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Interview Kian Soltani

„Kein Stress bei Bach!“

Cellist Kian Soltani über den richtigen Zeitpunkt für bestimmte Stücke, jahrelange Weihnachtsvorbereitungen und über Wettkämpfe an der Spielekonsole.

vonMaximilian Theiss,

Kian Soltani hat stramme Konzertwochen vor sich, als er sich zum Interview meldet. Angespannt scheint er nicht, aber trotz aller Lockerheit ist der Cellist mental völlig auf das Gespräch konzentriert. Ein knapper Gruß, die Fragerunde beginnt.

Herr Soltani, in Ihrem Konzertkalender steht Prokofjews Sinfonia concertante an, eines der technisch und körperlich anspruchsvollsten Werke für Cello. Wann haben Sie das Stück zum ersten Mal gespielt?

Kian Soltani: Mit 26 Jahren, was sehr spät ist für solch ein Stück.

Was wäre denn das übliche Alter gewesen?

Soltani: Eigentlich im Studium, mit Anfang zwanzig. Es gibt auch russische Cellisten, die das bereits als Teenager spielen.

Gab’s denn in Ihrer Jugend ein Schlüsselstück, bei dem Sie wussten: Jetzt werde ich Cellist?

Soltani: Nicht wirklich. Aber das erste Stück, das ich jemals gespielt habe, mit vier oder fünf Jahren, war von Franz Schubert. Er war also immerhin ein Schlüsselkomponist. Meine Eltern haben auch immer Schubert gespielt: mein Vater auf der Panflöte, meine Mutter auf der Harfe. Die erste größere Sonate, die ich auf dem Cello gespielt habe, war dann Schuberts „Arpeggione“-Sonate. Die habe ich in meinen Teenagerjahren am intensivsten geübt, und das war auch das erste Stück, das ich jemals aufgenommen habe auf CD.

Sie haben die russische Streicherschule bei Ivan Monighetti genossen. Was zeichnet sie aus?

Soltani: Sie zielt darauf ab, den Bogen auf eine gewisse Art zu halten, eine gewisse Tiefe im Klang zu erzielen mit viel Gewicht auf dem Bogen. „Russische Schule“ heißt für mich aber auch, dass ich einen russischen Lehrer hatte, der wiederum von einem Russen gelernt hat, nämlich vom großen Mstislaw Rostropowitsch.

Spielen Sie denn noch in dieser Tradition?

Soltani: Bei der rechten Hand, die den Bogen führt, behalte ich sie auf jeden Fall noch bei. Aber was die Stilistik angeht, habe ich mich sicher davon wegbewegt. Aber bei russischen Komponisten kehre ich auch zur russischen Schule zurück. Jeder Komponist und jede Richtung in der Musik hat einen eigenen musikalischen Dialekt, den ich als Interpret auch wiedergeben muss.

Sie sprechen von „Dialekt“, nicht von „Sprache“?

Soltani: Die Sprache ist eigentlich immer dieselbe, da wir immer dieselben zwölf Töne spielen. Klar, so besehen kann man natürlich sagen, dass im 20. Jahrhundert die Sprache neu erfunden wurde mit ihren Vierteltönen und so weiter. Aber bis dahin sprechen alle Komponisten dieselbe Sprache. Wie man diese zwölf Töne dann verwendet, welchen Tonfall und welche Tonfärbung man ihnen gibt, das ist dann für mich der Dialekt.

Welche fremden musikalischen Dialekte liegen Ihnen denn?

Soltani: Natürlich ist die Klassik mein Spezialgebiet, aber da enden meine Interessen noch lange nicht. Ich spiele beispielsweise mit meinem Vater viel Volksmusik. Aber ich mache auch gerne Jazz am Klavier oder zum Spaß auch elektronische Musik, mit Vorliebe Techno. Ansonsten höre ich mich auch gerne durch die Popmusik, mit Vorliebe Hip-Hop.

Auf Ihrem Debütalbum „Home“ schlagen Sie eine Brücke zwischen sogenannter klassischer und persischer Musik: die eine Hälfte Schubert und Schumann, die zweite Hälfte persische Musik. Das war 2018. Wie würde man heute im Streaming-Zeitalter so ein Album konzipieren?

Soltani: Ich würde es definitiv wieder so machen. Heutzutage müsste ich noch einige kleinere Tracks hinzufügen, wie es derzeit der Trend ist, um streaming friendly material zu haben: Je kürzer der Track ist, desto besser, dann landet man nämlich leichter auf den Playlists. Zwei Lieder gibt es auf meinem Debüt-Album. Davon müsste es heute sicherlich mehr geben.

Wie es auf Ihrem aktuellen Schumann-Album der Fall ist.

Soltani: Man muss das als Musiker so sehen: Die kleineren Stücke finanzieren das große Werk, in diesem Fall das Schumann-Cellokonzert, das ich unbedingt aufnehmen wollte. Ich finde das absolut fair. Die kleineren Stücke erfüllen ja nicht den alleinigen Geschäftszweck, sondern sind für sich genommen große Schätze.

„Jeder Komponist hat einen eigenen musikalischen Dialekt“: Kian Soltani
„Jeder Komponist hat einen eigenen musikalischen Dialekt“: Kian Soltani

Der zweite Teil Ihres aktuellen Albums mit den kürzeren Stücken besteht aus Liedarrangements verschiedenster Zyklen. Wie haben Sie sie zusammengestellt?

Soltani: Nach dem Motto: Nur das Schönste! Ich habe alle Lieder von Schumann durchgehört und dann immer weiter eingegrenzt. Dann war die Überlegung: Klingt es besser mit Streichern oder wie im Original mit Klavier? Am Ende gab es dann ein Sowohl-als-auch, auch da gingen wir nach der Devise, wunderschöne Musik aufzunehmen – gerade weil das Cellokonzert nicht nur schön ist, sondern auch seine Turbulenzen hat, weil es kein easy listening ist, sondern einen hohen Anspruch auch an den Hörer hat.

Nimmt Schumann für Sie eine besondere Stellung ein?

Soltani: Ja! Nach Franz Schubert war er vielleicht der wichtigste Komponist für mich, als ich aufgewachsen bin. Er war auch einer der ersten Komponisten, die ich schon früh sehr viel gespielt habe – nicht das Cellokonzert, wohlgemerkt, auch das habe ich erst nach dem Studium gelernt. Aber die Fantasiestücke, die Fünf Stücke im Volkston, seine Kammermusik, auch die Lieder habe ich auch schon damals sehr gerne auf dem Cello gespielt.

Wie sah eigentlich mit vier Jahren Ihr Cellounterricht aus?

Soltani: Ich habe auf einem Achtelcello die Musik sehr spielerisch kennengelernt. Am Anfang habe ich nur gezupft. Der Lernprozess war erst einmal: Ich übe das ganze Jahr über aufs Weihnachtsfest mit der Familie hin, was zur Folge hatte, dass ich auch nur Weihnachtslieder spielte. Es war eben ein Ziel, das ich mir gesetzt habe, und das bringt einen dann auch weiter. Also alles lief sehr spielerisch, bis Franz Schubert kam. Aber auch dann verlief der ganze Unterricht ohne Druck.

Ihr Vater war Fagottist, die Mutter Harfenistin – beste Voraussetzungen also für Hausmusik.

Soltani: Absolut! Mittlerweile ist mein Vater in Pension und konzentriert sich auf persische Volksmusik. Jetzt wir spielen mehr denn je miteinander mit zwei, drei Konzerten pro Jahr. Wir haben auch ein Ensemble aus persischen Musikern.

Sie haben an mehreren Hochschulen und als Stipendiat studiert. Hatten Sie auch ein Studentenleben mit WG-Partys und so weiter?

Soltani: In Basel, wo ich mit dem Studieren angefangen habe, war ich enorm fokussiert auf mein Cellospiel und auf mein Üben. Ich habe in meinem ganzen Leben nicht so viel geübt wie damals.

Und in Kronberg?

Soltani: Da waren wir so wenig Leute, dass gar keine Hauspartys möglich waren! Mein Cellokollege Pablo Ferrández und ich wurden da zu besten Freunden, und wir haben da hauptsächlich Playstation gezockt. Dann aber, in Berlin, als ich 24 war, ging das Studentenleben los, wie man es kennt – ironischerweise also dann, als ich kein Student mehr war.

Wer war der bessere Konsolen-Spieler – Herr Ferrández oder Sie?

Soltani: Ich, natürlich!

 …

Soltani: Nein, in Wahrheit ist Pablo der bessere.

Anfangs haben wir über das rechte Alter bei bestimmten Kompositionen gesprochen. Gibt es denn auch Stücke, für die man in Ihrem Alter noch zu jung ist?

Soltani: Mittlerweile nicht mehr, würde ich sagen. Wenn ich jetzt mit Anfang dreißig für irgendetwas zu jung bin, dann wird’s nie was.

Welche Stücke sollte man denn als letztes lernen?

Soltani: Sicherlich die Bach-Suiten, da sollte man sich eher mehr als weniger Zeit nehmen. Aber auch hier gilt: Je früher man anfängt, desto besser. Lernen tut man sie dann ein Leben lang.

Sie haben erstmals vor zwei Jahren alle Bach-Suiten in einem Konzert gespielt …

Soltani: … und bin sehr froh, dass ich es nicht früher gemacht habe. Kein Stress bei Bach. Bevor ich die Stücke aufnehme, müssen noch einige Jahre vergehen. Im letzten Jahr habe ich angefangen, das Cello tiefer zu stimmen, wie es zu Zeiten Bachs üblich war. Was doppelt Sinn macht, denn mein Stradivari-Cello wurde ja zu seinen Lebzeiten gebaut. Für mich klingt dadurch die Musik viel organischer und schöner. Deswegen ist mein großes Ziel, Bach nur noch in dieser Stimmung zu spielen. Aber das dauert ein paar Jahre, bis ich mich komplett daran gewöhnt habe. Deswegen: Kein Stress bei Bach!

Album-Tipp:

Album Cover für Schumann: Cellokonzert op. 129

Schumann: Cellokonzert op. 129

Kian Soltani (Cello), Camerata Salzburg Deutsche Grammophon

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