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Opern-Tipps: Hänsel und Gretel-Produktionen im Dezember 2018

Knusper, knusper …

Zur Advents- und Weihnachtszeit hat Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“ wieder Hochkonjunktur an Deutschlands Opernhäusern.

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Humperdincks „Hänsel und Gretel“ feiert diesen Winter ein Jubiläum. Das Datum der Uraufführung, der 23. Dezember 1893, jährt sich zum 125. Mal. Und das Deutsche Nationaltheater Weimar, an dem das Werk unter der Leitung von Richard Strauss zum ersten Mal über die Bühne ging, würdigt dies mit einer Neuinszenierung durch Christian Sedelmayer. Das überrascht nicht, denn das Haus fühlt sich dem Werk seit jeher verpflichtet, räumt ihm eine Sonderstellung in der Repertoirepflege ein und gibt in kurzen Abständen von zwei bis drei Jahren Neudeutungen in Auftrag

Szenenbild aus "Hänsel und Gretel"
Hier wurde „Hänsel und Gretel“ einst uraufgeführt. Das Deutsche Nationaltheater Weimar bringt dieses Jahr eine Neuinszienerung heraus © Candy Welz

Zwischen harter Realität und Märchenwelt

Die Produktion in der Goethe-Stadt anno 2018 verdient dennoch besondere Aufmerksamkeit. Sedelmayer ist es wichtig, dass die Opernnovizen im Publikum sich unmittelbar mit Hänsel und Gretel identifizieren können. Deshalb inszeniert er den Klassiker nicht als Märchen, sondern als Sehnsuchtsfantasie zweier verarmter Kinder im urbanen Milieu. Auch Jan Eßinger lässt die gesellschaftliche Komponente in seiner Bielefelder Neuinszenierung mitschwingen. Der junge Regisseur verlegt die Oper in das Spannungsfeld zwischen der harten Realität des Lebens und den (Alb-)Träumen einer surrealen Märchenwelt. Wie bei einem Roadmovie durchleben die Kinder Abenteuer, die sie unweigerlich reifen lassen.

An der Dresdner Semperoper ist die fantasievoll bildstarke künstlerische Auseinandersetzung der Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach mit Humperdinck von 2006 erneut auf der Bühne zu sehen. Sie präsentiert ein modernes Märchen. Die musikalische Leitung übernimmt der weltweit gefragte Israeli Asher Fisch, die Hexe gibt Wagner- und Strauss-Heroine Evelyn Herlitzius.

Szenenbild aus "Hänsel und Gretel"
Katharina Thalbachs Inszenierung von Hänsel und Gretel zeigt die Semperoper Dresden. Hier Iris Vermillion als Hexe © Matthias Creutziger

Die drei ältesten Inszenierungen von „Hänsel und Gretel“

An der Staatsoper Hannover ist die älteste deutsche Inszenierung des Werkes zu erleben. Die Arbeit von Steffen Tiggeler feierte 1964 Premiere und war seither rund fünfhundert Mal zu sehen. An der Deutschen Oper am Rhein gehört Andreas Meyer-Hannos Inszenierung auch 49 Jahre nach ihrer Entstehung noch immer zum Kern des Repertoires. Hier sorgt Esther Mertel für eine liebevolle Rekonstruktion der Bühnenabläufe. Und das Münchner Gärtnerplatztheater erklärt die ebenfalls altehrwürdige, lebkuchenselige Produktion von Peter Kertz aus dem Jahr 1974 zur Chefsache: Der musikalische Hausherr Anthony Bramall übernimmt die Leitung.

Szenenbild aus "Hänsel und Gretel"
Die älteste Inszenierung des Werkes in Deutschland läuft an der Staatsoper Hannover © Thomas M. Jauk

Traum und Albtraum – die zwei Seiten der Märchenmedaille

Doch auch die größten Köpfe des Regietheaters nehmen sich des Klassikers „Hänsel und Gretel“ immer wieder an, um wahlweise die politische oder die psychologische Ebene des weihnachtlichen Zuckerwerks schärfer zu beleuchten als dies gemeinhin der Fall ist. Am Opernhaus Zürich interpretiert Robert Carsen die Märchenoper neu. Der kanadische Starregisseur diagnostizierte vorab den extremen Gegensatz von krasser Armut zu all den Verlockungen und dem absoluten Überfluss der leckeren Köstlichkeiten der Hexe.

Carsen deutet dieses Spannungsverhältnis konkret kapitalismuskritisch. Sein Konzept bezieht er aus der Tatsache, dass die Oper traditionell zu Weihnachten auf den Spielplänen steht. Die Welt der Hexe Leckermaul wird also viel mit dem verführerischen Rummel um Kommerz und Konsum zu tun haben, den Kinder zu Weihnachten erleben, den sie lieben, dessen Schattenseite bitteren Elends sie sich aber bewusstmachen sollten. Sind Träume und Albträume nicht die beiden Seiten derselben Märchenmedaille?

Szenenbild aus "Hänsel und Gretel"
Kapitalismuskritische Neudeutung: Robert Carsens „Hänsel und Gretel“ feiert 2018 Premiere am Opernhaus Zürich. Ann Stéphany (Hänsel) und Marina Prudenskaya (Knusperhexe) © T+T/Tanja-Dorendorf

Tiefenpsychologie in Frankfurt

Wer bereit ist, auf Lebkuchenhäuslein und Engelchen zu verzichten, kommt auch an der Bayerischen Staatsoper auf seine Kosten. Hier stellte Richard Jones erstmals 2013 seine neue Sicht auf die Märchendinge vor. Durchaus kinderkompatibel sind seine Bildwelten, die für die kulinarischen Metaphern des Librettos – häuslicher Hunger und Hexenbackstube – moderne Entsprechungen findet.

Szenenbild aus "Hänsel und Gretel"
Keith Warner liest Humperdinck in Frankfurt tiefenpsychologisch © Monika Rittershaus

Auch Wagnerregisseur Keith Warner löst sich in seiner Inszenierung an der Oper Frankfurt aus dem Jahr 2014 von den althergebrachten Bildwelten. Dennoch schafft er es, die Erwartungen eines kindlichen und eines erwachsenen Publikums geschickt zu versöhnen, indem er die Tiefenpsychologie der Kinderseele auslotet. Bei ihm beginnen Hänsel und Gretel, sich die Welt auf eigene Art und Weise anzueignen, sie imaginieren sich eine eigene Vorstellung von Welt. Keith Warner denkt das Werk also mit den Verfahrensweisen der Psychoanalyse zusammen. Als quietschbunt überbordendes Zirkusvergnügen indes hat Opernmagier Achim Freyer an der Staatsoper Berlin seinen Humperdinck ausgestattet.

Sehen Sie hier den Trailer zur Inszenierung von „Hänsel und Gretel“ an der Bayerischen Staatsoper:

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