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Opern-Kritik: La Monnaie – Il Prigioniero/Das Gehege

Käfighaltung für Exoten

(Brüssel, 16.1.2018) Andrea Breth lässt mit Einaktern von Dallapiccola und Rihm zusammenwachsen, was zusammengehört

vonRoberto Becker,

Bei der Münchner Uraufführung gab es 2005 Wolfgang Rihms Kurzoper „Das Gehege“ in Kombination mit Richard Strauss› „Salome“. Da war der prominente Klassiker die Hilfsgröße für die Novität. Auf diese Weise humpelte Rihms Vertonung des sperrigen Botho Strauß-Monologs gewissermaßen ins Leben. In Brüssel beginnt der Abend mit dem „Prigioniero“ von Luigi Dallapiccola. Da kann nun „Das Gehege“ gleichsam mit herausgestreckter Brust und erhobenen Hauptes durchs Ziel gehen.

Auch wenn die faszinierend präsente, durchweg blühend und sicher wohltönende Protagonistin Angeles Blancas Gulin streckenweise in den abenteuerlichsten Haltungen kopfüber singt. Diese Brüssler Kombination stimmt einfach. Zunächst einmal und vor allem musikalisch. Kein Teil drängelte sich vor oder nimmt dem anderen etwas weg. Da offenbart sich plötzlich eine erstaunliche Korrespondenz zwischen den Stücken. Das eine in den Anfangsjahren des Kalten Krieges 1949 geschrieben; das andere komponiert an dessen Ende.

Ein Ausweg? Nirgends! – Die Hoffnung auf Freiheit wird zur Folter

Szenenbild aus "Il Prigioniero"
Il Prigioniero/La Monnaie Brüssel © B. Ulhig/La Monnaie

In Dallapiccolas 50-minütigen vier Szenen nebst Prolog wird in einer historisch kostümierten Parabel die vorgegaukelte und dann enttäuschte Hoffnung auf Freiheit als Folter demaskiert, die den Gefangenen endgültig bricht. Dass die zu Zeiten des Philippe II. von Spanien angesiedelte Geschichte nicht auf dessen wütende Inquisition beschränkt bleibt, sondern allgemeingültig ist, macht die schmerzhaft alarmierende Musik von Anfang an klar. Sein Wärter öffnen den Kerker einen Spalt, um den Gefangenen zur Flucht zu verführen und ihn dann mit offenen Armen in Empfang zu nehmen. Perfider geht es kaum. Ein Ausweg? Nirgends!

„Das Gehege“: „Vorhang zu und viele Fragen offen“

Szenenbild aus "Das Gehege"
Das Gehege/La Monnaie Brüssel © B. Ulhig/La Monnaie

Auch in Rihms Botho-Strauß-Monolog „Das Gehege“ geht es um einen Befreiungsversuch. Die frustrierte vereinsamte Frau wendet sich einem leibhaftigen Exemplar des von der Last seiner aufoktroyierten Bedeutung und den Unbilden der Geschichte arg lädierten, im Zoo-Gehege eingesperrten Adler zu. Mit einer Intensität jenseits nachvollziehbarer genetischer Dispositionen. Auch hier hat der Wunsch nach Befreiung (des Adlers) letztlich keine Chance.

Szenenbild aus "Das Gehege"
Das Gehege/La Monnaie Brüssel © B. Ulhig/La Monnaie

Es bleibt ihr nur eine Art Seelenwanderung und Flucht – in den ebenso mit Bedeutung überladenen und verdunkelten Wald. Vier Mal steht dieses Wort am Ende eines Abends der Kategorie „Vorhang zu und viele Fragen offen“. Was aber kein Nachteil ist. Zunächst sind der emotionale Tonfall, die dramatische Eloquenz, vor allem die beklemmende Ausweglosigkeit, in der die Protagonisten sich als Gefangene ihrer Verhältnisse und Obsessionen begreifen, auch über die Distanz eines halben Jahrhunderts auf geheimnisvolle Weise komplementär. Obwohl der Strauß-Text deutlich weiter vom einfach Entschlüsselbaren entfernt ist, sind beide Stücke in ihrer emotionalen Wucht vergleichbar.

Präzisionsfanatikerin Andrea Breth ist genau die Richtige

Um hier einzudringen und die all die Verwerfungen des Entstehungsjahrhunderts reflektierende innere Verbindung aufzuspüren, sind die Präzisionsfanatikerin Andrea Breth und ihr Bühnenbildner Martin Zehetgruber, wie sich zeigte, genau die Richtigen. Da mag auch gelten was die Frau zum Adler sagt: „Du verstehst meine Worte nicht. Hörst du nicht an meiner Stimme, was ich meine?“ Breth hört auf die Stimmen, die Stimmung mehr als auf die Worte. Liefert also keine naturalistische Erzählung, sondern spürt dem nach, was im Untergrund wabert. Die Szene ist dafür sehr sparsam, aufs metaphorisch Wesentliche eingedampft. Sie lässt den ersten Teil, beim Prolog der Mutter des Gefangenen in der Dunkelheit nur mit dem weiß geschminkten Gesicht und der eindringlichen Stimme von Angeles Blancas Gulin beginnen. Und setzt dann auf ihre bewährte Methode der schnellen Schnitte kurzer Szenen bzw. Minitableaus.

Szenenbild aus "Das Gehege"
Das Gehege/La Monnaie Brüssel © B. Ulhig/La Monnaie

Die Hoffnung auf Freiheit ist exotisch. Ein Käfig ist der Lebensraum des Gefangenen und des symbolischen (in vierfacher Gestalt mit Flügel oder Maske auftretenden) Adlers im Zoo-Gehege. Von kongenialer Düsternis ist der Bühnenraum geprägt, der gleichwohl mit ein paar Überraschungen aufwartet: Wenn der Gefangene glaubt, in die Freiheit zu gelangen, stellt sich nämlich in einem atemberaubenden Effekt heraus, dass die ganze Welt nur aus lauter Käfigen besteht. Wenn die Käfige dann in der letzten Szene verschwinden, sind nur noch die Fesseln des Gefangenen sichtbar und das Licht des Scheiterhaufens blendet uns als gleißendes Neonlicht. Vogelhaltung im Käfig – das ist dann eine Klammer von banalem, vor allem bösem Witz. „Das Gehege“ bleibt ein innerer Monolog mit imaginierten Projektionen, den das Publikum als vokal virtuose und körperlich geradezu akrobatische Kunstleistung von Angeles Blancas Gulin erleben und nur bewundern können.

Ausnahme-Protagonisten

Intendant Peter de Caluwe hat für seine ambitionierte, mit der Oper Stuttgart koproduzierte Premiere genau die zwei Ausnahme-Protagonisten engagiert, die man braucht, um die Distanz zwischen den eher selten zu erlebenden Stücken und dem Zuschauer von heute emotional zu überbrücken. Neben Gulin als Mutter und dann als Anita, ist der mit Breth vertraute Bariton Georg Nigl jener Gefangene, der sich vergeblich Hoffnungen macht, sein Gefängnis verlassen zu können.

Szenenbild aus "Il Prigioniero"
Il Prigioniero/La Monnaie Brüssel © B. Ulhig/La Monnaie

John Graham-Hall als Gefängnisaufseher und Großinquisitor und Julian Hubbard als erster und Guillaume Antoine als zweiter Priester ergänzen das Ensembles des ersten Teils. Der Chor wird – wie vom Komponisten vorgesehen und auch mit dem gewünschten Effekt – eingespielt. Im Graben hält Franck Ollu am Pult des Sinfonieorchesters der La Monnaie-Oper mit Präzision und Leidenschaft zusammen, was an diesem Abend ganz offensichtlich zusammengehörte.

La Monnaie Brüssel
Dallapiccola: „Il Prigioniero»/Rihm: „Das Gehege“

Ausführende: Franck Ollu (Leitung), Andrea Breth (Regie), Martin Zehetgruber (Bühne), Nina von Mechow (Kostüme), Ángeles Blancas Gulín, Georg Nigl, John Graham-Hall, Julians Hubbard, Guillaume Antoine

Weitere Termine: 18., 19., 21., 23., 25. & 27.1.2018

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