Dabei als Gewinner hervorzugehen, hänge in nicht geringem Maße auch vom Glück ab. Natürlich sind Wettbewerbe eine Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit zu zeigen. Doch Kunst, so Sternath, sollte sich nicht bewerten lassen. Sie entsteht im Moment, zwischen Menschen. Fehler, sagt er, sind Variationen. Wichtig sei allein, dass das Spiel authentisch und wahrhaftig bleibe. Alles andere – Erwartungen, äußere Maßstäbe – blende er bewusst aus.
Musikalisch ist Sternath offen: Schubert ist ihm besonders nah, auch Beethoven, Britten und Bach. Sich aber auf etwas festzulegen, sei nicht zielführend. Auch hier begegnet der Pianist seinem inneren, stetigen Wandel. „Das perfekte Konzertprogramm gibt es schlicht nicht“, urteilt Sternath, „und ich muss zwei Jahre vorausplanen, was ich spielen soll, aber weiß doch gar nicht, was mich dann im Innern beschäftigt.“ Zukunftspläne hält er bewusst offen. „Ich will nicht wissen, wo ich in zehn Jahren bin“, sagt er. Freiheit ist für ihn das höchste Gut – auch die Freiheit, spontan zu sein: „Ich will eigentlich am Morgen überlegen, was ich am Abend spiele.“ Konzerte ohne vorheriges Programm, wie sie im Jazz üblich sind, sind für ihn ein Ideal. Weil dann zählt, was im jeweiligen Moment erklingt, nicht, was angekündigt wurde – eine Qualität, die sich die Klassik vom Jazz zurückerobern sollte.