Opern-Kritik: Staatstheater Kassel – Die Walküre

Gewalt und Leidenschaft

(Kassel, 9.3.2019) In Kassel bleibt der neuen Ring von Markus Dietz und Francesco Angelico mit einer exemplarischen „Walküre“ auf Erfolgskurs.

© Norbert Klinger

Die Walküre/Staatstheater Kassel: Barbara Senator (Ortlinde), Maren Engelhardt (Waltraute), Doris Neidig (Helmwige), Nancy Weißbach (Brünnhilde), Inna Kalinina (Roßweiße), Marie-Luise Dreßen (Siegrune) und Ulrike Schneider (Schwertleite)

Das Riesenlogo aus Neonröhren, das Ines Nadler in und übers „Rheingold“ platziert hatte, greift auch ihre Kollegin Mayke Hegger in der neuen Kassler „Walküre“ an den passenden Stellen auf. Für sein Inszenierungsteam hat der Oberspielleiter und aktueller Ring-Regisseur Markus Dietz zwei Bühnenbildnerinnen im Boot. Nadler wird beim „Siegfried“ und Hegger bei der „Götterdämmerung“ wieder mit von der Partie sein.

Wie es nach dem ersten Wechsel aussieht, bleibt es aber bei einer Handschrift. Und das ist gut so! Denn die setzt auf das Exemplarische der Ringgeschichte, lotet jeden Teil für sich genommen und als Teil eines Ganzen aus, befreit bewusst von allem Mythischen. Vermeidet eine vordergründig aufs Politische oder sofort erkennbar Gesellschaftskritische setzende Opulenz von Bildern. Die stellt sich auf dem Umweg über eine Personenregie dennoch ein.

Von Beginn an zieht die in den Bann und fordert die Fantasie des Zuschauers. Dieses suggestive Charisma wird durchgehalten von den ersten Takten des Vorspiels bis Wotan im wabernden Nebel des Feuers verschwindet, von dem wir nur den Qualm zu sehen bekommen. Natürlich hängen die Rauchschwaden hier auch über einer Welt in Trümmern. In der „Walküre“ geht es ja tatsächlich nicht nur beim Walkürenritt mit exemplarisch kriegerischem Furor zur Sache.

Hinter einer steril hellen Welt öffnet sich eine Alptraum-Welt

© Norbert Klinger

Szenenbild aus „Die Walküre“

Die Walküre/Staatstheater Kassel: Martin Iliev (Siegmund)

Schon im Vorspiel sehen wir die Sturmmusik, die von Wotans Langzeit-Exkursion zu den Menschen und den Katastrophen mit seiner menschlichen Zweitfamilie berichtet, als einen Alptraum seiner Tochter Sieglinde. Hinter der steril hellen Welt, zu deren Style neben einem nüchternen Tisch eine wohlbestückte Getränkekollektion in den weißen Seitenwänden gehört, öffnet sich immer wieder eine verdrängte dunkle Alptraum-Welt voller Angst und Gefahr. Mit einer Horde von gewaltbereiten Männern mit Hunden, die Sieglinde bedrängen. Und Verschachern.

Die einen lachen dabei höhnisch auf, die Vierbeiner bellen dazwischen. Das stört aber nicht, sondern wirkt wie Ausrufezeichen. Wenn Siegmund mit zerschlissenem T-Shirt bei Sieglinde hereinstürzt, ist er so blutüberströmt, dass der heimkehrende Hunding (mit finsterer Mine zur dunklen Stimme: Yorck Felix Speer) vermutlich auf den ersten Blick erkennt, wer ihm da in die Falle gegangen ist. Die ganze Fragerei nach dem Namen und dem Woher wird so zu einem Spiel der Katze mit der Maus und bereitet ihm finsteres Vergnügen.

Erotisches Knistern zwischen Siegmund und Sieglinde

Was diesen ersten Walküre-Akt so atemberaubend macht, ist neben dem inneren Feuer, mit dem GMD Francesco Angelico hier die Leidenschaft des Wälsungenblutes mit den Musikern des Staatsorchesters Kassel zum Blühen bringt, das erotische Knistern zwischen Siegmund und Sieglinde. Hier sind die Anziehungskräfte so stark, dass die Geschwister gar keine Chance hätten, einander auszuweichen, selbst wenn sie es wollten. Nadja Stefanoff und Martin Iliev singen das alles nicht nur blühend famos und ohne Überdruck, sie spielen es auch so eindringlich und in jeder Geste, jedem Blick, jeder Berührung genau, dass dieser ganze erste Akt (im Vergleich mit vielen anderen der letzten Zeit) endlich mal wieder ein Spannung entfaltet, der man sprichwörtlich auf der Stuhlkante folgt. Eine Sieglinde, die gegen ihre Traumata ankämpft und die Gelegenheit für eine Befreiung von Hundings brutalem Besitzanspruch sofort erkennt und beherzt ergreift. Sogar noch bevor es Siegmund dämmert.

© Norbert Klinger

Szenenbild aus „Die Walküre“

Die Walküre/Staatstheater Kassel: Martin Iliev (Siegmund) und Nadja Stefanoff (Sieglinde)

Dietz mag es bei den sexuellen Konnotationen deutlich – etwa wenn Sieglinde zu Siegmunds Füssen liegt, wenn er das Schwert aus der Wand zieht oder es dann mit ihren Schenkel umklammert. Aber das ist gerade noch so dezent, dass es verdeutlicht und unterstreicht, worum es auch geht und es nicht überblendet. Und wenn Dietz bei der Bebilderung – wie bei der großen Videoerinnerung ans Rheingold zu Wotans Rückblende („mit mir nur rat ich, red ich zu dir“) – Störche fliegen lässt, wenn er von Brünnhilde und ihren Schwestern spricht – dann ist das als ironisches Augenzwinkern willkommen.

Fricka und eine Harley Davidson

Die Verbindung von Gewalt und Erotik buchstabiert er mit Wotan und Fricka ebenso durch, wie mit den Walküren. Nachdem zu Beginn des zweiten Aktes Wotan und seine Weibertruppe ausgelassen demonstrieren, was ihr Job ist, nämlich Helden rekrutieren und nach Wahlhall, sprich in den (Bühnen-)Himmel zu befördern, und sich dabei auch mal einen genehmigen, kommt mit Fricka der Ernst Lebens angebraust. Auf einer Harley Davidson. Im Hosenanzug und mit Krad-Chauffeur. Der verharrt erst auf dem Gefährt und macht dann, als er merkt, dass es länger dauert, doch eine Pause hinter den Kulissen. Wenn er dann seine Chefin nach ihrem K.O.-Sieg über den Göttergatten wieder abholt, ziehen die beiden so vertraut von dannen, dass man sich fragt, wie es die Hüterin der ehelichen Treue wohl selbst damit halten mag.

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Szenenbild aus „Die Walküre“

Die Walküre/Staatstheater Kassel: Nancy Weißbach (Brünnhilde) und Egils Silins (Wotan)

Was Egils Silins als Wotan und Ulrike Schneider als Fricka hier liefern, ist ein atemberaubendes Kammerspiel zwischen Ehekrach und Diskurs über Werte und Prinzipien. Ein rhetorisches Ping-Pong von Dialektik, bei dem Sie zwar auf den ersten Blick Recht behält, weil sie die Logik auf ihrer Seite hat. Wo auf den zweiten Blick aber doch er am längeren Hebel sitzt, weil er emotional argumentiert und bereit ist, die Existenz der Regeln und damit die eigene aufs Spiel zu setzen. Dass von außen gesehen und mit dem Wissen um das Ende dieser Geschichte im Grunde beide Recht haben, macht diese eheliche Moraldebatte so prickelnd.

Dass Fricka nach ihrem Punktsieg in der Debatte ihren Gatten triumphierend – gegen dessen Willen, aber auch ohne dessen Widerstand küsst, Brünnhilde mit unverhohlenem Triumph ankündigt, dass es Neuigkeiten vom Vater geben wird, die sie nicht erwartet haben dürfte und dann mit ihrem Chauffeur abzieht, denkt auf seine Weise ebenso doppelbödig Macht und Erotik zusammen wie der erste Aufzug. Und wenn das dann auch noch so mustergültig artikuliert, gesungen und gespielt wird, wie von Schneider und Silins, dann ist auch das eine der Szenen, der man mit angehaltenen Atem folgt.

Elegante Walküren mit Männern an Ketten

Beim Walkürenritt, der zu einer Art SM-Partie eskaliert, triumphiert dann doch mal die Show des eindeutig Doppelbödigen. Da kommen die eleganten Walküren von beiden Seiten auf die Bühne und jede der eigentlich kriegerischen Frauen hat ein Musterexemplar Krieger, sprich Mann, an die Kette gelegt, um es zur eigenen Lust im wahrsten Wortsinn kaputtzuspielen. Hier sind die Jungs von der Statisterie körperlich und choreographisch mindestens so gefordert, wie die Damen-Riege vokal. Doris Neidig (Helmwige), Jaclyn Bermudez (Gerhilde), Barbara Senator (Ortlinde), Maren Engelhardt (Waltraute), Marie-Luise Dreßen (Siegrune), Inna Kalinina (Roßweiße), Marta Herman (Grimgerde) und die Fricka Ulrike Schneider als Schwertleite machen das in Kassel so differenziert porträtierend und mit mustergültiger Wortverständlichkeit, dass man sie einfach alle namentlich nennen muss.

© Norbert Klinger

Szenenbild aus „Die Walküre“

Die Walküre/Staatstheater Kassel: Marta Hermann (Grimgerde), Jaclyn Bermudez (Gerhilde), Barbara Senator (Ortlinde), Inna Kalinina (Roßweiße), Maren Engelhardt (Waltraute), Doris Neidig (Helmwige) und Ulrike Schneider (Schwertleite)

Dass der lange Schluss nicht lang wirkt ist dem Charisma und der Präsenz von Nancy Weißbachs nie ausufernder, auch exponiert immer wirklich singender Brünnhilde und dem Ausnahme-Wotan zu danken der keine Konditionsschwäche zu kennen scheint und auch im Schlussnebel noch so frisch, präsent und kraftvoll singt wie zu Beginn. Nancy Weißbach ist obendrein auch optisch eine (moderne) Musterbrünnhilde. Deren Erscheinung ist auch dann präsent, wenn sie wie in der Todesverkündigung nur für Siegmund sichtbar ist.

Das ist am Staatstheater Kassel mal wortwörtlich so, denn sie singt vom Rang aus hinten aus dem Saal in Richtung Siegmund zur Bühne. Das ist verblüffend stimmig. Wie auch das gemeinsame wache Lauschen und Reagieren von Siegmund und Sieglinde auf die Todes-Ankündigung der Walküre. Bei dieser Sieglinde überrascht das ebenso wenig, wie ihre Verstörung nach dem ihr der Bruder das Schwert an die Kehle gehalten hatte, und erst Brünnhilde mit ihrem Seitenwechsel zu den Geschwistern einen Doppelselbstmord verhinderte.

Die „Walküre“ am Staatstheater Kassel ist ohne Mätzchen

Unter all den „Walküren“ der letzen Zeit gehört die in Kassel zu den packendsten. Ohne Mätzchen, mit kammerspielartiger Genauigkeit und auf exemplarisch hohem musikalischen Niveau. Das funktioniert auf der Bühne so fabelhaft und ohne vokalen Verlust, weil Francesco Angelico zwar nur nur im ersten Aufzug auf das Lodern im Graben setzt, sondern das Feuer so unter Kontrolle hat, dass sich seine Sänger entfalten können und nicht gegen ein Wand ankämpfen müssen. Sie können sich aufs Ausgestalten konzentrieren, weil sie nie Angst haben müssen, nicht durch zukommen. In dieser Balance kriegt man das auch an größeren Häusern außerhalb von Bayreuth kaum besser hin. 

Am Ende: erstmal Durchatmen und dann hemmungsloser Jubel für alle! 

Staatstheater Kassel
Wagner: Die Walküre

Francesco Angelico (Leitung), Markus Dietz (Regie), Mayke Hegger (Bühne), Henrike Bromber (Kostüme), David Worm (Dreh und Erstellung Video), Christian Steinbock (Dramaturgie), Christian Franzen (Licht), Martin Iliev, Yorck Felix Speer, Egils Silins, Nadja Stefanoff, Nancy Weißbach, Ulrike Schneider, Doris Neidig, Jaclyn Bermudez, Barbara Senator, Maren Engelhardt, Marie-Luise Dreßen, Inna Kalinina, Marta Herman, Ulrike Schneider

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