Kein Schafott, kein Park, kein Turnier, keine Tudor-Halskrausen und kein rotes Kleid bei Maria Stuardas Hinrichtung. Im Großen Festspielhaus wurde aus der Oper ein packendes Gesamtkunstwerk. Ulrich Rasche hält bei den Salzburger Festspielen die wenigen Figuren von Gaetano Donizettis „tragedia lirica“ über die Hinrichtung von Mary Stuart 1587 in physischer Bewegung und unter psychischer Dauerspannung. Das Alleinstellungsmerkmal des Regisseurs, der aus Motorik und Emotion systemische Parabeln baut, funktioniert bestechend: Auf zwei nur einmal in Berührung kommenden Riesenscheiben kreist, leidet, marodiert und zerstört sich Maria Stuarda, die Königin Schottlands und Frankreichs.
Elisabetta von England setzt sich zur Wehr, befiehlt nach der von ihr provozierten Beleidigung Marias Hinrichtung und bleibt zerrüttet zurück. In Donizettis 1834 zur Uraufführung in Neapel als „Buondelmonte“ zurecht zensuriertem, an der Mailänder Scala wenig später nur geringfügig verändertem und seit 1958 zum Repertoirestück gewordenem Herzstück geht es um zwei Frauen in verhängnisvollen Macht- und Abhängigkeitsspiralen. Donizetti wollte das in seiner Oper nach Friedrich Schillers 1800 in Weimar uraufgeführtem Trauerspiel sinnfällig konstruieren und setzte seinem Textdichter deshalb kräftige Daumenschrauben an. Das Respekt- und Ränkespiel über die beiden Königinnen blieb Giuseppe Bardaris erste und einzige Libretto-Arbeit.

Last und Macht in Marschbewegungen
Die „jungfräuliche Königin“ und asketische Protestantin Elisabetta zerbricht. Dagegen läutert sich bei Schiller und Donizetti die Politik mit Geist, Sinnen und Körper praktizierende Katholikin Maria. Mit sich und der Welt versöhnt geht sie in den Tod. Die Bedingtheiten vor Mary Stuarts Hinrichtung am 8. Februar 1587 werden in Rasches Körper- und Raumpositionen durch metaphorische Stilisierung plastisch. Der zwischen beiden Monarchinnen mit sensitivem, aber aussichtslosem Totaleinsatz vermittelnde Leicester reiht sich am Ende in den Haufen des am Ende fast nackten Bewegungsensembles aus der Salzburg Experimental Academy of Dance. Rasches dritte Scheibe zeigt via Video Körperteile in Verstrickung und Auflösung, aber wenig ungebrochene und immer durch latente Gewalt korrumpierte Lust.
Wenn sie die Aria finale im hautfarbenen Glitzerkleid zelebriert, glamouriert Maria zum Star eines unerwarteten Revue-Mysteriums. Ihre Erotik wird spirituell, während Elisabetta in trostloser Düsternis versinkt. Sara Schwartz‘ Kostüme sind zeitlos und schlicht. Die Choreographie von Paul Blackman zelebriert Gewaltphantasien, psychischen Terror und bizarre Hautkontakte. Die Schwarzweiß-Videos von Florian Hetz und das Räume meißelnde Licht von Marco Giusti geraten zum bezwingenden Umgang mit Form und musikdramatischer Substanz von Donizettis überwiegend lyrischer Partitur.

Emotionen vor allem der beiden Hauptpartien werden durch die Körper und deren streng erarbeitete Motorik plastisch. Da gerät Rasche ein Gesamtkunstwerk auf Höhe von Intensität, Bildkraft und konzentrierter Dichte des vor wenigen Tagen verstorbenen Robert Wilson. Dass die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor von der Hinterbühne singt und damit „nur“ atmosphärisch beisteuert, was auf der Bühne nicht konkret zu sehen ist, erhöht das hochdosierte Spannungspotenzial zu Donizettis hier faszinierend verdichteter Oper.
Struktur und Sinnlichkeit
Einen süffig schmelzenden Donizetti-Sound bekam das Premierenpublikum allerdings nicht zu hören und war am Ende dennoch schrankenlos begeistert vom Totalereignis aus Komposition, Ensemble und Szenerie. Schon das erste Klarinettensolo und Streichertremolo wirkt gedehnt, steht ziellos im Raum und entfaltet erst zeitversetzt einen tieferen Zusammenhang. Antonello Manacorda legt mit den Wiener Philharmonikern alles bloß, was in Donizettis Oper nebeneinander besteht – an Intensität, aber auch filigran experimenteller Dünnflüssigkeit und gattungsspezifischer Füllmasse. Das geht nie zu Lasten der sängerischen Entfaltungsmöglichkeiten, bleibt auf suggestive Weise wenig opulent und bei aller Klangschönheit dokumentarisch. Eine musikalische Hybridleistung, die vieles kenntlich macht und erwartungsgemäße Kulinarik verweigert.

Tod und erotische Verklärung
Zum Applaus umarmen sich die beiden Protagonistinnen respektvoll und dabei – wie es scheint – wenig herzlich. Also durchaus royal. In solcher Konstellation passt es, dass Sopran und Mezzo vollkommen unterschiedliche Mittel einsetzen. Die Erwartungen an Lisette Oropesa sind riesig und werden von der Amerikanerin prachtvoll erfüllt. Oropesas Spitzentöne schwelgen, wenn auch immer mit einem minimal herben Zusatz. Höhepunkt wird natürlich Marias vierzigminütige Finalsequenz mit Beichte, Gebet und Läuterungsapotheose. All das zelebriert Oropesa fast makellos, anrührend und auf immer gleichen Level, dem die Anmut besser ansteht als die zur Bürde werdende Würde.
Anders Kate Lindsey: Ihr vom Timbre an sich wenig individueller Mezzo startet da durch, wo Oropesa auf dem Gipfelplateau innehält. Bis zur Beleidigung durch Maria sieht und hört man von Lindsey alle Konflikte Elisabettas mit immer dunklerem und geschärfterem Situationsbezug. Das Kreisen der Figur Elisabetta geschieht wie unter materiellen Extremlasten. Lindsey nimmt ihre Partie als permanenten, vor der Außenwelt verheimlichten Kampf. Oropesa dagegen gewinnt auf dem von ihr angesteuerten und nicht mehr verlassenen Level der schönen Sicherheit.
Zwischen diesen bekenntnishaften Positionen muss der mit fein-tenoraler Eleganz und Emotion gestaltende Bekhzod Davronov verblassen wie die beiden von Donizetti im diplomatischen Edelstatisten-Hintergrund gehaltenen Politfunktionäre: Viel Applaus gab es dennoch für Thomas Lehman als Marias Vertrauten Cecil und Aleksei Kulagin als Elisabettas Adlatus Talbot. Nino Gotoshia zeigte im kurzen Part der Anna schönes Material. Insgesamt also ein gewichtig imposanter Abend, in dem Donizettis Monarchinnen-Drama fast die Intensität von Verdis weitaus mehr differenziertem „Don Carlos“ erhielt. Die Salzburger Produktion hat beste Chancen, ein Meilenstein in der Aufführungsgeschichte von „Maria Stuarda“ zu werden. Ovationen.
Salzburger Festspiele
Donizetti: Maria Stuarda
Antonello Manacorda (Leitung), Ulrich Rasche (Regie & Bühne), Sara Schwartz (Kostüme), Florian Hetz (Video), Marco Giusti (Licht), Paul Blackman (Choreografie), Yvonne Gebauer (Dramaturgie), Dennis Krauß (Mitarbeit Regie), Alan Woodbridge (Chor), Angelika Prokopp (Sommerakademie der Wiener Philharmoniker), Kate Lindsey (Elisabetta), Lisette Oropesa (Maria Stuarda), Bekhzod Davronov (Roberto, Graf Leicester), Aleksei Kulagin (Giorgio Talbot), Thomas Lehman (Lord Guglielmo Cecil), Nino Gotoshia (Anna Kennedy), Tänzer und Tänzerinnen von SEAD — Salzburg Experimental Academy of Dance, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Wiener Philharmoniker
Do., 07. August 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Donizetti: Maria Stuarda
Salzburger Sommerfestspiele
Mo., 11. August 2025 19:00 Uhr
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Donizetti: Maria Stuarda
Salzburger Sommerfestspiele
Sa., 16. August 2025 19:00 Uhr
Musiktheater
Donizetti: Maria Stuarda
Salzburger Sommerfestspiele
Di., 19. August 2025 19:00 Uhr
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Sa., 23. August 2025 19:30 Uhr
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