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Opern-Kritik: Festival d’Aix-en-Provence – Ariadne auf Naxos

Wer zahlt, darf mitmachen

(Aix-en-Provence, 16.7.2018) Regisseurin Katie Mitchell, Dirigent Marc Albrecht und eine sängerische Idealbesetzung feiern einen Strauss-Traum unter freiem Himmel

vonPeter Krause,

Als der reichste Mann von Wien, pardon, in dieser Inszenierung natürlich: der reichste Mann der Provence, seine erlesenen Gäste nach dem üppigen Dinner zur Privataufführung der „Ariadne auf Naxos“ in seinen Palast geleiten will, sind die Herrschaften derart ermattet, dass sie der Oper fernbleiben. Der reichste Mann und seine Gattin bleiben als einziges Publikum übrig.

Der Komponist höchstselbst dirigiert das Trauerspiel, der transige Tanzmeister unterbricht ihn immer dann, wenn das vom reichen Herrn kurzerhand integrierte Lustspiel der Opernhandlung ihre angebliche Langeweile nehmen soll. Und da Sponsoren gerade auch beim feinen französischen Festival angemessen gepflegt werden wollen, bitten die Darsteller den Hausherrn auch mal auf die Bühne, jene wüste Insel der Ariadne. Mäzene stehen schließlich auf besondere Nähe zu den Künstlern.

Das Hofmannsthal-Strauss-Wunderwerk funktioniert wunderbar als Geschichte von heute

Es sind solche zarten Seitenhiebe, mit denen Katie Mitchell ihre Inszenierung keineswegs krass kapitalismuskritisch, aber doch angemessen ironisch zuspitzt. Jedenfalls ist das im Bühnenbild von Chloe Lamford akzentuierte Art déco nicht nur ein Stilelement der Entstehungszeit der Oper, sondern zeigt den Designerchick der Gegenwart.

Szenenbild aus "Ariadne auf Naxos"
Ariadne auf Naxos/Festival d’Aix-en-Provence © Pascal Victor

Im wunderbar freiluftigen wie akustikedlen Théâtre de Archevêché, der wichtigsten Spielstätte des Festivals, führt Mitchell das Hofmannsthal-Strauss-Wunderwerk als Geschichte von heute durch – mit der fantastischen szenischen Präzision, die man von der Meisterregisseurin ja auch erwartet. Da gibt es keinen Stillstand, da gibt es stets eine Nebenhandlung zu bestaunen, da weiß jede Figur genau, wofür sie steht. Das Vorspiel schnurrt nach allen Regeln der Komödienkunst ab.

Die „Wer zahlt, schafft an“-Aufgeblasenheit des Haushofmeisters, die Klischees ernster Opern-Kunst und niederer Hüpfdohlen-Komödienschmiere, die exakt gearbeiteten deutschen Dialoge – da herrscht Weltklasse in jeder Schicht des Musiktheaters.

Sängerische Weltklasse: Mit Lise Davidsen in der Titelpartie reift ein jugendlich-dramatischer Sopran für die größten Häuser heran

Zumal in Aix in dieser Produktion auf einem Niveau gesungen wird, das keine Wünsche offen lässt. Mit Lise Davidsen in der Titelpartie reift ein jugendlich-dramatischer Sopran heran, mit dem in den kommenden Jahren an den größten Häusern zu rechnen ist. Die junge Norwegerin verbindet eine stupende Pianokultur mit einer schier endlosen Expansionskraft in allen Lagen ihrer edel timbrierten Stimme, dass man kaum warten mag, sie bald als Sieglinde und Elisabeth, irgendwann aber auch als Isolde zu erleben.

Szenenbild aus "Ariadne auf Naxos"
Ariadne auf Naxos/Festival d’Aix-en-Provence © Pascal Victor

An der unerhörten Stärke dieser Ariadne liegt es, dass nicht, wie so oft, die Zerbinetta für ihre stratosphärischen Koloraturen mehr Applaus einheimst als die Hauptfigur. Wenn Sabine Devielhe auch noch an ihrem Deutsch arbeitet, kann sie eine große Interpretin der lebensprallen Gegenfigur zur melancholischen Ariadne werden. Klar wie ein Gebirgsbach tönt Angela Brower als Komponist mit sopranhellem, fettfreiem Mezzo und beglaubigt so trefflich die Nähe der Hosenrolle zu Mozarts Cherubino.

Eine Pracht, wortdeutlich, heldisch und dunkel, ist der Musiklehrer des Josef Wagner. Beim Wiener Bassbariton kommt die alte Schule von Walter Berry, Christa Ludwig und Robert Holl voll durch. Auch mit ihm wächst ein Wagnersänger von Format heran. Eine etablierte Größe für die vertrackte Heldentenorpartie des Bacchus ist schließlich Eric Cutler, der vergessen macht, wie gemein Richard Strauss hier einmal wieder die von ihm ungeliebten Tenöre behandelt hat.

Szenenbild aus "Ariadne auf Naxos"
Ariadne auf Naxos/Festival d’Aix-en-Provence © Pascal Victor

Marc Albrecht kennt die Agogik-Dosierung für Richard Strauss sehr genau

Last not least: Das Orchestre de Paris wirkt an diesem Abend – im Vergleich zu „Der feurige Engel tags zuvor – wie ausgewechselt. Mit Marc Albrecht steht ein Mann fürs Spätromantische am Pult, der die exakte Dosierung der Strauss-Agogik ideal austariert, der die artikulatorische Eleganz der Komödienmomente und das Schwelgen der Ariadneszenen sekundengenau gegeneinandersetzt. Welch ein Strauss-Traum unter freiem Himmel!

Festival d’Aix-en-Provence
R. Strauss: „Ariadne auf Naxos“

Marc Albrecht (Leitung), Katie Mitchell (Regie), Chloe Lamford (Bühne), Sarah Blenkinsop (Kostüme), Lise Davidsen, Eric Cutler, Sabine Devielhe, Angela Brower, Josef Wagner, Rupert Charlesworth, Huw Montague Rendall, Jonathan Abernethy, Emilio Pons, David Shipley, Beate Mordal, Andrea Hill, Elena Galitskaya, Petter Moen, Jean-Gabriel Saint Martin, Sava Vemic, Maik Solbach, Laul Herwig, Julia Weininger, Orchestre de Paris

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