Mozart: Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550

Nicht nur innerhalb der Trias von Mozarts letzten Sinfonien gehört die vorletzte Sinfonie g-Moll KV 550 zu den bekanntesten Werken der Musikgeschichte.

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Wolfgang Amadeus Mozart. Gemälde von Barbara Kraft 1819

Wolfgang Amadeus Mozart. Gemälde von Barbara Kraft 1819

Wo es um die letzten Werke eines Komponisten geht, ist die Legendenbildung nicht weit. Seine letzten drei Sinfonien komponierte Mozart im Sommer 1788 innerhalb weniger Wochen, voller Geldsorgen und „schwarzer Gedanken“, wie der Komponist in einem Brief schrieb. Die Auffassung, dass Mozart diese Sinfonien ohne Auftrag und ohne Hoffnung auf eine Aufführung komponiert habe, ist indes ein Mythos des 19. Jahrhunderts, um das romantische Vorurteil vom verarmten, nicht weiter beachteten Genie vermeintlich zu bestätigen.

Mozarts vorletzte Sinfonie gehört zu den bekanntesten Werken der Musikgeschichte

Während diese fake news inzwischen ins Reich der Märchen verbannt wurde, scheiden sich noch immer die Geister darüber, inwiefern die Sinfonien 39 bis 41 als Trilogie zu verstehen sind oder nicht. Trotz des kurzen Zeitraums, in dem die Sinfonien entstanden, unterscheiden sich jedoch die Werke in vielerlei Hinsicht voneinander. Im Mozart-Handbuch (Bärenreiter-Verlag, 2005) stellte Volker Scherliess pointiert fest, dass paradoxerweise „ein Moment der Zusammengehörigkeit darin zu sehen [ist], wie unterschiedlich sie im Einzelnen voneinander sind.“

Nicht nur innerhalb dieser Trias gehört die vorletzte Sinfonie g-Moll KV 550 zu den bekanntesten Werken der Musikgeschichte. Das berühmte Eröffnungsmotiv tönt durch diverse Fernsehwerbungen, auch als Handyklingelton erfreut es sich überbordender Beliebtheit. Wieder einmal liegt der enorme, weit über die Klassikgrenzen hinaus reichende Erfolg des Werks auf die Mozart’sche Meisterschaft zurück, kompositorische Komplexität und eine bezwingende musikalische Einfachheit zu vereinen. Ohne den Einsatz von Pauken und Trompeten wirkt die Sinfonie düster und melancholisch und ist somit der introvertierte Gegenpart zur strahlenden letzten Sinfonie mit dem Beinamen „Jupiter“.

Die Tristesse und Melancholie sind von bezwingender Schönheit

Während der dritte Satz in seiner Schroffheit wie eine tänzerische Groteske wirkt, lässt Mozart im Finalsatz seinen schwarzen Gedanken „freien Lauf“, wie Mathias Husmann in seinen „99 Präludien fürs Publikum“ schildert: „Die Tutti sind lang und wild; es herrscht eine finstere Brillanz, denn selbst Zorn zu komponieren macht Spaß!“ Vielleicht liegt der Erfolg der „großen g-Moll-Sinfonie“, wie sie in Abgrenzung zur kürzeren Sinfonie g-Moll KV 183 genannt wird, auch genau darin: dass die Tristesse und Melancholie von solch bezwingender Schönheit und in solch klarer Musiksprache auskomponiert wurden, dass ausnahmslos jeder Hörer von diesem Werk sofort eingenommen wird. Dazu hätte es sicherlich auch keinerlei romantisierender Deutungen bedürft.

Die wichtigsten Fakten zu Mozarts Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550

1. Molto allegro
2. Andante
3. Menuetto – Allegretto
4. Finale – Allegro assai

Orchesterbesetzung: Eine Flöte, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, zwei Hörner, zwei Violinen, Viola, Violoncello, Kontrabass, Cembalo

Spieldauer: ca. 35 Minuten

Uraufführung: 16. und 17. April 1791 im Rahmen der Tonkünstler-Sozietät unter der Leitung von Antonio Salieri in Wien

Referenzeinspielung

Mozart: Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550

Günter Wand Edition – Mozart: Sinfonie Nr. 40 g-Moll KV 550

Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
Günter Wand (Leitung)
Profil Medien

Die intensive und äußerst fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Günter Wand und dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin ist ein grandioses Tondokument. Seine überragende künstlerische Meisterschaft ist hier zu bestaunen und auch Jahre nach seinem Tod ist sein Ruhm nicht verblasst. Er beginnt geradezu malerisch im ersten Satz und führt stilsicher in das erhabene Andante. Dem schnellen dritte Satz fehlt es trotzdem nicht an Tiefe und das Finale sprüht wiederum vor Inspiration und Authentizität.

Buchcover: Präludien für das Publikum von Mathias Husmann(Entstehungszeit 1788)


Ob diese Sinfonie zu Mozarts Lebzeiten aufgeführt wurde, ist unsicher; sicher ist, dass sie schon zehn Jahre nach Mozarts Tod sehr beliebt und für die Romantik „die Sinfonie der Sinfonien“ war. Was faszinierte die Romantik an dieser Sinfonie? Vielleicht: das Geheimnis ihrer Entstehung – ohne Anlass, ohne Auftrag, in persönlich und beruflich schwieriger Lage nur um ihrer selbst willen und für die Nachwelt geschrieben … Sicher: Das Geheimnis ihres Wesens – allem äußeren Aufwand abhold (ohne Trompeten und Pauken), leidenschaftlich im Ausdruck und unentrinnbar in ihrem Schmerz gefangen (Kopf- und Finalsatz in düsterem g-Moll). Die Romantik projizierte ihre eigene Ichbezogenheit in ein klassisches Werk, das freilich in seiner thematischen Gereiztheit und harmonischen Hitze ihr sehr entgegenkam.


Das Hauptthema des ersten Satzes könnte als Text die Worte Cherubins tragen: Ich weiß nicht, wo ich bin, was ich tue – ein sehr sprechendes, vor Erregung bebendes Thema. Das Seitenthema wird zwischen Streichern und Bläsern hin und her gerissen, und glüht in chromatischer Harmonik. Die Durchführung entbindet starke dramatische und dynamische Kräfte, dabei dreht sich alles manisch um das Hauptthema, welches schier aufgerieben wird. In der Coda nimmt eine zuckende Sequenz Paminas Selbstmordszene vorweg, dann ruft ein resignativer Nachsatz nach biografischer Deutung.


Die pulsierende Bewegung im Andante verdichtet sich erst nach drei Takten zu einem Thema, dann glauben wir schon Tamino zu hören: Ich fühl es, ich fühl es. Das Thema passt in kein Schema und hat doch klassisches Ebenmaß: acht Takte, die ein ganzes Leben ausdrücken. Das zarte Seitenthema klingt wie der Nachruf auf eine Nachtigall. Dann fasst eine ominöse, dunkle Harmonienfolge kadenzierend den Satz zusammen.


Dem Menuetto ist nicht nach Tanzen zumute – der Ton ist schroff, der Rhythmus wirft den Tänzern Knüppel vor die Füße. Das Trio ist die einzige Episode in G-Dur – ein blasser, milchiger Schimmer fernen Lebens …


Kopfsatz und Finalsatz trugen ursprünglich die gleiche Tempobezeichnung: Allegro assai, dann änderte Mozart den Kopfsatz in Allegro molto – vermutlich, um die Dummköpfe unter den Dirigenten daran zu hindern, beide Sätze gleich schnell nehmen zu wollen!


Das Finale ist drohend entschlossen! Mozarts schwarze Gedanken, die er sonst mit Gewalt zügeln musste, hier lässt er ihnen freien Lauf. Die Tutti sind lang und wild; es herrscht eine finstere Brillanz, denn selbst Zorn zu komponieren macht Spaß! Die Romantik empfand das zarte, empfindliche Seitenthema (besonders in der letzten g-Moll-Version) sicher als Liebesbrief; wir würden heute eher an einen Abschiedsbrief denken …


Gut, dass die g-Moll-Sinfonie keine Autobiografie, sondern nur ein klassisches Werk ist! Keine romantischen Deutungen bitte – sie könnten wahr sein …


(Mathias Husmann)