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Interview Magdalena Kožená

„Natürlich frage ich mich: Bin ich eine gute Mutter?“

Singen und Leben sind ein niemals endender Lernprozess: Star-Mezzosopranistin Magdalena Kožená über Karriere und Kinder, Perfektion, Glitzer und Glamour

vonDorothe Fleege,

Magdalena Kožená ist etwas außer Atem: Es gab Kinderkummer, der musste erst noch getröstet werden. International gefeiert, ist die Mezzosopranistin doch daheim in Berlin-Schlachtensee zu allererst Mutter für ihre drei Kinder – vor allem wenn der Vater und Ehemann Sir Simon Rattle gerade nicht in der Nähe ist.

 

Frau Kožená, sind Sie in eine musikalische Familie hineingeboren?

Nein, überhaupt nicht – mein Vater war Mathematiker, meine Mutter Biologin. Warum ich schon als Kind geradezu verrückt auf Musik war, kann ich nicht erklären. Wo ich konnte, hörte ich Musik: auf der Platte, im Radio, im Fernsehen. Eine Lehrerin in meinem Kindergarten spielte Klavier und mein größter Traum war, Pianistin zu werden.

Können Sie sich noch an Ihren ersten Konzertbesuch erinnern?

Mit meinen Eltern bin ich tatsächlich nie im Konzert oder in einer Opernvorstellung gewesen. Aber sie haben mich immer unterstützt. Mein erstes Opernerlebnis fand mitten im Kinderchor der Janáček-Oper in Brünn statt: Da habe ich nämlich bereits selber mitgewirkt. Um meiner Begeisterung Rechnung zu tragen, steckten mich meine Eltern in den Kinderchor des Opernhauses. Dort wurde ein strenges Regiment geführt, aber das störte mich nicht, denn ich durfte so schon als Kind in den wunderbarsten Opern auf der Bühne total in der Musik versinken. Ich stand mitten drin im Klang: Das war ein tolles Erlebnis!

Haben Sie freiwillig geübt?

Das war ganz anders als bei unseren eigenen Kindern – meinen Sohn Jonas muss ich zum Kontrabass üben heute immer motivieren. Ich selber habe als Kind nicht viel mit meinen Schul- und Spielkameraden unternommen: Ich hatte fünfmal die Woche Kinderchorprobe, dazu habe ich mit Begeisterung Klavier geübt – da blieb kaum Zeit für andere Interessen. Ja, meine Mutter musste mich immer ermahnen, „jetzt komm doch essen und klapp‘ das Klavier endlich zu!“

Als Sie elf Jahre alt waren, verstarb ihr Vater. Wie hat dieses tragische Ereignis Ihr Leben verändert?

Ich glaube, ich bin einfach früher erwachsen geworden – und ich habe oft versucht zu verstecken, was ich fühle. Die Musik hat mir enorm geholfen, meine eigene Welt zu behalten und im Kummer nicht verloren zu gehen. Ich musste damals  außerdem für meine jüngere Schwester Verantwortung mit übernehmen, um unsere Mutter zu entlasten: Das war nicht leicht.

Was gab dann den Ausschlag für Ihre Entscheidung, Gesang zu studieren?

Sie werden lachen, aber es war der Zufall, der nachgeholfen hat. Das Singen habe ich zwar immer sehr geliebt, doch im Kinderchor sagte man: „Ja, natürlich … Du bist eine gute Chorsängerin, aber zu mehr würden wir Dir nicht raten“ – kein Gedanke also an eine Solo-Karriere. Unmittelbar vor der Aufnahmeprüfung für das Klavierstudium am Konservatorium hatte ich dann diesen Sportunfall, brach mir beide Hände und konnte so den Prüfungstermin nicht wahrnehmen. Da habe ich mich kurz entschlossen für Gesang angemeldet, bin – schon etwas aus Trotz – aus dem Chor ausgeschieden und durfte dann mit einer Ausnahmegenehmigung in Brünn studieren.

Wie bewerten Sie diese Ausbildung im Rückblick?

Was ich als durchweg positiv empfunden habe, war der Umstand, dass es im damaligen sozialistischen System tatsächlich eine Chancengleichheit gab: Die Ausbildung war für alle gleich gut. Aber eben auch sehr streng: Lob gab es eigentlich nie, es hieß immer „Du bist nicht gut genug“. Das hat mir viel Stress gemacht, war nicht gut für mein Selbstbewusstsein und hat mein Lampenfieber stärker werden lassen. Später habe ich sehr intensiv daran arbeiten müssen, das wieder abzubauen.

Im Mittelpunkt Ihrer künstlerischen Arbeit hat dabei über all die Jahre immer wieder Bach gestanden. Woher rührt diese Begeisterung für seine Musik?

Bach und Debussy, das sind einfach meine Lieblingskomponisten – das war schon früh am Klavier so. Bei Bach liebe ich den Kontrapunkt: Diese Musik tut mir einfach gut, gibt mir das sichere Gefühl, Teil eines großen Ganzen zu sein. Natürlich gibt es auch bei Händel schöne Arien, reiche Ornamentik, und schnell ist man Star des Abends. Aber das passt eigentlich gar nicht so gut zu meiner Lebensphilosophie: Es ist für mich nicht stimmig, wenn ich als Solistin wichtiger als das Ganze bin. Bach macht einen als Sänger einfach bescheiden.

Einen Ihrer jüngsten Erfolge haben Sie indes mit Strauss gefeiert: als Octavian im Rosenkavalier in Baden-Baden. Eine Mezzo-Paraderolle – und doch: Schauen Sie als Mezzo nicht voller Sehnsucht auf die großen Sopranpartien?

Ach, das ist wohl das Dilemma für jeden Mezzo, dass wir nicht eine vergleichbar große Auswahl haben – als Jenůfa oder Kaja Kabanová werde ich wohl in diesem Leben nicht mehr auf der Bühne stehen. Andererseits schafft man es ja sowieso nicht, in einer Karriere tatsächlich alles zu singen: Also bleibe ich lieber klug und werde kein Sopran. Eigentlich sollte man glücklich sein über das, was man kann und nicht unglücklich über das, was nicht möglich ist.

Auch wenn Sie das Publikum überall auf der Welt bejubelt, Künstler selbst finden sich oft gar nicht so vollkommen. Wie streng sind Sie mit sich selbst?

Sehr streng … manchmal wohl zu streng – aber ich lerne ständig dazu. Diese Strenge, die so viel Druck macht, die sitzt einfach sehr tief. Es ist ein langer Weg zu lernen, dass man im Moment des Konzertes nur das machen kann, was man eben machen kann. Es tut nicht gut, sich selber so zu stressen. Wichtig ist doch vor allem, dass die Freude bleibt: Ja, die Freude ist das Wichtigste! So ganz langsam lerne ich, wenn ich eben nicht ganz zufrieden bin, auch sagen zu können: Hey, war nicht so schlimm, das war heute das Beste, was ich geben konnte. Im Grunde ist es mit dem Singen und dem Leben doch gleich, beides ist ein never ending learning.

Auf Ihrer aktuellen Agenda stehen Budapest, Wien, Paris, Ihr Mann ist rund um den Globus unterwegs. Das klingt nach kurz vor Wahnsinn … wie lässt sich da noch ein Familienleben gestalten?

Stimmt genau, das trifft es auf den Punkt: Das ist kurz vor Wahnsinn!!! Es ist wirklich extrem schwierig, eine gute Balance zu finden. Wir haben aber das Glück, dass wir sehr viele Jahre im Voraus planen können. Und mein Mann Simon nimmt sich viel Zeit für die Kinder, denn was wir von vornherein nicht wollten, war eine Familie, in der die Kinder ohne Eltern groß werden und es heißt: Papa dirigiert irgendwo und Mama ist auch nicht da. Natürlich frage ich mich zwischendurch: Bin ich eine gute Mutter?

Und wie lautet Ihre Antwort?

Zu Hause wie auf der Bühne perfekt zu sein, das ist nicht zu schaffen. Weil ich unsere Kinder nicht einer Nanny überlassen wollte, habe ich sie fast immer mitgenommen. Inzwischen sind die Jungs in der Schule, nun nehme ich unsere Kleine mit. Das ist manchmal zwar ziemlich anstrengend für mich und zieht mir viel Energie ab, ist aber enorm wichtig. Das schwierigste dabei ist das viele Sprechen: Mit dem unruhigen, wenigen Schlaf kommt man ja zurecht, aber Kinder wollen doch immer die Stimme ihrer Mutter hören, sind Könige im Fragenstellen und wollen spüren, dass Mama präsent ist. Das ist ein echtes Problem, wenn sie dann raus auf die Bühne müssen, um eine große Partie zu singen.

Nun sind Sie ja als Künstlerin längst nicht mehr nur auf einer Bühne, sondern durch die Globalisierung und Vernetzung weltweit präsent – ist das für Sie als Künstlerin eher Chance oder Risiko?

Was ich als große Chance sehe, ist, dass heute praktisch jeder ohne ein oft ja hohes Eintrittsgeld zahlen zu müssen, in den Medien oder online Zugang zur klassischen Musik bekommen kann. Oper im Fernsehen, aus der MET im Kino, Konzerte der Berliner Philharmoniker am Laptop: Das sind tolle Möglichkeiten. Was mir überhaupt nicht gefällt, ist, dass man selber als Person im Internet so durchsichtig wird. Alles, was man macht, wird auf einmal öffentlich, wird sofort kommentiert und kritisiert: Da entsteht viel Druck. Da habe ich auch Diskussionen mit meiner Agentur, die mir rät, Social Networks wie Facebook zu betreiben, weil es heute eben ein Muss sei, dem man sich als Künstler kaum entziehen könne.

Dennoch sind weder Sie noch Ihr Mann auf den Titelseiten der Regenbogenpresse zu erleben – scheuen Sie Glitzer und Glamour?

Das sind andere Arten von Karriere: Mich hat das nie so sehr gereizt. Und das entscheidet man ja selber, wieviel man machen möchte – auch wenn die Agentur vielleicht manchmal zu mehr PR-Einsatz drängt. Doch mir ist es lieber, meine Zeit mit meiner Familie zu verbringen, statt in Studios für Fotoshootings zu sitzen.

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