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Interview Anne-Sophie Mutter

„Das war ein Wahnsinn!“

Anne-Sophie Mutter feiert im Juni sechzigsten Geburtstag. Ein Gespräch über frühen Ruhm, phantasielose Perfektion und ihre Liebe zur Oper.

vonMaximilian Theiss,

Der bevorstehende runde Geburtstag der in so vielen Belangen außergewöhnlichen Künstlerin Anne-Sophie Mutter mag zwar Anlass für eine Rückschau sein. Ungleich vielsagender sind aber zwei andere Zahlen: 47 und 31. Die eine beziffert die Jahre ihrer Karriere, die andere die Anzahl der von ihr uraufgeführten Werke.

Wann war Ihnen denn klar, dass Sie keinen anderen Beruf als Geigerin ergreifen werden?

Anne-Sophie Mutter: Ach, dass die Geige so eine Zauberbox ist, war mir mit dem Moment klar, als mir das Instrument auf die Schultern gelegt wurde. An einen Beruf denkt man als Fünfjährige natürlich noch nicht, aber es war klar mein Lieblingshobby neben Fußball, dem Erfinden von Märchen und so tun, als wäre ich der dritte Junge im Verbund bin mit meinen zwei älteren Brüdern.

Der Fußball hatte also recht schnell das Nachsehen?

Mutter: Naja, als Torwart war ich nicht so toll. Und bei Tischtennis war ich halt auch nicht so gut wie an der Geige.

Wenige Jahre später wurden Sie für Ihr Geigenspiel weltweit bewundert. Als junge Erwachsene hatten Sie sogar in Tokio einen eigenen Fanclub.

Mutter: Das war ein Wahnsinn, ja! Aber da ging es eher um die Musik und nicht um mich als Person. Das waren junge Japaner, total musikbegeistert, mit denen ich mich jedes Mal traf, wenn ich in Tokio war. Wir haben Tee getrunken und Fotos geschossen und so. Ich habe mich wahnsinnig, gefreut, gerade deren Begeisterung für die Musik, für unsere Literatur finde ich auch heute noch bemerkenswert.

In Ihren Anfangsjahren sprachen manche aber auch in einem Tonfall über Sie, der nicht mehr kritisch, sondern nachgerade boshaft war.

Mutter: Die waren nicht nur boshaft, sondern schlichtweg beleidigend und sexistisch! Gott sei Dank kann man sich einen solchen Blödsinn heutzutage nicht mehr erlauben. Es hält zwar manche Leute noch immer nicht von dummen Bemerkungen ab, aber en gros ist es ein klein wenig besser geworden. Aber das ist übrigens eine positive Sache am Älterwerden: Das Äußere wird weniger kommentiert (lacht). Das ist befreiend.

Was raten Sie in dieser Hinsicht Ihren Stipendiaten?

Mutter: Sexismus wird zum Glück deutlich stärker geahndet als früher. Aber Gleichberechtigung? Die gibt es nicht, das ist leider noch immer ein Thema. Was die Medien angeht, sind meine ganz jungen Kolleginnen und Kollegen sehr viel mehr im Fadenkreuz. Sie müssen auch lernen und sich entscheiden, welche privaten Bereiche sie schützen und welche sie preisgeben wollen. Man muss aber wissen, dass man als Künstler seine künstlerische Unschuld verliert, wenn man sich zu sehr in dieses Spannungsfeld von Likes begibt. Erstens, weil du vielen Menschen nicht gefallen wirst und die das in aller Härte kundtun werden. Aber zweitens, weil du auch nicht allen gefallen sollst! Als Künstler musst du ja auch provozieren und zu neuen Gedanken anregen. Letztendlich gilt es, alte Inhalte völlig neu erlebbar zu machen und damit auch Kritik auszuhalten. Wenn ich das Lob liebe, muss ich auch die Kritik ernst nehmen.

Sind für Sie die sozialen Medien eher Leidenschaft oder eher Pflicht?

Mutter: Ich poste oft, was mich berührt hat, was ich bemerkenswert oder alarmierend finde, und das tue ich nach Lust und Laune. Wie man sehen kann, passiert auf meinem Account auch wochenlang mal nichts. Ein völlig unprofessioneller Umgang also, um es auf den Punkt zu bringen (lacht).

Letztens haben Sie sich via Instagram aus New York gemeldet. Sie wohnten einer Probe mit John Williams bei und waren hernach in der Oper.

Mutter: „La bohème“, es war einfach perfekt!

Der perfekte Tag kann also damit enden, dass Sie nicht auf der Bühne stehen, sondern im Publikum sitzen?

Mutter: Absolut, ja! Letztes Jahr war ich auch zum ersten Mal in Bayreuth, und ich muss sagen: Es ist ein unfassbares musikalisches Erlebnis. Und heute ist ein Liederabend mit Jonas Kaufmann dran. Als Zuschauerin stelle ich immer wieder fest, was für ein wunderschöner Luxus es ist, einfach dazusitzen und mitzuerleben, wie sich jemand sich die Seele aus dem Leib singt – denn genau das tun ja auch die großen Sängerinnen und Sänger.

Worum beneiden Sie Opernsänger?

Mutter: Um gar nichts (lacht)! Obwohl, ganz ehrlich: ein klein wenig um das wirklich enthusiastische Publikum. Bei der Oper – beim Ballett übrigens auch – können die Besucher total abgehen. Das Konzertpublikum ist da etwas gesetzter. Wobei: Wenn man mit John Williams auf der Bühne steht, ist das auch immer ein Fest, auch wenn ich als Solistin da so ein bisschen das Anhängsel auf der Bühne bin. Aber diese schiere Freude der Orchestermusiker und des – übrigens irrsinnig jungen – Publikums, wenn der Meister ans Pult tritt: Das ist schon ein Erlebnis.

Strahlende Solistin: Anne-Sophie Mutter
Strahlende Solistin: Anne-Sophie Mutter

Persönlich kennengelernt haben Sie John Williams erst vor einigen Jahren, daraus entwickelte sich aber rasch eine sehr enge künstlerische Beziehung. Wie ist es denn, mit ihm zusammenzuarbeiten?

Mutter: Dieses Genie ist natürlich weit weg in jeder Beziehung, allein schon deswegen, weil Hollywood sein Arbeitsumfeld ist. Und er hat seine Lieblingsmusiker um sich herum, wie das viele von uns machen, ich ja auch. Ich hätte also nicht in meinen kühnsten Träumen gedacht, dass wir einmal so eng zusammenarbeiten würden, dass er für mich gar ein Violinkonzert schreiben würde. Aber dann haben wir 2019 mit „Markings“ …

… so heißt das Werk …

Mutter: … begonnen, und dann hat sich das weiterentwickelt. In gewisser Weise waren diese schrecklichen Jahre der Pandemie, in der man uns ja weggesperrt hat, ein Glück in dem Sinne, dass der große Meister die Zeit hatte, das Violinkonzert zu vollenden. Als große Ehre empfinde ich es auch, dass er einige seiner Werke für mein Ensemble „Mutter’s Virtuosi“ arrangiert hat.

Womit wir wieder beim Nachwuchs beziehungsweise bei der neuen Musikergeneration sind. Über den Umgang mit der Öffentlichkeit haben wir schon gesprochen. Wo sehen Sie in musikalisch-künstlerischer Hinsicht Chancen und Gefahren?

Mutter: Das hängt von den jeweiligen musikalischen Disziplinen ab. Ich denke, dass Dirigenten zu jung und zu früh auf die Orchester losgelassen werden. Harmonielehre, Partituren, auch das für die Dirigenten naturgemäß vielfach größere Repertoire – all das braucht Zeit. Auch bei den Streichern ist es übrigens gefährlich, wenn kein Verständnis in Harmonielehre und keine Befähigung zum Klavierspiel vorhanden sind. Was mich am allermeisten besorgt, ist die Uniformität, gerade im Geigernachwuchs.

Witzig, dass Sie das sagen. In einer Laudatio auf Sie hat Joachim Kaiser einmal hervorgehoben, dass in einer ähnlichen musikhistorischen Phase der Geigen-Uniformität plötzlich Sie ins Rampenlicht getreten seien.

Mutter: Gut, die Gefahr der Uniformität war schon immer da und ist vielleicht auch steter Begleiter der Musik. Ich habe kürzlich die Autobiografie von Joseph Szigeti, dem großen Geiger aus dem letzten Jahrhundert, gelesen. Auch er klagte darin über eine Geigerkrise. Ich glaube, es ist eine menschliche Schwäche, nicht zu wagen, eine eigene Meinung zu entwickeln und die auch begründen zu können. Das Gefallenwollen, vielleicht auch das Nachbeten einer bereits erfolgreichen Formel, ist zutiefst menschlich. Aber muss man dann mit dieser Haltung unbedingt Künstler werden? Und dieser Wahnwitz, Perfektion anzustreben, ist letzten Endes nichts anderes als eine Begrenztheit der Phantasie.

Sie haben schon mehrmals gesagt, dass Sie nicht geneigt sind, einen jahrelangen Abschied hinzulegen. Stattdessen ist halt irgendwann Schluss. Besteht derzeit Anlass zur Sorge, dass Sie demnächst plötzlich den Geigenbogen für immer beiseitelegen?

Mutter: Übers Aufhören denke ich tatsächlich seit meiner Teenager-Zeit nach. Das hatte damit zu tun, dass ich von Kindesbeinen an erlebt habe, wie manche meiner Idole älter wurden, der Bühne aber partout nicht fernbleiben wollten. Das nahm kein gutes Ende. Da möchte ich mir viel lieber ein Beispiel nehmen an Roger Federer …

… auch von ihm sind Sie bekennender Fan.

Mutter: Die Art und Weise, wie proaktiv und positiv er mit seinem Karriereende umgegangen ist, das fand ich sehr beeindruckend. Ich war bei seinem letzten Spiel in London, und natürlich haben wir alle geweint. Er hat aber danach einen Post abgesetzt, in dem er sinngemäß gesagt hat: Ich habe mein allerletztes Spiel verloren, ich habe das Turnier verloren, aber mir geht’s gut. Ich kann nur hoffen, dass ich es so wie Roger mache. Irgendwann.

Album-Tipp:

Album Cover für Brahms: Doppelkonzert & C. Schumann: Klaviertrio op. 17

Brahms: Doppelkonzert & C. Schumann: Klaviertrio op. 17

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