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Konzert-Kritik: Lang Lang und Daniel Barenboim beim SHMF

Was Werke still verbergen

(Lübeck, 12.8.2025) Beim SHMF entfachen Lang Lang und Daniel Barenboim in der Musik- und Kongresshalle Lübeck einen Abend zwischen Sommeridylle und pathetischem Weltenbrand.

vonPatrick Erb,

Gleißendes Licht, genährt aus den warmen Wogen der Streicher, ergießt sich über das Parkett der Lübecker Musik- und Kongresshalle und steigt bis in die holzvertäfelten Ränge. Ist es bloß das sanfte Dahinplätschern unschuldiger Naturschilderungen, eine auskomponierte Idylle für Kaminfeuer und gesellige Runden? – Es ist der Abendgruß einer lauen Sommerlandschaft: Wagners „Siegfried-Idyll“. Damit eröffnen Daniel Barenboim und das mit israelischen und arabischen Musikerinnen und Musikern besetzte West-Eastern Divan Orchestra – jenes in unserer Zeit so faszinierende Projekt – ihr Konzert beim Schleswig-Holstein Musik Festival und beschenken Lübeck, eine Station ihrer Tournee mit einer besonderen Darbietung.

Barenboim, dem man seinen desolaten Gesundheitszustand ansieht, dirigiert das „Idyll“ stehend, den Rest des Abends mit Sitzhilfe. Doch schon zu Beginn beeindruckt er mit unbedingter Energie. Die zart irisierenden Verführung Wagners formt er hingebungsvoll – verspielt, aber niemals naiv. Spricht darin nur der liebevolle Vater, der seiner Frau und dem neugeborenen Sohn ein Geschenk bereitet – oder liegt dahinter mehr? Beinahe philosophisch begegnet Barenboim der trügerischen Heiterkeit des streicherdominierten Satzes mit stillem, respektvollem Ernst.

Kaltes Virtuosentum mit Schlusspointe

Mit großer Präzision durchmisst danach Lang Lang Mendelssohns Klavierkonzert Nr. 1 c-Moll, doch es fehlt an innerer Gestaltung. Die kühle Brillanz seiner pianistischen Zauberei – zweifellos sein Markenzeichen – trägt nur wenige persönliche Farben. Zu oft hat er das Werk gespielt, zu sehr ist er Profi, um noch eine aufrichtige, tiefe Beziehung zu ihm zu pflegen. Kein gutes Zeichen, wenn die eigene inszenierte Mimik die Ausdruckskraft der Kantilene im zweiten Satz übertrumpft. Das zurückhaltende Orchesterspiel unterstreicht dabei zusätzlich die Dominanz des Solisten.

Aufgewühlt, verspielt, nachdenklich, von ungewöhnlicher Affektfülle: Wahrlich anders präsentiert sich Lang Lang in seiner Zugabe, einer späten Chopin-Mazurka. Diese zweiminütige Kür beweist stärker als das Hauptwerk die hohe Kunst des Interpreten.

Heroisches Feuer

Den krönenden Abschluss formt Barenboim mit Beethovens Sinfonie Nr. 3 „Eroica“. Mit sicherer Hand führt er sein glänzend einstudiertes Orchester zu höchster Differenzierung. Warmes Feuer der formbewussten Violinen im ersten Satz, sonor-würdevolle Kontrabässe im zweiten, prachtvolle Hörner im dritten und schließlich die markanten Phrasierungen des Finales, das zwischen Militärkapelle, Choral und Tanz alles in sich vereint. Vor allem der Trauermarsch, Beethovens auskomponierte Enttäuschung gegenüber dem verebbten Vorbild Napoleon, gerät unter Barenboim zu einem dramatischen Weltenbrand, als wolle er die drängenden Fragen der heutigen Zeit zum Soundtrack einer grotesken Welt verdichten.

Wie hätte das West-Eastern Divan Orchestra eindrucksvoller glänzen können? Die Größe dieses Abends lag darin, dass – bei allerhand gesellschaftlichen Sprengstoff – ausschließlich die Musik und in keiner Sekunde die Politik das Wort hatte.





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