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Porträt Krzysztof Penderecki

Ein Heldenleben

Der polnische Komponist Krzysztof Penderecki wird 85 Jahre alt und steht auf dem Höhepunkt seines Ruhms. Ein Erfolg, der Gründe hat.

vonWolfgang Wagner,

In Warschau wird seit dem 16. November ein Konzert nach dem anderen gespielt. Auf dem Programm stehen Penderecki, Penderecki und Penderecki. Wie schon zu seinem 80. Geburtstag geht ein Festival zu seinen Ehren über die Bühne, das, wie sich von selbst versteht, seinen Namen trägt. Diesmal erklingen alle sechs Sinfonien des Meisters, das zweite Cellokonzerte und das Doppelkonzert für Flöte, Klarinette und Orchester. Außerdem das in Reaktion auf die Anschläge des 11. September komponierte, legendäre Klavierkonzert „Resurrection“, und Anne-Sophie Mutter spielt sein Violinkonzert „Metamorphosen“. Weil außerdem noch reichlich Kammermusik und Chorwerke zu hören sind, entsteht der Eindruck, dass Polen mit Krzysztof Penderecki einen Nationalhelden feiert. In einer Zeit, in der Komponisten in unserer Gesellschaft gemeinhin keine große Rolle mehr spielen, fragt man sich: Wie konnte so ein Triumph gelingen?

Eine Schreibmaschine in Donaueschingen

Als Krzysztof Penderecki in den Fünfzigerjahren in Krakau Komposition studierte, muss ihn die ideologische Enge hinter dem Eisernen Vorhang sehr bedrückt haben. So liest sich der Gewaltakt, beim Wettbewerb des polnischen Komponistenverbandes von 1959 in allen drei ausgeschriebenen Kategorien eine Arbeit jeweils unter anderem Namen einzureichen, als versuchter Befreiungsschlag. Und der gelang wahrhaftig – Penderecki belegte dreimal den ersten Platz, löste das Verwirrspiel unverzüglich auf und war über Nacht in aller Munde. So kam es, dass er schon früh das Privileg genoss, in den Westen ausreisen zu dürfen. Eine internationale Karriere nahm ihren Anfang.

Mit den 52 schreienden Streichern in „Threnos“, gewidmet den Opfern von Hiroshima, machte er 1961 noch von Warschau aus Furore. Im Folgejahr war er dann schon in Donaueschingen dabei und galt nun als ein Fackelträger der Avantgarde. Sein bei den Musiktagen uraufgeführtes Stück „Fluorescences“ war unter anderem mit einer Singenden Sänge, Schreibmaschine, Kuhglocken und Sirene besetzt. Doch ließ er unmittelbar darauf verlauten, dass er damit eine Endbilanz seiner experimentellen Phase vollzogen habe.

Krzysztof Penderecki, 2015
Krzysztof Penderecki, 2015 © Pr osv/Wikimedia Commons

Spitzname „Penderadetzky“

Der große Bruch ließ dann auch nicht lange auf sich warten. Mit seiner 1966 in Münster uraufgeführten „Lukas-Passion“ entdeckte er die Tonalität für sich und schuf Musik, die in den Folgejahren rund um den Globus gespielt wurde. Der bereits sechzigjährige Schostakowitsch schrieb ihm per Brief, er halte es für eines der großartigsten Werke des 20. Jahrhunderts. Eine Auszeichnung, die ihn bis heute bewegt. Die Vertreter der Avantgarde indessen wandten sich in den Folgejahren in öffentlichen Stellungnahmen von ihm ab. Der von Helmut Lachenmann geprägte Spitzname „Penderadetzky“ charakterisiert diesen von großen Blättern wie dem SPIEGEL angeheizten Streit besonders deutlich.

Trotz aller Widerstände ging es für Penderecki aber immer weiter bergauf, denn seit seine Musik in so massenwirksamen Filmen wie Friedkins „Der Exorzist“ von 1973, Kubricks „Shining“ von 1980 und jüngst in Scorseses „Shutter Island“ von 2010 aufgegriffen wurde, erreichte er ein Millionenpublikum. Selbst Menschen weitab der Klassikszene, die seinen Namen nie gehört haben, kennen also Werke aus seiner Feder.

Krzysztof Penderecki und Anne-Sophie Mutter

Anne-Sophie Mutter und Krzysztof Penderecki
Anne-Sophie Mutter und Krzysztof Penderecki © Bartek Barczyk/DG

 

All das lädt dazu ein, die Bilanz eines Lebens zu ziehen – wäre der Komponist nicht immer noch so vielseitig aktiv. Da ist einmal das große Festival zu seinen Ehren, bei dem er auch ein Konzert selbst dirigiert. Mit der Solistin Anne-Sophie Mutter verbindet ihn eine lange Zusammenarbeit. Außerdem ist er in dem von ihm initiierten, 2012 eröffneten „Krzysztof Penderecki European Center for Music“ – ein Treffpunkt für hochtalentierten Nachwuchs – sehr präsent. Dort gibt es für die Stars von Morgen neben der Förderung im Unterricht auch die Möglichkeit, in Konzertsälen die Begegnung mit dem Publikum zu suchen.

Immer wieder wurde auch Pendereckis Sammelleidenschaft hervorgehoben. Denn im Park seines Landguts bei Lusławice, in der Nähe des Musikzentrums, hat er ein Arboretum angelegt, eine Baumsammlung. In über 40 Jahren pflanzte er auf 30 Hektar mehr als 1.700 verschiedene Arten. Und auch wenn er seinen Wiener Auftrag für die Oper „Phädra“ im März 2018 abgesagt hat, zeigt sein vielfältiges Engagement, dass seine Tatkraft noch lange nicht erloschen ist.

Geht Klassik auch populär?

Bleibt die Frage, wie Komponisten heute eine ähnliche Breitenwirkung erreichen könnten wie Penderecki. Die ist schwer zu beantworten, denn auch der Pole hat kein Universalrezept verfolgt. Als ihm in den Sechzigerjahren mit experimentellen Werken sein Durchbruch gelang, hatte die Avantgarde das breite Publikum schon seit vielen Jahren mit sperrigen Werken verschreckt. Bis dahin gingen Konzertbesucher davon aus, dass auch in jüngeren Partituren eine Sprache gesprochen wird, die verständlich ist.

Heute sehen das nur noch wenige Menschen so, weil ihnen viele Uraufführungen inhaltlich verschlossen blieben. Vielleicht hat Krzysztof Penderecki diese drohende Überstrapazierung gespürt. Seine Erfolge nach der Rückkehr zur Tonalität zeigen exemplarisch wie universal verständliche Musik konzipiert sein kann, aber natürlich muss jeder Musikschaffende für sich entscheiden, wie weit er sich dem Publikumsgeschmack annähert. Ist das Œuvre eines Komponisten im Ergebnis wirklich mitteilsam, wird er dann vielleicht einmal so gefeiert wie dieser große Tonschöpfer an seinem 85. Geburtstag.

Sehen Sie hier Krzysztof Penderecki und Anne-Sophie Mutter im Gespräch:

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