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Interview Janine Jansen

„Es war ein sehr intensives Leben“

Janine Jansen über wichtige Veränderungen im Leben, ihre Konzerte beim Schleswig-Holstein Musik Festival – und über die Trennung von ihrer Geige.

Janine Jansen war noch keine zwanzig, als sie ihr Debüt an jenem Ort gab, der für niederländische Musiker den glanzvollen Höhepunkt ihrer Karriere darstellt: das Concertgebouw in Amsterdam. Das war 1997. Seitdem ist die Geigerin aus dem holländischen Soest mit wenigen Unterbrechungen fester Bestandteil des internationalen Klassiklebens.

Zu Beginn unseres Gesprächs ein Zitat von Benjamin Franklin: „Mit zwanzig regiert der Wille …“

Janine Jansen: Oh ja!

„ … mit dreißig der Verstand …“

Jansen: Na, ja …

„ …und mit vierzig das Urteilsvermögen.“

Jansen: Ich glaube Ja! Mit zwanzig war ich tatsächlich getrieben, enthusiastisch, ich wollte nichts auslassen. Nie konnte ich Nein sagen. Ich habe alles genossen und habe nicht zurückgeblickt. CDs, Interviews, die vielen Reisen. Es war ein sehr intensives Leben. Um die dreißig herum war ich erschöpft und hatte keine Energie mehr. 2010 hatte ich ein richtiges Burnout.

Wie fühlte sich das an?

Jansen: Nichts ging mehr. Einfach nichts. Ich war immer der Meinung, die Musik gäbe mir selbst genug Energie, um alles zu machen. Und das ist auch heute so. Aber das ist eine Gefahr, weil man es selbst nicht merkt und nicht wahrhaben will, dass man erschöpft ist und eine Pause braucht. Wir Musiker aber können nicht einfach das Programm herunterfahren und auf einem niedrigeren Level Musik machen. Entweder alles oder nichts. Und dennoch wusste ich, dass es so nicht weitergehen konnte. Die Familie, die Stille wurde mir sehr wichtig. Und ich lernte meinen Mann kennen.

… den Dirigenten Daniel Blendulf …

Jansen: Mit ihm wurde ich auch selbstbewusster. Man muss sich lösen von den Erwartungen der Menschen und der Agenturen. Das Musikleben kann sehr oberflächlich sein. Hohe Schuhe, glamouröse Fotos, das interessiert mich heute nicht mehr. Es gibt nur wenige Menschen, denen man vertrauen kann. Heute habe ich keine Agentur mehr, sondern eine persönliche Managerin. Ich wollte meine Liebe zur Musik und zu meinem Publikum nicht verlieren, daher zog ich mich für einige Zeit zurück.

Neunzehn Jahre war die Geigerin Stefi Geyer alt, als sie 1907 den damals 26-jährigen Béla Bartók in Budapest begegnete …

Jansen: … und er verliebte sich gleich in sie und schrieb ihr ein Violinkonzert.

Janine Jansen
Janine Jansen

Welches Sie auf CD eingespielt haben und das Sie oft aufführen. Es hat ein charakteristisches „Stefi-Motiv”: d-fis-a-h …

Jansen: Ein wunderbares Motiv! (singt es nach und immer wieder) Wie eine melodische Keimzelle, mit dem Potential zu wachsen.

Das Violinkonzert aber hat ja nur zwei Sätze, weil die beiden sich in die Haare bekamen

Jansen: Ja. Sie hatten Konflikte wegen der Religion. Sie war gläubig, und Bartók war eher Atheist. Es gibt da viele wunderbare Briefe, in denen sie sich auseinandersetzen.

Da Sie aus einer Kirchenmusikerfamilie stammen, die Gretchenfrage: Welche Rolle spielte in Ihrer Erziehung die Religion oder der Glaube?

Jansen: Sie war nicht unwichtig, dennoch übten meine Eltern überhaupt keinen Druck aus. Wir gingen natürlich oft in die Kirche, schließlich arbeitete mein Vater dort. Die Bibel war präsent, aber eher in Form von Musik. Tief religiös bin ich eigentlich nicht, vielleicht habe ich so etwas wie eine naive Frömmigkeit, einen kindlichen Glauben, dass eine höhere Instanz mich leitet und vielleicht auch beschützt. Aber wenn Sie etwa meinen, wir hätten viel gebetet oder Ähnliches: Nein, es gab nie Druck.

Doch vielleicht eine gewisse Spiritualität?

Jansen: Ja, das schon eher, eine Innenschau. Dennoch: Wir sind eine lustige Familie, mein älterer Bruder war für mich immer ein großes Vorbild.

Mit Ihrem Vater Jan werden Sie beim Schleswig-Holsteinischen Musik Festival zweimal auftreten.

Jansen: Da freue ich mich sehr. Beim Üben wechseln wir nicht viele Worte, wir sind uns sehr nah, musizieren intuitiv, artikulieren und phrasieren sehr ähnlich. Wir werden Bach-Sonaten spielen, er an der Orgel oder am Cembalo.

Dazu kommen noch acht weitere Konzerte mit Programmen, die Sie selbst ausgewählt haben.

Jansen: Darüber habe ich mich sehr gefreut, dass man mir diese Chance gegeben hat. Unsere Konzerte werden nicht nur in den großen Hallen stattfinden, sondern auch in einer Reithalle, einem Kuhstall und in der Kirche. Ich liebe den intimen Charakter solcher Räume und den Kontakt zum Publikum.

Haben Sie eigentlich Ihre zierlichen Hände versichert?

Jansen: Nein. Vielleicht ein Fehler, denn im letzten Jahr hatte ich einen kleinen Unfall. Ich wollte aus einem Boot springen und bin auf den Beton gestürzt und habe mir die Hand verletzt. Ich habe den Abstand irgendwie falsch eingeschätzt. Ich habe mir zwar nichts gebrochen, aber bis die Hand wieder zu gebrauchen war, alles wieder verheilt war, hat es gedauert.

Haben Sie Rituale vor den Konzerten? Legen Sie Ihre Hände in warmes Wasser oder haben Sie einen Talisman?

Jansen: Ich gebe jetzt tatsächlich mehr acht auf mich, mache Streckübungen. Man muss vorsichtiger mit den Ressourcen umgehen. Ich passe mehr auf meinen Rücken und auf die Schulter auf. Ich habe früher nie darauf geachtet.

Janine Jansen
Janine Jansen

Sie sind ja recht groß von Statur. Gibt es, wie etwa bei Sportlern, eine ideale Geiger-Physiognomie?

Jansen: Die Haltung, die man als Geigerin einnimmt, ist widernatürlich und irgendwie seltsam. Man sollte auch nicht stundenlang in dieser Position verharren. Die Größe selbst ist bei Geigern nicht das Problem, allenfalls die Größe der Hände. Aber das auch nicht wirklich. Immer wieder wurde mir gesagt, ich würde mich zu sehr bewegen und meine Schultern hochziehen. Aber genau das ist die Haltung, mit der ich jetzt all die Jahre gespielt habe. Ich glaube, jeder Musiker findet ein ganz eigenes Verhältnis zu seinem Körper, das oft nichts damit zu tun hat, was Lehrer oder Physiotherapeuten einem sagen. Ich bin vielleicht ein von den Bewegungen her nicht gerade ökonomisch arbeitender Mensch, sondern eher temperamentvoll. Die Emotionen, die die Musik in mir auslöst, führen zu diesen Bewegungen. Ich merke es ja oft selbst nicht.

Da liegt Ihre wunderschöne Geige.

Jansen: (steht auf und bringt sie an den Tisch) Ja, das ist sie, die Stradivari „Rivaz – Baron Gutmann“, die jetzt viel besser zu mir passt. Sie ist viel tiefgründiger, hat auch einen dunkleren Ton, eine Leihgabe von Dextra Musica, einer norwegischen Stiftung.

Früher identifizierte man Sie eher an einem klaren und strahlenden Ton …

Jansen: Ja, der kam von der Barrère-Stradivari, auch einer Leihgabe. Aber die Baron passt jetzt sehr viel besser zu mir.

Haben auch solche wertvollen Geigen für den jeweiligen Interpreten ihre Zeit?

Jansen: Ja, in jedem Fall. Jeder Interpret hinterlässt an einem solchen Instrument seine Spuren. Es ist eben wie im Leben und den Erfahrungen, die man macht. Manchmal muss man dem Leben eine neue Richtung geben.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Janine Jansen: Freundschaften und Familie bekommen für mich eine immer größere Bedeutung. Ich habe die Anzahl meiner Konzerte reduziert auf etwa achtzig Auftritte im Jahr. Am liebsten würde ich nur noch Konzerte mit Leuten machen, die ich von ganzem Herzen mag und mit denen ich musikalisch harmoniere. Wie jetzt auf dem Festival in Schleswig-Holstein.

Porträtkünstlerin beim Schleswig-Holstein Musik Festival 2019: Janine Jansen

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