Startseite » Oper » Opern-Kritiken » Die fünf Leben der Manon Lescaut

Opern-Kritik: Hessisches Staatstheater Wiesbaden – Manon

Die fünf Leben der Manon Lescaut

(Wiesbaden, 28.10.2017) Cristina Pasaroiu überzeugt als Manon – Jochen Rieder als Dirigent bei seinem Debüt

vonJulia Hellmig,

Jugend, Schönheit, Glamour: Massenets kapriziöse wie leidenschaftliche Heldin Manon verfügt über den nötigen Sex-Appeal, um Männern den Kopf zu verdrehen – bis heute. Der Roman von Abbé Prévost aus dem 18. Jahrhundert braucht keine Modernisierung, um zu wirken. Doch auch im knallbunten Treiben vor der Kulisse eines heruntergekommenen Busbahnhofs irgendwo, in das der Regisseur Bernd Mottl die Geschichte zunächst verfrachtet, liefert die Szenerie eine Fülle von Symbolen: Eine Schein-Welt, in der Burger als Haute cuisine gefeiert werden, in der sich wasserstoffblonde Sexbomben vergnügen wollen, eine Welt voller Laster, angefangen bei Zigaretten bin hin zum Glücksspiel – das Wiesbadener Casino befindet sich übrigens nur wenige Meter neben dem Staatstheater.

Szene aus „Manon“ am Staatstheater Wiesbaden
Szene aus „Manon“ am Staatstheater Wiesbaden © Karl & Monika Forster

Manons Sehnsucht nach Reichtum, Aufregung und Luxus

„Das ist schon alles über Manon Lescaut“. Kurz vor diesem Satz war da dieser ergreifende Moment, als Manon und Des Grieux sich zum ersten Mal erblickten. Doch hinter dieser Selbsterkenntnis steckt ein Leben, das ganz anders hätte verlaufen sollen. Statt einem Dasein im Kloster, sehnt sich Manon nach Reichtum, Aufregung und Luxus. Als der Edelmann De Brétigny sie dazu bringt, sie zur Geliebten zu machen, kann sie nicht widerstehen. Manon verkörpert eine der großen weiblichen Opern-Rollen: Sie ist sowohl unschuldig als auch verlockende Verführerin.

Cristina Pasaroiu
Cristina Pasaroiu (Manon) © Karl & Monika Forster

Die Inszenierung von Bernd Mottl lässt den Einzelszenen von Manon und des Grieux viel Raum, um eindringlich sowie nachhaltig wirken zu können. Die Massenszenen dagegen sind revuehaft gestaltet, was die unterschiedlichen Gefühlsebenen noch stärker voneinander abgrenzt. Die augenzwinkernde, operettenhafte Rokoko-Welt der Reichen und Schönen in grellen neonfarbenen Kostümen steht für eine überbordende Opulenz und das personifizierte Amüsement.

Tapfere Manon – tapfere Cristina

Cristina Pasaroius Manon lebt nahezu von der ersten Bühnensekunde durch ihren Glauben an das eigene Leben und an das eigene Glück. Erschütternd greifbar wird dies vor allem beim intensiven Schluss, wenn nochmals alle fünf Leben der Manon in persona im Hintergrund auftauchen – und unerbittlich näher kommen: Das unschuldige Mädchen in Schuluniform, die bis über beide Ohren Verliebte im Pyjama ihres Geliebten, die schöne Reiche in luxuriöser Garderobe, die geläuterte Verzweifelte hinter Sonnenbrille und zu guter Letzt die nimmersatte Spielsüchtige im Minikleid. Sie alle wollen die nun gebrochene, entmutigte Manon mit sich zu nehmen. Endgültig. Bis Des Grieux schließlich alleine auf der Bühne mit der sterblichen Hülle seiner zugleich geliebten und gehassten Manon zurückbleibt.

Szene aus „Manon“ am Staatstheater Wiesbaden
Szene aus „Manon“ am Staatstheater Wiesbaden © Karl & Monika Forster

Von Beginn an ist Cristina Pasaroius präsent und überzeugt durch ihre starke, perlend-schwerelose Stimme, die alles überstrahlt. Ihrem Charme sind schnell alle erlegen. Dass sie mit gebrochenem Fuß auf der Bühne agiert – eine Verletzung, die sie sich in einer der letzten Proben zugezogen hat – lässt sie sich nicht anmerken. Zum Höhepunkt gerät das Duett mit Ioan Hotea im vierten Akt. Herzzerreißend versucht Manon den neu ernannten Abbé Des Grieux zurückzugewinnen. Ebenso die Reminiszenz im letzten Akt „Tu pleures!“ verdeutlicht einmal mehr die Reichhaltigkeit und Vielfalt von Massenet Musik. Vielfältiges hat auch das Orchester zu bieten: Jochen Rieder lässt die Musiker bei seinem Debüt in Wiesbaden aus dem Vollen musizieren und bringt vor allem die operettenhaften Passagen zum Glänzen. In Sachen Liebe setzt er auf vielschichtige philharmonische Empfindsamkeit. So richtig schwülstig wird es allerdings selten, vielmehr liebäugelt er insgesamt mit einer französischen Raffinesse voller charmanter Tempi und grandiosen Aha-Erlebnissen.

Hessisches Staatstheater Wiesbaden
Massenet: Manon

Jochen Rieder (Leitung), Bernd Mottl (Regie), Friedrich Eggert (Bühne & Kostüme), Albert Horne (Chor), Ralf Baars (Licht), Regine Palmai (Dramaturgie), Cristina Pasaroiu (Manon), Ioan Hotea (Chevalier des Grieux), Christopher Bolduc (Lescaut), Florian Kontschak (Graf des Grieux), Erik Biegel (Guillot-Morfontaine), Benjamin Russell (Monsieur de Brétigny), Wolfgang Vater (Gastwirt & Sergeant), Shira Patchornik (Poussette), Stella An (Javotte), Silvia Hauer (Rosette), Chor & Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

 

Auch interessant

Rezensionen

Anzeige

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!