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Opern-Kritik: Bayerische Staatsoper – Orlando Paladino

Wahnsinnige Witzfiguren

(München, 23.7.2018) Maestro Ivor Bolton und Filmregisseur Axel Ranisch verleihen der genialischen Opern-Dialektik des Joseph Haydn ironiepralles neues Leben

vonPeter Krause,

Ritterromane waren eigentlich megaout, als Joseph Haydn „Orlando Paladino“ komponierte. Ein Opernzeitalter zuvor, beispielgebend in Händels „Alcina“, hatte immer wieder eine sexy Sarazenin einen christlichen Eindringling bezirzt, hatten düstere Heerscharen aus der Unterwelt die Bühnen bevölkert. Da ging es in der Oper vorzugsweise magisch und märchenhaft zu, gern so unlogisch wie unpsychologisch. Als Stoffvorlage für derlei gern auf bukolischen Inseln stattfindenden Spektakeln diente am liebsten das Versepos des Ludovico Ariost, der dem rasenden Roland ein dichterisches Denkmal gesetzt hatte.

Später bei Haydn wie bei Mozart aber ging es längst so richtig aufgeklärt zu. Menschen wie Du und ich, Charaktere mit echten Gefühlen, die glaubwürdige Entwicklungen durchmachten, galten jetzt als operntauglich.

Entlarvte Stereotypen, kenntnisreiches Schmunzeln

Wenn Haydn nun in seiner 1782 auf Schloss Eszterházy uraufgeführten Oper scheinbar einen großen historischen Schritt zurück wagt, dann sollte man keinesfalls eine Verbeugung vor den Vorvätern des Musiktheaters erwarten. Vielmehr erlaubt sich der seinerzeit für seinen Humor gerühmte Wiener Klassiker die krasse ironische Brechung der abgewirtschafteten Opera seria des Barock. Zwar schickt er doch noch mal das Personal des aus der Mode gekommene Ritterromans auf die Bühne, wir dürfen also der zauberischen Frau Alcina und dem furiosen Herrn Orlando wiederbegegnen.

Szenenbild aus "Orlando Paladino"
Orlando Paladino/Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

Doch Haydn bedient nicht die ollen Rollenbilder, ihm geht es jetzt um die Entlarvung der Stereotypen, die er wunderbar kenntnisreich und schmunzelnd durch den musikalischen wie theatralischen Kakao zieht. Ausgerechnet Pasquale, der lächerliche Diener des Orlando, setzt sich mit präpotenten „Vittoria“-Rufen und einer mit Pauken und Trompeten überreich gespickten Arie in Händel-Manier in Szene, er möchte so gern ein Held sein, taugt freilich nur zum Komiker, dessen heroische Attitüde der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Wiederum mit diesem Sancho Pansa namens Pasquale weist Haydn bereits auf den chronisch schmunzelnden Rossini voraus: Mit Parlando-Plappern gibt er in seiner Musiker-Arie eine köstliche Virtuosenparodie, imitiert Instrumente, inszeniert sich als großer Künstler und ebensolcher Schwarm der Frauen.

Die Buffotenorpartie kostet David Portillo genüßlich aus. Und wir kapieren: Haydn erweist sich mit seiner Oper als Missing Link-Komponist zwischen Händel und Rossini – ein beherzter Wegbereiter der Opera buffa des 19. Jahrhunderts.

Freigeist Joseph Haydn

Hier kriegen alle ihr Fett weg. Denn auch dem hohen Paar der Oper ergeht es nicht besser. Haydn scheint uns mit kritischem Blick zu fragen, wie es um die Liebe von Angelina und Medoro wirklich bestellt ist. Dieser tenorzärtlich Liebende (Dovlet Nurgeldiyev) ist doch nichts anderes als eine Karikatur des barocken Helden. Und seine Holde, die Adela Zaharia mit ihrem traumhaften, an die junge Anja Harteros erinnernden Juwelensopran adelt, gleicht einem derart unschuldig verzückten Burgfräulein, das in seiner idealistischen Überhöhung ebenso unwahrscheinlich und unglaubwürdig erscheint wie die Heldenherren des Stücks.

Szenenbild aus "Orlando Paladino"
Orlando Paladino/Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

Kein Wunder, dass auch die echten Ritter der Oper, die erbitterten Rivalen Orlando (mit wohldosiertem Tenorschmalz: Mathias Vidal) und Rodomonto (Edwin Crossley-Mercer mit virilem Bassbariton), wahnsinnige Witzfiguren sind, deren heimliche sexuellen Neigungen Regisseur Axel Ranisch durchaus im Sinne des Freigeistes Joseph Haydn in der seinerzeit natürlich nicht explizit benannten Homoerotik verortet.

Eine Oper über die Gattung Oper: „Orlando Paladino“

Szenenbild aus "Orlando Paladino"
Orlando Paladino/Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

Überhaupt kommen musikalische und szenische Dramaturgie in dieser fulminanten Produktion wundervoll passgenau übereinander. Ivor Bolton, der an der Bayerischen Staatsoper in der Ära von Intendant Peter Jonas der Garant musikalischer Exzellenz in der legendären Barockschiene war, ist nun unter Nikolaus Bachler zurückgekehrt, schärft im Prinzregententheater mit dem Münchener Kammerorchester den Witz, die ironischen Brechungen, die Rückbezüge auf Händel und Gluck wie den Vorschein auf Rossini mit herrlichem Esprit.

Dank dieses Meisters am Pult werden die dämlichen Vorurteile vom langweiligen Opernschaffen Papa Haydns gehörig widerlegt. Inspirierter kann man die funkelnde Partitur nicht beleben. Dank des Dirigenten und einer sängerischen Traumbesetzung (welch ein erotisches Schwelgen erlaubt sich Mezzo Tara Erraught als hier längst abgewirtschaftete Magierin Alcina!) wird das Stück vollends zu einer Oper, die die Gattung Oper und ihre heldischen Topoi hinterfragt. Die Gattungsbezeichnung als „Drama Eroicomico“, somit als heroisch-komische Oper, könnte in ihrer Dialektik nicht schöner in die klingende Tat umgesetzt werden.

Perfekt pendelt Ranisch die heroisch-komische Doppelbödigkeit aus

Regisseur Axel Ranisch kommt vom Film, hat freilich sehr genau erspürt, wo die Bruchlinien der Oper liegen – und sie nicht gekittet, sondern mit seinem erlernten Medium mutig geschärft. Die Unwahrscheinlichkeiten und Verrücktheiten der Handlung macht er durch das Mittel des Stummfilms konsumabel. In diesem Setting steigt das hohe Paar schon mal direkt aus der Leinwand auf die Bühne, der ach so barocke Opernaffekt und das entsprechend übertriebene Kinosentiment entsprechen sich auf das Feinste.

Szenenbild aus "Orlando Paladino"
Orlando Paladino/Bayerische Staatsoper München © Wilfried Hösl

Intelligent, präzise und perfekt pendelt Ranisch die heroisch-komische Doppelbödigkeit aus, nimmt bestimmte Szenen auf den ersten Blick ernst, erlaubt sich auch mal Ruhepole, lässt dem Wahnsinn dann aber wieder seinen Lauf. Axel Ranisch weiß vom Film sehr genau: Timing ist alles. Er beherrscht es wie im Traum. Die Münchner Opernfestspiele gehen nach dem szenisch allzu mäßigen „Parsifal“ mit einem Premieren-Triumph in die Zielgerade.

Bayerische Staatsoper München
Haydn: Orlando Paladino

Ivor Bolton (Leitung), Axel Ranisch (Regie), Falko Herold (Bühne & Kostüme), Magdalena Padrosa Celada (Choreographie), Adela Zaharia, Edwin Crossley-Mercer, Mathias Vidal, Dovlet Nurgeldiyev, Guy de Mey, Elena Sancho Pereg, David Portillo, Tara Erraught, Francois Lis, Gabi Herz, Heiko Pinkowski, Münchener Kammerorchester

Erhalten Sie einen Einblick in Haydns „Orlando Paladino“ an der Bayerischen Staatsoper:

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