Porträt John Adams

Mit Blick auf Amerika

Der diesjährige Composer in Residence der Berliner Philharmoniker, John Adams, ist im Januar gleich sechs Mal zu hören

© Vern Evans

John Adams

Die Statistik, die das Baltimore Symphony Orchestra jüngst veröffentlicht hat, ist beeindruckend. Für die Spielzeit 2016/2017 wurden sämtliche Programme der amerikanischen Sinfonieorchester durchforstet. Dabei kam auch heraus: Fast jedes zehnte zeitgenössische Werk, das in US-Konzertsälen erklingt, stammt von John Adams. Insofern verwundert es, dass der Komponist im Gespräch etwas verbittert klingt: „Auch ich habe es schwer, wenn es um Aufführungen geht. Das Publikum bekommt immer wieder das gleiche bekannte Repertoire vorgesetzt, Marketing- Chefs haben Angst vor mir, mein Orchesterwerk „Scheherazade.2“ zum Beispiel ignorieren sie – weil sie befürchten, dass niemand kommt.“

Vom Kompost des amerikanischen Lebens

Dass der in Massachusetts geborene Adams auch solchen Befürchtungen zum Trotz heute die meist gehörte zeitgenössische Stimme im Klassikbetrieb der USA ist, hat verschiedene Gründe. Da ist zum einen die Klangsprache: Adams bricht nie vollends mit der Tonalität, lässt das Orchester auf faszinierende Weise vibrieren, nimmt den Zuhörer in Bann mit immer wieder neuen dramatischen Bögen. Hinzu kommt, dass sich seine Heimat vielfältig in seiner Musik widerspiegelt – ein bereits früh gehegtes Ziel. Mit zehn Jahren begann Adams, der zuerst Klarinette lernte, mit dem Komponieren. Als er fünfzehnjährig Bernsteins West Side Story sah, keimte in ihm der Wunsch auf, eine Musiksprache „out of the compost of American Life“ zu erschaffen, so Adams in seinem Buch „Hallelujah Junction“. Er studierte an der Harvard University, lernte u. a. bei Leon Kirchner und David Del Tredici und wurde 1982 Composer in Residence des San Francisco Symphony.

© Vern Evans

John Adams

John Adams

Während frühe Kompositionen klar der von Philip Glass und Steve Reich geprägten Minimal Music zuzurechnen sind, wurde der Minimalismus später zu einem Einfluss von vielen. Das wuchtige Orchesterwerk „Harmonielehre“ (1981) trägt spätromantische Züge, Einflüsse von Mahler, Debussy und Charles Ives werden hörbar. „Ich sehe mich einerseits als sehr amerikanischen Komponisten, andererseits habe ich eine große Affinität zum europäischen Musik-Kanon. Ein großer Teil meiner Musik ist für Sinfonieorchester, also eine sehr europäische Kunstform.“ Er ist allerdings auch vom Jazz beeinflusst, sein Vater spielte einst Klarinette in Swing- Bands, Adams selbst war Mitglied einer Marching Band, was gelegentlich in seinen Bläsersätzen durchscheint. Vor zwanzig Jahren wagte er sogar einen Ausflug in die Popmusik, mit seinem Songplay „I Was Looking at the Ceiling and Then I Saw the Sky“. Dass er aber nicht nur die Musik seines Landes, sondern auch die Politik mit einbezog, wurde für Adams zu einem wichtigen Türöffner. Die Oper „Nixon“ in China sorgte 1987 für viel Aufsehen, und als er 1991 ein Stück über die Ermordung des amerikanischen Juden Leon Klinghoffer durch militante Palästinenser auf die Bühne brachte, wurde kontrovers darüber diskutiert. Er beschäftigte sich in „Dr. Atomic“ (2005) mit dem Bau der Atombombe und widmete seine „Scheherazade.2“ (2015) den unterdrückten Frau- en in der Welt.

Ein Stück über Obama in Kenia? Nein, danke!

© Vern Evans

Johan Adams

Johan Adams

Und doch ist Adams kein politischer Komponist. Viele Angebote hat er ausgeschlagen, zum Beispiel ein Stück über Obama in Kenia zu schreiben. Es gehe ihm vielmehr darum, „die Menschen fühlen zu lassen“. So stellt sein in Gedenken an die Opfer des 11. September komponiertes, ergreifendes Werk „On the Transmigrations of Souls“ auch nicht den Terror, sondern den Verlust von Menschen in den Mittelpunkt. Eine menschlich-emotionale Stellungnahme, keine politische. Ähnlich wie in Adams’ neuer Oper, „Girls of the Golden West“, die kommenden November uraufgeführt wird. Basierend auf Briefen aus den 1850er Jahren schreibt er über den Goldrausch in Kalifornien – und sieht Parallelen zu heute, zur IT-Branche im Silicon Valley, zum Materialismus und zum politischen Klima. Adams’ Besorgnis angesichts des Aufstiegs von Donald Trump und der Alt-Right-Bewegung wird sich in der Partitur niederschlagen, daraus macht er kein Geheimnis. „Ich bin beim Schreiben dadurch motiviert, wie ich die Welt erlebe“, sagt er. John Adams fühlt den Puls der Gesellschaft die ihn umgibt – und übersetzt ihn in musikalische Schwingungen.

CD-Tipp

Adams: Schehezerade.2 für Violine & Orchester

Leila Josefowicz (Violine)Saint Louis SO
David Robertson (Leitung)
Nonesuch

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