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Interview Martin Fröst

„Ich habe ein Problem mit dem Begriff Perfektion“

Der Klarinettist Martin Fröst über sein musikverrücktes Elternhaus, die Suche nach der Seele in der Musik – und über sein „Conductography“-System

vonTeresa Pieschacón Raphael,

Er schätzt den ganz traditionellen Konzertabend und sucht dennoch immer wieder neue Konzertformen. Er nutzt gerne Streaming-Plattformen, hört aber genauso gerne Schallplatten. Man könnte fast meinen, Martin Fröst verweigere sich der allgemeinen Usance, für das Eine und gegen das Andere zu sein. So erklärt der Klarinettist im Interview unter anderem, warum er die Perfektion sucht und gleichzeitig seine liebe Not mit ihr hat.

Herr Fröst, Sie stammen aus einer musikalischen Familie. Hatten Sie überhaupt eine Gelegenheit, Ihrem heutigen Beruf zu entgehen?

Martin Fröst: Ich habe nie darüber nachgedacht. Meine Eltern waren Ärzte, mein Vater Chirurg, meine Mutter Augenärztin. Mein Vater spielte Bratsche mein jüngerer Bruder auch, meine Mutter Violine. Mein älterer Bruder Klavier. Und wenn sie nicht spielten, dann hörten sie Aufnahmen. Wir waren regelrecht in Musik getränkt. Ich fing mit sechs Jahren mit der Geige an, mit neun Jahren mit der Klarinette. Ich glaube, es gab tatsächlich keine Ausweichmöglichkeit. Um ehrlich zu sein: Musik war nicht nur ein wichtiger Teil des Familienlebens, sondern bescherte uns auch einen friedlichen Moment. Sie müssen sich vorstellen: Wir waren drei Kinder, die relativ schnell hintereinander geboren wurden. Es war oft laut, aber die Musik verband uns alle.

Ihr Bruder Göran komponierte Ihnen sogar einen kleinen Hochzeitsmarsch für drei Klarinetten und fünf Streicher.

Fröst: Er ist ein großartiger Komponist, Bratschist und Arrangeur. Wir machen viele Projekte miteinander.

Spielte auch Volksmusik in der Kindheit eine Rolle?

Fröst: Durchaus! Ich stamme aus Dalecarlia. Schwedischer geht es kaum. Volksmusik spielt eine große Rolle dort, auch meine Eltern musizierten diese Musik. Dennoch stand im Vordergrund die Klassik. Aber sie kannten natürlich alle Virtuosenstücke auch aus der Operette. Bei Festen komplimentierten sie die Gäste zum Abschied gerne mal mit einem Csárdás von Vittorio Monti hinaus.

Ich habe den Eindruck, dass Volksmusik in Schweden eine höhere gesellschaftliche Akzeptanz hat, als in Deutschland. Stimmt das auch?

Fröst: Meinen Sie, dass man Volkslieder oder Volksmusik in Deutschland nicht genießen kann, weil man sie eventuell mit dem Dritten Reich assoziiert?

Ja.

Fröst: Natürlich gibt es eine große Volksmusik-Tradition in unseren skandinavischen Ländern. Und sie hat auch Überschneidungen mit der Klassik gehabt. Wie in Deutschland. Ich denke da an Brahms oder an Schubert.

Martin Fröst
Martin Fröst © Mats Bäcker

Die Fähigkeit, Klarinette zu spielen, sei eigentlich nur eine Überwindung der Imperfektionen des Instrumentes, sagte der berühmte Klarinettist Jack Brymer.

Fröst: Ist sie das wirklich? Und dies aus dem Munde eines so großartigen Klarinettisten, einer Legende! Als Kind zeigte mir mein Vater eine Aufnahme von Mozarts Klarinettenkonzert von der Academy of St Martin in the Fields mit Jack Brymer. Ich habe diese Aufnahme so oft angehört und bin der Musik verfallen, von Anfang an. Mozart ist der Schöpfer des Klarinettengeistes, finde ich.

Sie arbeiten in Paris mit dem Klarinettenbauer Buffet Crampon zusammen. Wie hat ein perfektes Instrument zu sein?

Fröst: Wir designen gerade eine neue Klarinette und wir glauben, dass sie annähernd an das Ideal kommen wird, das wir perfekt nennen. Perfektion im Sinne von Intonation, von Klangfarbe. Gleichzeitig habe ich ein Problem mit dem Begriff Perfektion.

Danach streben doch alle!

Fröst: Ja. Auch ich bin nicht frei davon. Ich selbst habe als Kind sieben Stunden pro Tag geübt wie ein Nerd. Ich bin in gewisser Hinsicht auch ein Opfer des Perfektionsdrangs, aber jetzt sehe das anders. Wir sind so darauf geeicht, es richtig und perfekt zu machen und sind dabei in Gefahr, uns unsere Kreativität abzutrainieren. Und den Willen, das Risiko einzugehen, auch mal etwas falsch zu machen. Der ganze Betrieb dreht sich nur darum, alles richtig zu machen.

Wie sehen Sie den Stellenwert der Technik?

Fröst: Natürlich braucht man „tools“, Techniken, um Klangvisionen, Sounds, Farben, Tempi, Rhythmen herzustellen oder mal einen Ton zu halten. Man muss alle Spielarten beherrschen, alle Artikulationsweisen. Ein Instrumentalist ist meist gut trainiert. Und doch darf sich nicht alles auf Technik reduzieren. Nicht jeder Musiker mit einer fantastischen Technik hat auch etwas zu erzählen. Es geht um sehr viel mehr.

Um die Seele der Musik?

Fröst: Ja, ich habe viel darüber nachgedacht. Natürlich liegt sie in der Klangfarbe eines Instruments, wie der Klang aufgebaut ist, mit all seinen Obertönen. Aber es hat auch mit dem Anfang und Ende der Musik und des Tons zu tun. Die Klarinette selbst wandert zwischen Stille und Klang. Mit dem Begriff der technischen Perfektion geht auch eine gewisse Limitierung einher. Weil viele unter Perfektion das gleiche verstehen. Doch gerade dann könnte alles austauschbar werden. Es geht darum, im schöpferischen Prozess aus sich hinauszuwachsen, ein Risiko einzugehen, etwa, wenn man mit anderen Sparten der Kunst in Kommunikation tritt.

In den „Peacock Tales“ – ein Klarinettenkonzert, das der Komponist Anders Hillborg 1998 für Sie geschrieben hat – spielten Sie nicht nur, sondern tanzten und gestikulierten wie ein Klarinettenbeschwörer: mit einer Maske auf dem Kopf!

Fröst: Ich habe das Konzert hunderte Mal aufgeführt und ziehe bis heute enorme Energie daraus. Ich bin ein unruhiger Geist und habe Angst davor, dass die Dinge erstarren, dass sie nicht lebendig werden.

Martin Fröst
Martin Fröst © Mats Bäcker

Regelmäßig entwickeln Sie auch multimediale Bühnenshows, als 
Gegenstück zum
 klassischen Konzertformat.

Fröst: Einerseits liebe ich das traditionelle Leben eines Klarinettisten mit klassischem Repertoire wie Mozarts oder Webers Klarinettenkonzerten. Andererseits ist es mir aber auch sehr wichtig, eine Beziehung zum Orchester aufzubauen und zum Publikum. Dazu habe ich für mein Dollhouse Konzert Projekt 2013 mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra ein System erfunden, das ich „Conductography“ nenne: Ich gebe Werke mit einer bestimmten Choreografie in Auftrag, und das Orchester reagiert auf meine Bewegungen. Mal dirigiere, spiele und singe ich gleichzeitig, mal spiele ich nur und überlasse das Orchester sich selbst.

An Ihrer Klarinette werden dabei sogar Bewegungssensoren angebracht, die jede Ihrer Bewegungen in Musik umwandeln.

Fröst: Ja nicht nur an der Klarinette. In meinem Programm „Genesis“ etwa, einer Reise durch die Musikgeschichte – von den antiken Gauklertraditionen bis hin zur zeitgenössischen Musik – gibt es ein Stück für Gestrument. Das ist eine App, mit der man mit (Finger-)Gesten Klänge erzeugen kann. Wenn ich also die Luft berühre, wird sie zu Klang, der erzeugt wird durch eine Infrarotkamera. Zu Beginn des Stückes frage ich: „Where does the music go?“ Kann ich sie fühlen, sie berühren? Das ist ziemlich aufregend.

2019 werden Sie Chefdirigent des Schwedischen Kammerorchesters. Zugleich sind Sie künstlerischer Leiter des Kammermusikfestivals Vinterfest im schwedischen Mora und des Internationalen Kammermusikfestivals Stavanger.

Fröst: Ich glaube, es ist wichtig, neue Türen zu öffnen – für das Publikum und für die Orchester. Aber auch für mich.

Martin Fröst spielt Werke seines Bruders Göran:

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Album Cover für
Messiaen: Quartett
für das Ende der Zeit

Martin Fröst (Klarinette)
Lucas Debargue (Klavier)
Janine Jansen (Violine)
Torleif Thedeen (Violoncello)
Sony

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