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Opern-Kritik: Oper Leipzig – Der fliegende Holländer

Leipziger Seemannsgarn

(Leipzig, 30.3.2019) An der Oper Leipzig inszeniert Michiel Dijkema Richard Wagners „Der fliegende Holländer“, Ulf Schirmer dirigiert.

vonRoberto Becker,

Ab dem zweiten Blick ist dieser neue „Fliegende Holländer“ in Leipzig ein ziemlich klares Statement. Die Scheinwerferbatterien, die zu den ersten Sturmböen aus dem Graben, das Publikum aus der Tiefe der leeren Bühne blenden und jene, die langsam und effektvoll Richtung Schnürboden wogen, verheißen zunächst eine Art von Abstraktion, die dann demonstrativ vermieden wird. Was fortan von oben kommt sind Segelprospekte. Auf denen kann man meist Teile von Heinrich Heines „Memoiren des Herrn von Schnabelewopski“ mitlesen, die für Wagner, neben der im doppelten Wortsinn stürmischen Ostsee-Erfahrung bei der Flucht aus Riga, die zweite entscheidende Inspiration für seinen „Holländer“ war.

Dazu kommen drei riesige gestrandete Wale, in deren Inneren sich die glitzernden Schätze des Geisterfahrers befinden, eine überdimensionale Bühnen-Aparatur zum Spinnen für Frau Mary und ihre Frauen, und schließlich ein Bett für Senta und den Holländer. Der Star des Abends ist aber das Schiff des Holländers mit einem kurzen Auftritt nach der Pause im dritten Akt. In Bühnengröße, mit rotleuchtenden, geblähten Segeln und einem Schwenk der bis über die siebente Parkettreihe reicht. Samt Kanonen, deren Zündschnüre schon Funken sprühen. Dieser musicalkompatible Auftritt ist auf Szenenapplaus aus. Und bekommt ihn auch.

Der fliegende Holländer an der Oper Leipzig: Klippen von Klischee und unfreiwilliger Parodie

Daland (Randall Jakobsh), Der Holländer (Iain Paterson)
Daland (Randall Jakobsh), Der Holländer (Iain Paterson) © Tom Schulze

Der mit der Leipziger Oper bestens vertraute Regisseur und Bühnenbildner Michiel Dijkema hatte einen ähnlichen Effekt zuletzt mit dem Hexenhaus der Baba Jaga in der „Rusalka“ erzielt, das tatsächliche auf seinen Hühnerbeinen gehen konnte. Als Bühnenbildner hat er zumindest mit diesem Segler die Regatta gewonnen. Als Regisseur nicht. Denn selbst wenn man sich auf die märchenhaft romantische Es-war-einmal Geste einlässt, die er zelebriert, schrammt er allzu sehr die Klippen von Klischee und unfreiwilliger Parodie. Was noch mehr für die Kostüme von Jula Reindell gilt. Daland und der Holländer scheinen aus einer Uralt-Meistersinger-Inszenierung (oder aus dem Grimmsche Märchenwald) ausgebüchst; die Holländer-Mannschaft aus einer Jahrmarkts-Geisterbahn geborgt. Dass die paar historischen Zombies erst wie ein lebendes bzw. untotes Bild an der Rampe arrangiert sind und dann erwachen und sich doch bewegen, ist auch so ein Effekt zum alsbaldigen Verbrauch. Ansonsten resümieren die Anzugsordnungen der Schiffs- und der Spinnenstubenbesatzungen einen Stil, der Zeitkolorit in Hausbacken übersetzt.

Doch der mit den Heinetext- und historischen Zuschauersaal- Einblendungen vorgeführte Bezug der Geschichte auf ihre literarische Quelle relativiert ihre Verkleidung nicht wirklich als Theatermittel. Sie ist nicht mit leichter Hand gegengeschnitten, schwebt auf Dauer nicht so wie in der grandios gelungenen Anfangsszene, wo die Bühnentechnik alle Hub- und Drehregister zieht und genau den Ton trifft, der aus dem Graben kommt. Oder überwältigt wie beim spektakulären Showauftritt des Seglers.

„Macht mal!“

Senta (Christiane Libor), Mary (Karin Lovelius)
Senta (Christiane Libor), Mary (Karin Lovelius) © Tom Schulze

Für eine wirklich schlüssige oder überhaupt erkennbare Personenregie blieb offenbar keine Energie übrig. Was zwischen den Personen geschieht, bleibt vor allem ausgebremst. Hier dominieren die konventionelle Operngeste, bei der mit Vorliebe von der Rampe aus direkt ins Publikum gesungen wird und die „sichere“ Distanz zwischen den Protagonisten. Die Spinnstube ist ein Wimmelbild im Kontrast zu der Ordnung, die die Apparatur eigentlich erzwingen müsste. Im Detail nach dem Motto „Macht mal!“. Und weil es so niedlich ist und immer gut ankommt, gibt’s noch ein paar kleine Mädchen dazu. Über die Augenklappe der Frau Mary zu rätseln haben die Zuschauer genügend Zeit und Muße.

Aber nicht nur die Szene bleibt in einer seltsamen, wohl bewusst gesuchten Entfernung zu einer psychologisierenden Spurensuche nach einem möglichen Gegenwartsbezug dieser Geschichte von Außenseitertum und fixer Idee. Wo man sonst vom Orchester auf die Stuhlkante getrieben wird, lädt der Chef des Hauses Ulf Schirmer zum Zurücklehnen ein. Zelebriert manchmal so genüsslich vor sich hin, dass es selbst für so hochdramatische Schwergewichte wie Christiane Libor gefährlich wird. Insgesamt überzeugt ihre Senta. Die fährt am Ende auf einem Balken in den Schnürboden auf, um sich von dort in einem (eher läppisch gemachten Schattenspiel) wie Tosca von der der Engelsburg in den Tod zu stürzen.

Das Publikum ließ sich von dieser Es-war-einmal Inszenierung ganz überwiegend begeistern

Chor der Oper Leipzig
Chor der Oper Leipzig © Tom Schulze

Auf solidem Hausniveau sind Daland mit Randall Jakobsh, der Steuermann mit Dan Karlström und die Frau Mary mit Karin Lovelius besetzt. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Mit schöner Strahlkraft, wenn auch aussichtslos und in allzu simpler Figurenzeichnung, ringt Ladislav Elgr als Erik um Senta. Dass jemand, der einem Bild verfallen ist, das niemand anders sehen kann, ein Problem hat, wird vollends klar, wenn Senta speziell diesen Holländer als der leibhaftig auftaucht, küsst und dann auch noch ihm ins Bett steigt. So unansehnlich Ian Paterson hier als Holländer auch daherkommt – er hat Format, ist wohltimbriert und glaubhaft des Suchens nach Erlösung müde.

Bei den von Thomas Eitler-de-Lint gut einstudierten Chören hinterlassen die Damen (vokal) einen noch besseren Eindruck als die Männer. Schirmer und das Gewandhausorchester waren allerdings schon packender in Sachen Wagner unterwegs. Erstaunlich, wenn man selbst in der Saalmitte so deutlich unterscheiden kann, was von links oder was von rechts kommt. Gewöhnungsbedürftig, wenn das Wogen der See zwar zelebriert, aber ohne Schaumkronen imaginiert wird.

Das Publikum ließ sich von dieser Es-war-einmal Inszenierung ganz überwiegend begeistern. Von dem Geisterkahn mit den roten Segeln wird wohl jeder erzählen. Der war nicht, der bleibt erstmal.

Oper Leipzig
Wagner: Der fliegende Holländer

Ulf Schirmer (Leitung), Michiel Dijkema (Regie & Bühne), Jula Reindell (Kostüme), Michael Fischer (Licht), Thomas Eitler-de Lint (Choreinstudierung), Elisabeth Kühne (Dramaturgie), Opernchor, Zusatzchor, Komparserie, Gewandhausorchester, Iain Paterson (Der Holländer), Christiane Libor (Senta), Karin Lovelius (Mary), Randall Jakobsh (Daland), Ladislav Elgr (Erik), Dan Karlström (Der Steuermann)

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