Startseite » Interviews » Blind gehört » „Geh doch zum Ballett!“

Blind gehört Malte Arkona

„Geh doch zum Ballett!“

Moderator Malte Arkona hört und kommentiert Aufnahmen, ohne dass er weiß, wer spielt.

vonHelge Birkelbach,

Kann man sich einen glücklicheren Menschen vorstellen? Malte Arkona hat mit Musik zu tun, seit er den ersten Ton seines Lebens vernahm. Als Moderator, Sänger und Stimme der Hörspielreihe „Malte & Mezzo“ begeistert er Kinder für Musik. Und seit kurzem darf er das auch privat tun. Der frischgebackene Vater scheint trotz neuer Aufgaben sein Zeitmanagement voll im Griff zu haben. Pünktlich und gut gelaunt erscheint er zum Probehören: Top oder Flop für Kinder?

Bizet: Carmen-Suite – Prelude I: Allegro giocoso

Berliner Philharmoniker, Herbert von Karajan (Ltg)
DG 1982

Alles klar! Das ist natürlich die Titelmusik zu unserer NDR-Serie „Alle mal herhören!“. Das kannte ich schon als Kind. Ich glaube, es lief im Vorspann einer Fernsehserie, wo es um Football oder Baseball ging. Ich fand die Serie gut, weil genau diese Musik am Anfang kam. Erst viel später wusste ich, dass es die Ouvertüre zu „Carmen“ ist. Außerdem gibt es bei Carmen einen herrlichen Mord. Nun ja, vielleicht ist das nichts für Kinder. Aber in jedem Märchen kommen ja Morde vor. Es kommt darauf an, wie man sie erzählt. Wenn die Hexe in „Hänsel und Gretel“ verbrannt wird, freut das die Kinder, weil es die gerechte Strafe ist und sie nichts Böses mehr anrichten kann.

Beethoven: Für Elise WoO 59

Alena Cherny (Klavier)
Sony 2013

Ich glaube, bei diesem Stück ist es die Kunst, es so zu spielen, dass man als Zuhörer denkt, dass man es noch nie gehört hat. Jedes Kind spielt es, dazu noch den „Flohwalzer“ – das macht natürlich etwas kaputt. Es aber neu zu entdecken, ist die große Kunst. Im Gewandhaus haben wir neulich Prinzessin Elise aufgeführt, ein Stück, bei dem ich so eine Art Waldgeist verkörpert habe, der versucht, auf dem Klavier Für Elise zu klimpern, aber furchtbar scheitert. Dann kommt Eric Schneider, der das natürlich ganz toll kann. Äußerst eingängig, denn: Es sind wenig Töne beteiligt. Und dennoch spannend, weil es so unentschieden ist. Welchen Weg gehe ich? Welchen Ton nehme ich? Den auf den weißen Tasten oder den auf den schwarzen Tasten?

Saint-Saëns: Der Karneval der Tiere – Aquarium

Lucas & Arthur Jussen (Klavier), RCO Chamber Soloists
DG 2018

„Kängurus können gar nicht singen“, sagt da jemand. Ah, das ist Katja Riemann im „Karneval der Tiere“! Es ist Roger Willemsens Text, der eigentlich nicht für Kinder geeignet ist. Roger hat eine Sprache benutzt, die nicht so einfach ist. Er hatte einen gigantischen Wortschatz. Und die Ironie, die er oft einsetzte, ist auch nichts für kleine Kinder. Die nehmen das für bare Münze. Wenn man also einfach nur Karneval der Tiere für die Kinder kauft und denkt, dass das schon irgendwie passt, kann ich nur sagen: Achtung! Auch von mir gibt es eine Einspielung nur für Erwachsene – das steht extra groß auf der CD drauf. Und dennoch glauben viele, dass es per se ein Kinderstück ist.

Mozart: Die Zauberflöte – Der Vogelfänger

Dietrich Fischer-Dieskau, SO des RIAS Berlin, F. Fricsay (Ltg)
DG 1972

Papageno ist natürlich der Bringer für Kinder. Obwohl die Oper ziemlich lang ist. Ich kann schon verstehen, dass es gekürzte Versionen der Zauberflöte gibt. Drei Stunden sind nichts für Kinder. Diese langen Szenen mit Sarastro, wenn es nicht weitergeht, das ist einfach too much. Diese Stimme, das ist nicht Hermann Prey, oder? Dieses übertriebene rollende R. Ah, Fischer-Dieskau. Hermann Prey klingt tiefer, wärmer. Und jetzt kommt der Erzähler … Als hätte ich es geahnt! Karlheinz Böhm! Ich fühle mich wie ein Achtjähriger. Ich liege irgendwo auf einem Sofa und bin komplett woanders. Böhms Stimme ist ziemlich einzigartig. Dabei klingt er so vertraut, er hat etwas Heimatliches in der Stimme. Ganz entspannt und klar, nicht aufgesetzt und übertrieben. Kinder spüren ja schnell, ob etwas echt ist. Diese Stimme gehört jemandem, bei dem man in der Nähe bleiben möchte und dem man vertraut. So habe ich mich als Kind gefühlt.

Prokofjew: Peter und der Wolf – Der Großvater

Malte Arkona (Sprecher), Dresdner Philharmonie
Edel 2021

Ja! Das ist die CD mit Mezzo, meinem guten Freund mit den großen Brillengläsern. Mezzo ist ein lustiger Typ, der im Grunde genau die Fragen stellt, die sich nicht nur Kinder, sondern viele neue Konzertgänger stellen. Oder auch die Nichtbesucher. Das sind Menschen, die nicht zu Konzerten gehen. So werden sie offiziell in den Statistiken genannt, in der sogenannten Nichtbesucherforschung. Die stellen sich alle dieselben Fragen: Warum dauert ein Stück so lange, warum muss ich stillsitzen, worum geht es überhaupt. Solche Fragen stellt Mezzo. Er bricht das hochheilige Thema auf und bringt es in den Alltag hinein. Und das tut gut. Natürlich ist Mezzo auch ein Teil von mir. Als Kind hatte ich auch so eine riesige Brille und war genauso ungeduldig wie er. Und er hat sehr kurze Beine, kann also nicht so schnell weglaufen, wenn Klassik gespielt wird.

Verdi: Rigoletto – La donna è mobile

Roberto Saccà (Tenor), Slowakisches RSO Bratislava, Ivan Anguélov (Ltg)
Arte Nova 2003

Mein Traum wäre es, einen Abend so singen zu können wie ein hochkarätiger Tenor. Genau so, dass es dich geradewegs ins All beamt. In der Arena von Verona, einfach die Mikros ausschalten und sagen können: Ich mach das jetzt ohne. Ich hatte Gesangsunterricht bei Prof. Hanno Blaschke. 2007 habe ich am Gärtnerplatz den Papageno gesungen. Blaschke brachte mir die Freude und die Liebe für Musik wieder bei. Am musischen Gymnasium in München ist vorher einiges falsch gelaufen. Diese Leistungs- und Drillmenschen, die dort unterrichtet haben, sind nicht gemacht für Normalos wie mich. Ich möchte keine Urkunden erspielen, sondern Musik leben und lieben. Aber dafür war dort kein Raum. Ich habe Klavier gespielt und mein Abi in Musik gemacht; die Prüfungsaufgabe waren die „Trois Pièces“ von Francis Poulenc. Ich kam in den Prüfungssaal, da saßen drei schlecht gelaunte Herren, keiner sagte „Guten Morgen“. Ich fand das komisch. Wieso sollten wir vergessen, Mensch zu sein, wenn es um Musik geht? Ich möchte mich bei Musik nicht fühlen wie bei einer Schluckimpfung. Beim Vorspielen haben die drei Herren in der Partitur alle Fehler eingekreist, die ich gemacht habe. Das hat mich völlig rausgehauen und ich habe mich komplett verspielt. Das Brahms-Intermezzo habe ich noch halbwegs über die Tasten gebracht – und ab diesem Tag den Deckel für drei Jahre nicht mehr hochgeklappt. So kam ich zum Gesang am Gärtnerplatz bei Hanno Blaschke. Ich habe bei ihm vorgesungen, man konnte seine Stimme bei ihm „testen“ lassen. Da saß also dieser lustige Mann mit den Hosenträgern hinten in der Ecke, blickte aus seiner Zeitung auf und begrüßte mich fröhlich: „Hallihallo, wie geht’s denn so?“ Mit ihm kam die Musik wieder in mein Herz zurück. Er war mein Lehrer und wurde ein sehr guter Freund.

Williams: Star Wars – Titelthema

London Symphony Orchestra, John Williams (Ltg)
Sony 2005

Filmmusik ist ein toller Einstieg für Kinder. Es ist übrigens interessant, ein und dieselbe Filmszene zu zeigen und dabei ganz verschiedene Musik zu spielen. Das haben wir beim NDR gemacht: Wir haben eine Szene im Keller gedreht, wo ich ein Wägelchen vor mich hinschiebe. Ich habe versucht, einen ganz neutralen Gesichtsausdruck zu wählen. Die Kinder sollten dann sagen, was sie jeweils empfinden, als sie dazu die verschiedenen Musikstücke hörten. Bin ich vielleicht verfolgt worden, habe ich gerade jemanden umgebracht? Das war spannend.

Elgar: Salut d’amour op. 12

Sharon Kam (Klarinette), Itamar Golan (Klavier)
Edel 2012

Oh ja, eine schöne Melodie. Da kann man mitsingen. Die Klarinette beschreibt eine Art Rendezvous. Jetzt stehe ich aber auf dem Schlauch, um genau zu sagen, von wem das Stück stammt. Edward Elgar? Und es geht um die Liebe? Wunderbar. Salut d’amour – daraus lassen sich für jedes Alter Programme basteln, auch für Kinder. In jedem Alter ist man verliebt. Beim Ballett war ich jede Woche in ein anderes Mädchen verliebt. Wie doof sind Jungs eigentlich, dass sie zum Fußball rennen? Geh doch zum Ballett! Und das habe ich gemacht. Montags waren wir zwei Jungs, dienstags war ich der einzige, und zwar in der fortgeschrittenen Gruppe. Wenn die Schneeflöckchen um dich herumtanzen, ist man als junger Mann völlig beseelt. Mir hat Ballett für die Köperhaltung und das Körpergefühl viel gebracht, gerade vor der Kamera und auf der Bühne.

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Anzeige

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!