Mit ihrer vordergründig märchenhaften Erzählung vom Prinzen, der auszieht, um die Prinzessin aus den Fängen des Bösewichts zu befreien, ist Mozarts „Zauberflöte“ für viele Kinder oft die erste Begegnung mit der Opernwelt. Als Siebenjähriger erlebte Aurel Dawidiuk den Klassiker in der Staatsoper Hannover. Mehr noch als die Musik, faszinierte ihn aber das, was er von der ersten Reihe aus sah: die Arbeit des Dirigenten. Richtig verstanden, was im Orchestergraben passiert, habe er als Kind nicht, doch jener Abend sei für ihn die Initialzündung gewesen: „Ich wusste, ich will Dirigent werden.“
Sieben Jahre sang er im Knabenchor seiner Heimatstadt – Erfahrungen, die er heute als wichtigsten Baustein seiner musikalischen Entwicklung ansieht. Parallel dazu unternahm er Gehversuche an der Geige, wechselte jedoch rasch zum Klavier und wurde 2014 Jungstudent am Institut zur Früh-Förderung musikalisch Hochbegabter in Hannover, wo vor ihm bereits Joana Mallwitz und Igor Levit ausgebildet wurden.
Auf der Orgelbank fühlte er sich wie im Himmel
Zunächst verwirklichte sich aber ein anderer Traum. „Als Kind durfte ich sonntags beim Organisten in der Kirche die Register ziehen. Was für andere der Wunsch nach dem Sitz im Flugzeugcockpit ist, war für mich die Orgel.“ Fünfzehnjährig begann Dawidiuk mit dem Orgelspiel und geriet unter die Fittiche von Professor Martin Sander. Als erster Organist in mehr als zwanzig Jahren wurde er 2022 überdies mit dem Preis des Deutschen Musikwettbewerbs geehrt; es folgte sein Debüt-Album mit Werken von Bach, Krebs, Liszt, Reger und Szathmáry.
Erste intensive Einblicke in die Orchesterarbeit ermöglichte indes ein Schulpraktikum beim ORF Radio-Symphonieorchester Wien und dessen damaligem, ebenfalls aus Hannover stammenden Chefdirigenten Cornelius Meister. „Ich war fasziniert davon, wie es möglich ist, innerhalb der kurzen Zeit von nur drei Probentagen gemeinsam so eine Spitzenleistung auf die Bühne zu bringen.“ Wie das Dirigierhandwerk funktioniert, lernte Dawidiuk schließlich ab 2020 in der Klasse von Johannes Schlaefli an der Zürcher Hochschule der Künste.
Anders als viele seiner Kommilitonen verfügte der damals Zwanzigjährige über wenig praktische Erfahrung in der Ensembleleitung. Doch ausgestattet mit enormem Talent und ausgeprägter Selbstkritik bog Dawidiuk bald auf die Überholspur der angehenden Orchesterleiter ab. 2023 etwa gewann er den Neeme-Järvi-Preis bei der Conducting Academy des Gstaad Menuhin Festivals. Es sei „ein unvergessliches Erlebnis“ gewesen, erstmals Auszüge aus Mahlers zweiter Sinfonie zu dirigieren und zu erfahren, wie man einen 120 bis 130 Musiker umfassenden Orchesterapparat „in Ruhe anleitet“. Im selben Jahr gewann er in Meiningen mit Beethovens erstem Klavierkonzert in Doppelfunktion als Pianist und Dirigent den Ersten Preis beim Internationalen Hans-von-Bülow-Wettbewerb.
Zwei Jahre als Associate Conductor in Amsterdam
Als wegweisend erwies sich ein Jahr später eine Einladung aus Amsterdam: Das Royal Concertgebouw Orchestra lud ihn zum Probedirigat für die neu geschaffene Stelle des „Associate Conductor“ ein – und Dawidiuk überzeugte auf ganzer Linie. Zwei Spielzeiten lang ist er in die Proben, Konzerte und Tourneen des Edelklangkörpers eingebunden, lernt von den Mitgliedern des Orchesters genauso wie von Gastdirigenten und seinem Mentor Klaus Mäkelä.
Nach dem Studium winken Gastdirigate
Im Sommer dieses Jahres schloss er sein Dirigier-, Orgel- und Klavierstudium ab. Nun stehen für den 25-Jährigen erst einmal Gastdirigate hierzulande und auf internationaler Bühne an, auch ein Termin für sein Debüt im Concertgebouw (u. a. mit Tschaikowskys vierter Sinfonie) ist bereits festgezurrt. Wenn es die Zeit zulässt, will er auch künftig das eine oder andere Orgelrezital spielen ebenso wie von den Tasten aus geleitete Klavierkonzerte. Und die Oper? „Mir gefällt der Satz, den der alte Karajan zum jungen Thielemann gesagt hat: Wenn Sie ‚Die lustige Witwe‘ dirigieren können, dann können Sie alles dirigieren.“