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Interview Janine Jansen

»Ich spiele nicht, um die Leute zu unterhalten«

Die holländische Geigerin Janine Jansen über einen erfolgreichen Landsmann, die Londoner Proms und die Aufrichtigkeit in der Musik Bachs.

vonJakob Buhre,

Vielreisende Künstler können ihren Agenten schon mal Kopfzerbrechen bereiten. So ist der Mitarbeiter der Plattenfirma an diesem Tag sichtlich verzweifelt, weil das Gepäck von Janine Jansen mal wieder am falschen Ort gelandet ist. Sie ist gerade nur für wenige Stunden in Berlin, am Abend fliegt sie weiter nach Stockholm. Dennoch ist sie beim concerti-Gespräch entspannt, erbittet sich manchmal auch eine kurze Bedenkzeit, bevor sie antwortet.

 

Frau Jansen, zu Beginn müssen Sie mir ein holländisches Phänomen erklären: Wie ist es möglich, dass der populärste Geiger Hollands auf der ganzen Welt die Hallen füllt, obwohl er in seinen Konzerten nur sehr selten ein Solo spielt?

 

Sie meinen André Rieu? Also, ich muss sagen, dass ich noch nie auf einem seiner Konzerte war. Er ist ein Entertainer. Und ich respektiere, wie er seine Sachen so akribisch aussucht und durchdenkt. Zu ihm kommt aber ein anderes Publikum als zu mir, die Leute erwarten dort etwas Anderes, es ist ja eine komplette Show, das Visuelle spielt eine Rolle, er hat immerhin Schloss Schönbrunn für seine Konzerte nachgebaut! Und es ist unglaublich, wie er die Leute mitnimmt, beeindruckt und ihnen viel Freude bereitet. Er ist ein Künstler.

 

Ist er auch ein Kollege?

 

Wir sind beide Geiger, aber wir haben unsere unterschiedlichen Gebiete. Er macht seine Sache extrem gut, es ist nur – musikalisch gesehen – für mich persönlich nicht interessant, sein Repertoire, die kurzen Stücke… Aber ich finde, man muss auch nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.

 

Es gibt ja diese Theorie, dass Populärmusiker wie André Rieu den Leuten Klassik nahebringen können, so dass die Zuhörer später auch den Weg in das Amsterdamer Concertgebouw finden. Glauben Sie daran?

 

Nein. Sicher, wenn Rieu im Concertgebouw spielen würde, dann würde sein Publikum kommen. Doch ansonsten… Ich finde es generell schwierig, wenn es darum geht, die Schwelle zur Klassik niedriger zu machen. Weil es der klassischen Musik oft ihre Stärke nimmt. Die Leute, die ein Rieu-Konzert toll finden und dann im Konzertsaal eine Prokofjew-Sonate hören, oder eine große, einstündige Sinfonie…

 

…die würden das nicht verstehen?

 

Ich will nicht pauschalisieren, aber ich denke, dass es für manche nicht das ist, was sie erwarten. Vielleicht sind sie auch positiv überrascht, kann auch sein. Jedenfalls bin ich mir nicht sicher, ob es das überhaupt braucht, ob man dafür wirklich die Schwelle senken muss, ob das wirklich der einzige Weg ist, um die Menschen für Klassik zu interessieren.

 

Gab es in Ihrer Laufbahn Momente, wo Ihnen die Tür zum Mainstream offen stand?

 

Sie meinen, ob man mir angeboten hat, ein Duo mit André Rieu zu spielen? (lacht) Nein, Scherz beiseite. Ich denke, in der heutigen Welt, wo es so viel Gerede darüber gibt, wie und auf welche Weise Künstler vermarktet werden, muss man sehr überzeugt sein von dem, was man machen und erreichen will und wie man präsentiert wird.

 

Und diese feste Überzeugung hatten Sie immer.

 

Was das Repertoire betrifft, bin ich zufrieden mit allem, was ich bisher gemacht habe. Allerdings, wenn ich mir die Fotos von damals anschaue, von meiner Vivaldi-CD, ich im durchsichtigen Kleid, die Beine hochgelegt – das würde ich heute nicht mehr machen. Man wird erwachsen, ich weiß heute genauer, wer ich bin und was ich will.

 

Ist Popularität ein Ziel von Ihnen?

 

Nein. Zum Beispiel erinnere ich mich, dass es Einladungen in große TV-Shows gab, wo ich  mit Playback hätte spielen müssen, dazu habe ich klar Nein gesagt, auch wenn es mir vielleicht viel Aufmerksamkeit gebracht hätte.

 

Ungemein populär sind ja die sogenannten „Proms“ in der Londoner Royal Albert Hall, wo auch Sie regelmäßig auftreten…

 

Ja, die „Proms“ sind wirklich großartig, da herrscht eine einmalige Atmosphäre! Ich habe Anfang September dort gespielt, das Britten-Konzert! Es sind Tausende Leute da, viele stehen, sind aber total ruhig – eine tolle Tradition! Und dann kann man dort auch sehr anspruchsvolle Programme spielen, man macht keine Kompromisse, was das Repertoire anbelangt. Und darum geht es doch, keine Kompromisse zu machen.

 

Das gelingt vermutlich nicht überall.

 

Es kommt in der Tat immer häufiger vor, dass man Kompromisse machen muss. Es gibt bestimmte Orte, da muss es dann Brahms oder Beethoven sein. Auch wenn ich ein Recital spiele – hier und da wird versucht, auf das Programm Einfluss zu nehmen.

 

Dabei sind Sie doch sehr erfolgreich – können Sie nicht einfach aufs Programm setzen, was Sie wollen?

 

Doch, das kann ich. Trotzdem bekomme ich Feedback, wie „Ihr Programm bräuchte ein paar mehr populäre Werke“. Ich meine damit auch Fernsehsendungen oder bestimmte Groß-Events, Open-Air-Konzerte, wo ich dann immer denke: Das hier wäre doch genau der Moment, wo ihr ein Beispiel geben könnt, wo klassische Musik endlich die Aufmerksamkeit bekommt, die sie verdient. Doch was wird bei solchen Gelegenheiten präsentiert?

 

„Eine kleine Nachtmusik“.

 

Genau. Oder der letzte Satz des Beethoven-Konzerts, gekürzt mit fünf Schnitten, weil es wieder mal nur drei Minuten lang sein darf. So etwas ärgert mich. Ich frage mich dann: Warum muss man die Klassik zu etwas Kleinerem machen? Ich glaube, dass man auf diese Weise eher die Leute verliert, als sie für die Klassik zu gewinnen.

 

Sie nannten André Rieu vorhin einen Entertainer. Sind Sie einer?

 

(überlegt lange) Ich habe aber auch „Künstler“ gesagt. „Entertainer“ bzw. „unterhalten“, das klingt für mich mehr nach etwas, was an der Oberfläche ist, wo es nur darum geht, den Menschen eine angenehme Zeit zu bereiten, nicht unbequem oder schwierig zu sein. Doch wenn ich zum Beispiel das Britten-Konzert spiele, dann tue ich das nicht, um die Leute zu unterhalten. Sondern ich will, dass es ihre Gedanken und Emotionen in Bewegung setzt. Wobei es unfair wäre, zu behaupten, dass so etwas nicht auch in einem André Rieu-Konzert passieren kann. Vielleicht erleben das manche Menschen dort genauso.

 

Wie gut sind Sie denn beim Ansprache halten auf der Bühne?

 

Ganz schlecht, fürchterlich! (lacht). Deswegen mache ich das auch nicht oft. Ich brauche meine Geige und bin froh, wenn ich mit ihr zu den Leuten sprechen kann.

 

Spielen Sie als Zugabe lieber ein populäres oder ein unbekanntes Stück?

 

Ich spiele normalerweise Bach. Ich will in dem Moment nichts vom Eindruck des Konzerts wegnehmen und das gelingt mit Bach in gewisser Weise, mit einer wundervollen Sarabande, einem langsamen Satz… Es gibt allerdings auch Leute, die sagen, dass Bach zum Beispiel nach dem Tschaikowsky-Violinkonzert nicht passt, weil es so brillant endet. Andererseits, Bach ist so ein Komponist, den man nie über hat. Du kannst immer wieder zu ihm zurückkehren, die Musik hat so etwas Innerliches, Vertrautes.

 

Sie haben gerade zwei seiner Violinkonzerte aufgenommen. Würden Sie sagen, Bachs Musik hat eine Art Aura?

 

Es gibt da etwas extrem Unantastbares bei Bach. Man könnte sagen „pur“, aber dieses Wort wird ja immer benutzt, wenn es um Bach oder Mozart geht. (überlegt) Die Musik ist extrem aufrichtig in ihrer Emotion, mehr introvertiert. Das ist ja auch die Herausforderung, ich glaube, deshalb ist Bach so schwer zu spielen, weil stets die Gefahr besteht, dass man emotional diese sehr feine Linie überschreitet und es dann diese Aufrichtigkeit verliert.

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