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Porträt Alexandre Kantorow

Mit der Münze zum Erfolg

Der 25-jährige Alexandre Kantorow ist der aktuelle Shootingstar am Pianistenhimmel – auch dank Tom & Jerry.

vonIrem Çatı,

Die Karriere von Alexandre Kantorow hat sich gefühlt in Lichtgeschwindigkeit von Null auf Hundert entwickelt. 2022 gab es kaum ein großes Konzerthaus oder Festival, das nicht den Namen des heute 25-jährigen Pianisten im Programm hatte. Und auch in diesem Jahr kann sich der Franzose nicht über einen leeren Terminkalender beschweren. Das liegt an seinem mühelos erscheinenden und frischen Klavierspiel, mit dem er Chopin, Liszt oder Rachmaninow auf fast spielerische Weise interpretiert.

Aber auch sein fulminanter Sieg beim Tschaikowsky-Wettbewerb 2019 in Moskau, bei dem er als erster französischer Pianist die Goldmedaille sowie den Grand Prix erhielt, stellte seinen Alltag komplett auf den Kopf. „Plötzlich stand ich mit den Künstlern auf der Bühne, denen ich sonst aus dem Publikum zugejubelt habe“, erzählt Kantorow und er wirkt so, als könne er bis heute nicht begreifen, wie sich alles entwickelt hat. Verändert habe er sich dadurch aber nicht, betont er: „Ich selbst war ja noch derselbe und meine Freunde waren es auch. Das hat mich auf dem Boden gehalten.“ Auch im Gespräch fällt auf, dass man einem entspannten und humorvollen Menschen gegenübersitzt, der sich selbst nicht zu ernst nimmt und viel lacht, der berührt und auch ein bisschen stolz erzählt, dass seine Eltern wie niemand sonst seine Karriere verfolgen und der insgesamt in sich ruhend wirkt.

Alexandre Kantorow: Klavier spielen aus Bequemlichkeit

Überlässt so manches dem Zufall: Alexandre Kantorow
Überlässt so manches dem Zufall: Alexandre Kantorow

Der Name Kantorow dürfte manchem bekannt vorkommen: Alexandres Vater ist der berühmte Geiger und Dirigent Jean-Jacques Kantorow, zu dem er eine sehr innige private und musikalische Beziehung hat. Er war es auch, der das erste offizielle Konzert des damals sechzehnjährigen Sohnes dirigiert hat. Kantorows Mutter ist ebenfalls Violinistin. Warum hat er sich also für das Klavier entschieden? „Ich war als Kind eigentlich ziemlich faul“, gesteht er. Während man für die Geige viel Geduld brauche, habe das Klavier direkt Töne von sich gegeben. „Ich habe angefangen, auf dem Klavier herumzutippen und so das Instrument sehr spielerisch entdeckt. Es war etwas, das ich nach der Schule für mich gemacht habe, deswegen kam der Wunsch, mich ernsthaft damit zu beschäftigen, erst sehr spät.“ Das Interesse an der Musik kam dafür schon sehr früh – geweckt durch die Serie „Tom & Jerry“, die bei den Kantorows in Dauerschleife lief. In einer Szene spielt Kater Tom am Flügel Liszts „Ungarische Rhapsodie“, und das wollte der damals vierjährige Alexandre auch unbedingt.

In der Schule war er trotz selbst attestierter Faulheit ein echter Überflieger, interessierte sich für Naturwissenschaften und übersprang gleich zwei Klassen. Privat entwickelte sich das Klavier zu einer festen Größe. Während seine wesentlich älteren Klassenkameraden also ihrem geregelten Leben nachgingen, gab Kantorow schon seine ersten Konzerte und erhielt Unterricht bei Pierre-Alain Volondat und Igor Laszko in Paris. Unzufrieden war er damit nicht, doch hatte er oft das Gefühl, „nicht normal“ zu sein. Mit Beginn seines Studiums am Pariser Konservatorium und später der École normale de Musique sowie dem Eintritt ins professionelle Pianistenleben lernte er Menschen kennen, die genauso verrückt nach Musik waren wie er.

Erst kürzlich hat er mit seinen engen Freunden und Triopartnern Liya Petrova und Aurélien Pascal ein Festival im südfranzösischen Nîmes veranstaltet. Das Dirigieren und Komponieren möchte er derzeit aber lieber noch den anderen überlassen. Vielleicht ändert sich seine Meinung noch in der Zukunft. Bei der Entscheidung könnte ein Utensil von besonderer Bedeutung sein. „Ich wurde von Teodor Currentzis angefragt, mit ihm zu arbeiten, war mir aber nicht sicher, weil ich wirklich viel zu tun hatte. Meine Freundin hat mir dann empfohlen, eine Münze zu werfen und mich so zu entscheiden“, erzählt Kantorow lachend. Seitdem greife er immer wieder auf diese Methode zurück, denn „es geht nicht darum, was die Münze am Ende zeigt, sondern darum, was man fühlt, wenn man das Ergebnis sieht.“ So schlecht kann die Vorgehensweise nicht sein: Ein Blick auf John Cage zeigt, dass ganze Werke anhand des Zufalls komponiert wurden.

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Saint-Saëns: Klavierkonzerte Nr. 1 & 2 u. a.

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