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Interview Roland Greutter

»Man muss die gleiche Sprache sprechen«

Der NDR-Konzertmeister Roland Greutter über die Zusammenarbeit im Orchester, die Euphorie Leonard Bernsteins und einen Sprung ins kalte Wasser.

vonUlrike Henningsen,

Am 1. August 1982 trat Roland Greutter die Stelle des ersten Konzertmeisters beim NDR Sinfonieorchester an. Beladen mit dem Notenmaterial sämtlicher Streicherstimmen kam er in das Dirigentenzimmer auf dem Funkhausgelände an der Rothenbaumchaussee. Eine Panne mit seinem uralten Auto hatte dazu geführt, dass er den Rest des Wegs zu Fuß gehen musste, so dass zum Einspielen nicht mehr viel Zeit blieb. Gut dreißig Jahre später empfängt ein entspannter Roland Greutter zum Interview während einer Probenphase des NDR Sinfonieorchesters genau in diesem Raum zum Gespräch.

Sie haben bei berühmten Geigern an renommierten Instituten studiert und schon früh einige sehr wichtige Wettbewerbe gewonnen. Das klingt alles eher nach dem typischen Beginn einer Solisten-Laufbahn. Wie kam es dazu, dass Sie Konzertmeister wurden?

Mein Schlüsselerlebnis hatte ich in Bloomington, unmittelbar bevor ich diese Stelle hier antrat. Als junger Wettbewerbsgeiger war ich zunächst tatsächlich anders ausgerichtet. Aber dann bin ich Leonard Bernstein begegnet. Er verlebte dort sein Sabbatjahr und machte eigentlich Urlaub. Trotzdem kam er oft zu den Studenten. Einmal sagte dann mein Lehrer Joseph Gingold zu mir: ,Du musst morgen Konzertmeister sein. Bernstein ist da. Ihr spielt die 1. Sinfonie von Mahler…‘ Ich hatte zuvor noch nie so richtig Orchester gespielt, aber danach war es um mich geschehen. Bernstein war ja so unglaublich euphorisch. Er war einerseits ein Philosoph, der wahnsinnig viel über die Musik wusste und darüber nachsinnen konnte, und gleichzeitig musizierte er alles aus dem Bauch heraus. Er war so begeistert, schäumte gleich  über vor Freude, und damit hat er mich infiziert und diese Leidenschaft, dieses Feuer für das Orchester in mir entzündet.

Auf welchem Weg kamen Sie dann nach Hamburg?

 

Im Grunde durch einen Zufall: Der damalige Orchesterredakteur des NDR Sinfonieorchesters, Dr. Ulf Thomson, kam nach Bloomington, um seine Frau, die Sängerin Reri Grist zu besuchen, die dort eine Liedklasse betreute. Das Orchester suchte zu diesem Zeitpunkt gerade einen ersten Konzertmeister. Dr. Thomson hörte mich mit dem Konzert von Brahms und bot mir danach an, nach Hamburg zu kommen. Das war eine sehr ungewöhnliche Einladung, denn ich war damals ja noch Student. Mich reizte daran auch, dass ich neben der Arbeit als erster Konzertmeister noch die Möglichkeit bekam, solistisch tätig zu sein. Ich wollte nämlich unbedingt beides machen.

Sie waren sehr jung, als Sie die Stelle antraten. Wie haben die Kollegen Sie aufgenommen?

 

Die erste Zeit war geprägt durch Günter Wand, der zur gleichen Zeit auch als Chef anfing. Er war der Älteste – ich war der Jüngste und dazwischen waren die eingefleischten Orchestermusiker, echte Orchestersäulen, teilweise noch aus Schmidt-Isserstedts Zeiten. Natürlich habe ich da hohe Ansprüche empfunden, aber auf der anderen Seite haben sie sich ja mit mir eingelassen. Sie haben das Probespiel gehört und mich engagiert, obwohl sie wussten, dass ich keine Erfahrung habe.

Gab es da auch mal Spannungen?

 

Ja, aber genau das war für alle eher inspirierend, auch für Günter Wand. Ich kann mich noch gut an eine Situation aus dem ersten Jahr erinnern: Wir spielten die große C-Dur Sinfonie von Schubert, und ich dachte mir beim Einspielen, dass ich das, was sich an Bogenstrich so eingeschliffen hatte, irgendwie anders lösen wollte. Das habe ich in der Probe dann auch gemacht. Die Kollegen hinter mir fingen daraufhin an, zu gestikulieren, denn die Bogenstriche, die ich verlangte, waren mehr so, wie ich sie in der Kammermusik oder bei Solokonzerten kannte. Ich habe damals auch meine Tuttistimme immer so vorbereitet, als würde ich ein Solokonzert oder ein Streichquartett spielen. Als Wand die Unruhe bemerkte, brach er ab und bat mich, den Part einmal vorzuspielen. Nachdem ich das getan hatte, wurde es ganz still im Orchester, und auf einmal brandete Applaus auf und Wand sagte zu den Geigen: „Spielen Sie das so, spielen Sie diesen Strich. Das hat genau die richtige Energie.“ Solche Erlebnisse gab es viele, denn ich konnte ohne Orchestererfahrung ja vieles gar nicht wissen, und Günter Wand war dankbar, wenn da auch mal ein paar etwas verrückte Ideen kamen.

 

Sie haben in all den Jahren mit dem Orchester viel erlebt. Gibt es eine Zeit, an die Sie besonders gern zurückdenken?

 

Die Ära Wand war schon eine ganz besondere. Das haben wir auch als Gnade erlebt, daran teilhaben zu können. Er hat ja trotz seiner gesundheitlichen Probleme immer wieder dirigiert, und das zu erleben war ein großes Geschenk. Er hat damals einen gewissen Musizierstil entwickelt, den wir immer irgendwie noch haben. Natürlich ändern sich die Aufführungspraxen und auch durch das historisch informierte Spiel geht es immer weiter, aber diese Grundlage, auch für das spätere NDR Sinfonieorchester, hat Günter Wand gelegt.

Seit über zwei Jahren ist Thomas Hengelbrock Chefdirigent des Orchesters. Wie erleben Sie die Arbeit mit ihm?

 

Eigentlich ist das jetzt eine logische Fortsetzung. Auch bei ihm gilt, dass das Entstehen der Musik, der Interpretationen immer neu entwickelt werden muss. Natürlich basiert vieles auf dem, was sich bewährt hat, aber es entsteht immer wieder etwas Neues. Hengelbrock ist ein hervorragender Musiker, wahnsinnig kompetent und lebendig und wir spielen sehr spannende Programme. Toll ist auch, dass er so ein Faible für Johann Strauß & Co, die österreichische sogenannte Unterhaltungsmusik hat. Thomas Hengelbrock hat das alles aufgesogen, und wir entwickeln schön langsam ein gewisses Selbstverständnis im Umgang damit. Das kommt auch Schubert, Bruckner und Mahler zugute. Ich genieße diese Zusammenarbeit sehr.

Was man im Konzert sehen kann: Sie sorgen als Konzertmeister dafür, dass die Instrumente richtig gestimmt werden und geben von Ihrem Platz aus Impulse mit dem Körper. Welche Aufgaben haben Sie darüber hinaus?

 

Das Eigentliche ist das Nonverbale. Ich muss die Impulse so deutlich setzen, dass auch die Kollegen, die am Weitesten entfernt sitzen, das nachvollziehen können. Da geht es nicht nur darum, zusammen zu spielen. Man muss auch in der Art zu spielen, die gleiche Sprache sprechen. Gerade Thomas Hengelbrock achtet besonders darauf, dass bei der historisch informierten Spielart nicht nur die Information stimmt. Es muss nachvollziehbar und fühlbar sein und sich dann im ganzen Orchester einheitlich durchsetzen. Es ist quasi so, als würden die Musiker alle mit einem, nämlich meinem Bogen spielen.

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