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Opern-Kritik: Staatsoper Hamburg – Orphée et Eurydice

Orphée ist ein Choreograf

(Hamburg, 3.2.2019) Zu seinem 80. Geburtstag gestaltet John Neumeier Glucks Reformoper als Gesamtkunstwerk: Der Ballettchef zeichnet für Inszenierung, Choreografie, Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich.

vonWolfgang Wagner,

Die Hamburger Neuinszenierung von Glucks „Orphée et Eurydice“ ist nicht etwa eine Oper mit Ballett, sondern in Neumeiers Deutung eine Ballettoper. Es ist eine eigene Geschichte, die er als narrativen Rahmen zu Glucks Reformoper in der französischen Fassung aus dem Jahr 1774 setzt. Während der Ouvertüre ist Orphée in seiner Ballettschule zu sehen, in der er gerade mit Eurydice und seiner Truppe eine Choreografie erarbeitet und darüber mit seiner Geliebten, der Primaballerina, in einen Streit gerät. Sie verlässt die Probe und verunglückt unmittelbar darauf bei einem Autounfall.

Von Chicago über Los Angeles nach Hamburg

Am Ende der Oper bleibt Eurydice eine Geistergestalt, die aber in Orphées Erinnerung lebendig ist und seine künstlerische Arbeit inspiriert. Das Trauerthema, für dass das vorgesehene Happy End gestrichen wurde, nimmt ikonografisch durch Arnold Böcklins berühmtes Gemälde „Die Toteninsel“, in der dritten Version aus dem Jahr 1883, immer mehr Raum ein. Zunächst steht es rechts am Bühnenrand auf einer Staffelei, dann hängt eine größere Variante in Orphées Zimmer, und schließlich dominiert es im dritten Akt den gesamten Bühnenhintergrund.

Die Produktion ist eine Übernahme aus Chicago und Los Angeles, deren Choreografie Neumeier immer weiter entwickelt hat. So wie in Hamburg war sie also noch nicht zu sehen. Dabei richtet er sich in seiner Bewegungssprache nicht nach der Gluckschen Ästhetik, transformiert auch keine melodischen Linien in körperlichen Ausdruck. Sein Tanzstil greift die Inhalte der Handlung auf, beispielsweise in den ätherisch schwerelosen Paarfiguren des Hades, ist ansonsten aber sehr frei.

Szenenbild aus "Orphée et Eurydice"
Orphée et Eurydice/Staatsoper Hamburg: Hamburg Ballett © Kiran West

Ein starkes Gesangs-Trio

Die beiden Hauptpartien übernahmen mit dem Tenor Dmitry Korchak und der Sopranistin Andriana Chuchman zwei Künstler, die bereits in Chicago mitwirkten. Korchak gab einen in der Trauer zunächst verhaltenen Orphée, entfaltete aber im Verlaufe des Abends das volle Volumen seiner Stimme. Der gebürtige Russe hat eine spannende Technik, die auf kitschigen Schmelz verzichtet und weniger auf eine pralle Palette von Klangfarben setzt. Stattdessen sucht er mit seinem Gesang die Nähe zur gesprochenen Sprache, ohne dabei zu stark ins Rezitativische zu gehen. Chuchman ist ein toller Sopran, man merkte bei ihrem ersten Einsatz direkt, dass sie die Partie sehr bewusst gestaltet.

Szenenbild aus "Orphée et Eurydice"
Orphée et Eurydice/Staatsoper Hamburg: Andriana Chuchman (Eurydice) und Dmitry Korchak (Orphée) © Kiran West

Auf den vielversprechenden Auftakt folgte zwar ein Bruch in ihrer Leistung, vermutlich war es aber einfach nicht ihr Abend. Eine besondere Überraschung war Marie-Sophie Pollak als L’Amour. Mit ihrem äußerst geschmeidigen Sopran setzte sie mühelos dynamische Kontraste, wechselte spielend zwischen Brust- und Kopfstimme, setzte glockenklare Koloraturen. Dank dieser Überlegenheit wirkte sie in ihrer Rolle als göttliches Wesen absolut glaubhaft.

Orphée et Eurydice: Viel Platz für Tanz

Das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Alessandro De Marchi, einem sehr gefragten Spezialisten für historische Aufführungspraxis, hatte ein rundes, einheitliches Klangbild für Gluck entwickelt. Weil dessen Musik nicht kanonisiert ist und die Instrumentierung durchaus eigenwillig, ist das keine Selbstverständlichkeit. Leider wird Gluck häufig trocken und spröde intoniert. Nicht so in der Staatsoper. Zwar wäre insgesamt mehr Feuer wünschenswert gewesen, dass es sich um revolutionäre, zu ihrer Entstehungszeit neuartige Musik handelt, war jedoch durchaus zu hören.

In der Gesamtkonzeption von „Orphée et Eurydice“ hat sich Neumeier reichlich Platz für seine Compagnie geschaffen und den Chor hinter dem Orchester im angehobenen und ausgeleuchteten Graben positioniert. Die chorische Handlung ist dafür auf das Tanzensemble übertragen. Wie eingangs ausgeführt, besteht Neumeiers wichtigste Entscheidung darin, aus der ältesten und traditionsreichsten Sängerfigur des Abendlandes, die Monteverdi zur ersten Oper überhaupt inspirierte, einen Choreografen zu machen. Möglicherweise verdankt sich dies einer Identifikation Neumeiers mit der Figur des Orphée.

Szenenbild aus "Orphée et Eurydice"
Orphée et Eurydice/Staatsoper Hamburg: Andriana Chuchman (Eurydice) und Dmitry Korchak (Orphée) © Kiran West

Staatsoper Hamburg
Gluck: Orphée et Eurydice

Alessandro De Marchi (Leitung), John Neumeier (Regie, Choreografie, Bühne, Kostüm & Licht), Heinrich Tröger (Mitarbeit Bühnenbild), Dmitry Korchak (Orphée), Edvin Revazov (Orphée Tänzer), Andriana Chuchman (Eurydice), Anna Laudere (Eurydice Tänzerin), Marie-Sophie Pollak (L’Amour), Hamburg Ballett John Neumeier, Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Chor der Staatsoper Hamburg

Sehen Sie den Trailer zu „Orphée et Eurydice“ an der Staatsoper Hamburg:

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