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Interview Dmitry Sinkovsky

„Es ging mir nie um einen Show-Effekt“

Der Countertenor und Geiger Dmitry Sinkovsky über Flugstunden, Talent und seine Vorliebe für das Barock-Repertoire.

vonJakob Buhre,

Auf kaum einen klassischen Musiker passt das Wort „Ausnahmeerscheinung“ so gut wie auf Dmitry Sinkovsky. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass ein Geigen-Solist auch als Countertenor auf höchstem Niveau singen kann. Nicht selten übernimmt der 1980 in Moskau geborene Musiker dabei auch noch das Dirigat. Es sei vor allem Neugier, die ihn antreibt, erklärt Sinkovsky im Interview, das noch vor der Corona-Krise geführt wurde.

Herr Sinkovsky, Sie sind als Dirigent, Geiger und Countertenor erfolgreich – und im Internet findet sich ein Video, das Sie am Steuer eines Flugzeugs zeigt. Werden Sie jetzt auch noch Pilot?

Dmitry Sinkovsky: Ach, nein. Ich habe zwar einen Bootsführerschein, aber keine Fluglizenz. Das ist nur ein Hobby. Ein Freund von mir in ­Seattle ist Pilot und gibt mir manchmal Flugstunden in einer kleinen Cessna. Wenn ich demnächst wieder dort bin und das Wetter gut ist, werde ich weiter meine Landungen trainieren. Aber bis zur Fluglizenz ist es noch ein sehr weiter Weg. Dafür fehlt mir im Moment auch die Zeit. Das Fliegen ist natürlich ein sehr schönes Hobby, es gibt dir ein ganz besonderes Gefühl von Freiheit.

Inspiriert es Sie als Musiker?

Sinkovsky: Auf jeden Fall. So wie dich alle wunderbaren Dinge im Leben inspirieren können, jede positive Emotion. Im Moment arbeite ich zum Beispiel mit dem Ensemble B’Rock in Belgien, und es ist immer toll, wenn man mit einem Orchester zu tun hat, das sich so gut auskennt mit historisch-infomierter Spielpraxis, wenn Musiker mit dir diese Passion für Alte Musik teilen. Inspiration kann aber auch ein Museumsbesuch sein, die Natur oder einfach ein Gespräch mit einer netten Person.

Auf Ihrer CD »Bach in Black« haben Sie bei der Arie »Erbarme dich« sowohl den Alt- als auch den Solo-Geigenpart übernommen und nacheinander aufgenommen. So ein Vorgehen ist im Klassik-Bereich äußerst selten …

Sinkovsky: Jascha Heifetz hat das auch einmal gemacht, beim Doppelkonzert von Bach, wo er beide Solo-Partien eingespielt hat. Theoretisch hätte ich diese Arie auch in einem Take aufnehmen können, bis auf die wenigen Stellen, wo sich Geige und Gesang überschneiden. Andererseits will ich schon versuchen, mich jeweils auf einen Part zu konzentrieren. Diese Aufnahme entstand einfach aus diesem Zufall heraus, dass ich in beiden Fächern professioneller Musiker geworden bin.

Wie haben Sie Ihr Gesangstalent entdeckt?

Sinkovsky: Ich hatte 2010 eine Tournee mit dem Countertenor Michael Chance, der Sopranistin Emma Kirkby und dem En­semble ­Musica Petropolitana aus St. Petersburg. Und da habe ich die beiden gefragt, ob sie mir vielleicht ein paar Gesangsstunden geben. Ich war einfach neugierig. Wenn du mit Gesangssolisten arbeitest, willst du irgendwann selbst entdecken, wie das ist. Was fühlen sie, wie atmen sie, was geht ihnen durch den Kopf während eines Konzerts? Das wollte ich verstehen. Als ich es dann ausprobierte, sagten die Kollegen zu mir, dass ich stimmlich sehr gute Voraussetzungen hätte, um professioneller Sänger zu werden.

Hatten Sie bestimmte Multi-Instrumentalisten als Vorbilder?

Sinkovsky: Da würde mir als Erstes ­Alexander Rudin einfallen, mit dem ich oft zusammenarbeite. Er ist einer der besten Cellisten die ich kenne, außerdem ein großartiger Pianist und ein wunderbarer Dirigent. Es ging mir aber nie um einen Show-Effekt. Es nicht mein Ziel, das Publikum mit diesen verschiedenen Fähigkeiten zu überraschen. Sondern es ist wirklich meine Neugier, die dahintersteckt – und der Wunsch, ein kompletter Musiker zu sein. Ich folge da dem Ideal des „­uomo universale“ von Leonardo da Vinci …

Dmitry Sinkovsky

… also eine Art »musicus universalis«.

Sinkovsky: Ja, wenn ich zum Beispiel ein Violinkonzert spiele und gleichzeitig dirigiere, hilft mir das sehr, ein gutes Tempo und den richtigen Orchesterklang zu finden. Und wenn ich Sänger dirigiere, kann ich damit jetzt ganz anders umgehen, weil ich die andere Seite kenne, weil ich die Gesangsästhetik besser verstehe. Und generell eröffnet mir das Dirigieren natürlich noch ein ganz anderes Repertoire, als wenn ich nur Sänger oder Instrumentalist wäre. Wenn ich mein Leben lang nur fünf oder zehn Violin­konzerte spielen würde, das würde mich nach einer gewissen Zeit nicht mehr erfüllen.

Sie unterrichten Geige und Bratsche am Moskauer Konservatorium. Empfehlen Sie Ihren Studenten auch das Singen?

Sinkovsky: Wenn sie die Möglichkeit dazu haben, natürlich. Nicht um damit auf die Bühne zu gehen, aber um die Grundlagen zu kennen. Es wird bei der Geige ja oft über Vibrato diskutiert, ob man beispielsweise Barock-Repertoire generell ohne ­Vibrato spielen sollte. Wer das Singen ausprobiert, merkt, dass unsere Stimmbänder von ganz alleine vibrieren. Diese Erfahrung kann zu einem besseren, natürlicheren Umgang mit Vibrato führen, sprich: dass man es nicht statisch wie einen Spezialeffekt einsetzt.

Sie arbeiten vorrangig im Bereich Alte Musik. Wie entstand dieses Interesse? In Ihrer Heimat Russland ist dieses Repertoire ja nicht unbedingt populär …

Sinkovsky: Natürlich musste auch ich zuerst meine Technik entwickeln. Du spielst erst Stücke von ­Accolay, Wieniawski oder Friedrich Seitz, kommst dann später zu Bruch, Brahms, Tschaikowsky. Weil dieses Instrument so schwierig ist, musst du zunächst technisch ein bestimmtes Niveau erreichen, um dich ausdrücken zu können. Ich habe mich aber schon während meines Studiums mit dem Barock-Repertoire befasst und gesehen, wie reichhaltig viele Kompositionen dieser Epoche sind, zum Beispiel von Jean-Marie Leclair, Johann Georg Pisendel oder Pietro Locatelli, dessen Konzertzyklus L’arte del Violino sehr einflussreich war. Und für mich stellt sich schon die Frage: Wie komme ich als Geiger zu Bach, wenn ich dieses Repertoire seiner Zeit nicht kenne? Ich denke nicht, dass es für Bach ausreicht, mal ein Vivaldi– oder Telemann-Konzert gespielt zu haben.

Inwieweit ist es denn für Alte-Musik-Spezialisten wichtig, sich auch mit Brahms, Bruch oder Neuer Musik zu beschäftigen?

Sinkovsky: Interessante Frage. Zunächst einmal: Wir leben heute nicht mehr im Barock. Was auch heißt, dass wir meistens nicht in Räumen wie damals spielen. Oft sind sie heute sehr viel größer. Und selbst wenn du dich an historische Quellen hältst, den richtigen Bogen und die richtigen Saiten verwendest, so erfordern diese Säle doch eine andere Klang-Projektion. Dafür ist die Erfahrung, ein Brahms-Konzert mit großem Orchester gespielt zu haben, auf jeden Fall hilfreich. Und dann bringt dich das späte Repertoire eben auch technisch auf ein anderes Level. Wenn du die Sonaten von Bartók oder Ysaÿe spielen kannst, hilft dir das auch bei Bach, weil du beim Spiel viel koordinierter bist.

Und welche Rolle spielt bei alledem das Talent? Ist die DNA entscheidend für eine Musikkarriere oder eher die Erziehung und Sozialisation eines Menschen?

Sinkovsky: Ich glaube, jeder Mensch ist talentiert, nur muss er auch herausfinden, wofür er Talent hat. Wenn du kein Talent für Musik hast, kannst du es natürlich auch probieren, du kannst jeden Tag zehn Stunden üben und wahrscheinlich wirst du auch zu einem Ergebnis kommen. Aber es wird ein sehr harter Weg sein. Und dann ist für einen Musiker ja die Ausstrahlung sehr wichtig. Dein Charisma kannst du zwar entwickeln, aber ich denke, du brauchst einfach diese bestimmte DNA, um Menschen mit deiner Bühnenpräsenz zu infizieren.

Dmitry Sinkovsky singt Vivaldi:

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