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Interview Felix Klieser

„Manchmal kämpft man gegen Dämonen, die gar nicht da sind“

Mit Felix Klieser vergeht die Zeit wie im Flug. Ein Gespräch über Individualität, Rückschläge und Lakritzstangen.

vonHelge Birkelbach,

Schade: Den besten Horn-Witz aller Zeiten hat Felix Klieser leider nicht parat. Vielleicht gibt es auch gar keinen. Wie auch immer: Der 1991 in Göttingen geborene Ausnahmekünstler ist schlagfertig, kontert humorvoll und begeistert mit seiner erfrischenden Offenheit. Klieser ist nicht nur ein begnadeter Musiker, sondern ein Menschenfreund, der lieber in Möglichkeiten als in Problemen denkt.

Was war die dümmste Frage, die Ihnen jemals in einem Interview gestellt wurde?

Felix Klieser: Ich weiß nicht. Ich gehe da eher mit der Sesamstraße konform: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Wenn ich ein Interview gebe, ist da ja jemand, der etwas wissen will. Es gibt keine dummen Fragen, nur nervige Fragen. (überlegt) Die vielleicht nervigste Frage ist gleichzeitig die, die mir am häufigsten gestellt wird: „Warum spielen Sie Horn?“ Das ist die Standardfrage schlechthin. Die habe ich in meinem Leben gefühlt tausendmal beantworten müssen.

Im Januar waren Sie zu Gast in der spanischen Talkshow „La Resistencia“. Dort wurden Sie nach Ihrem Lieblingswort der deutschen Sprache gefragt.

Klieser: Ja, das war eine recht bunte Sendung. Meine Antwort: „ratzfatz“. Ich liebe dieses Wort! Es ist so charmant. Wenn man mit Menschen spricht, die nicht Muttersprachler sind und Deutsch lernen, bemerkt man oft selbst, welchen ureigenen Charakter unsere Sprache hat. Das kann sehr lustig werden, jemanden zu bitten, „ratzfatz“ auszusprechen. Es gibt auch ganz seltsame Worte, zum Beispiel „Zweisamkeit“. Ein Wort, das etwas hoch Emotionales auf eine Sachebene herunterbricht. Noch schlimmer ist die „traute Zweisamkeit“. Irgendwie seltsam, oder?

Kann es sein, dass Sie als Musiker ein besonderes Ohr für die Onomatopoesie haben, also die lautmalerische Sprache?

Klieser: Och, so hoch würde ich gar nicht greifen. Ich bin kein Mensch, der nur in Musik und seinem Instrument denkt. Für mich ist Musik eigentlich nur Mittel zum Zweck. Musik ist ein Medium. Ich kommuniziere damit Gedanken, Empfindungen, Meinungen. Ich bin beispielsweise auch nicht der Typ, bei dem zu Hause überall Notenblätter herumliegen oder historische Hörner an den Wänden hängen.

Wenn man bei mir vorbeischauen würde, würde man nicht im Traum denken, dass da ein Musiker lebt. Ich bin eher am Leben und alldem was dazugehört interessiert. Über Musik zu reden ist ähnlich so wie ein Maler, der über die Pigmente seiner Farben philosophiert. Ich definiere mich insofern gar nicht so sehr als Hornist oder Musiker, sondern als jemand, der sich gerne mit Menschen und dem Leben beschäftigt.

Schnelles Spielen war für Felix Klieser nie das Problem
Schnelles Spielen war für Felix Klieser nie das Problem

Sie könnten einen wunderbaren Talkmaster abgeben!

Klieser: Ich weiß nicht (schmunzelt). Eher nicht. Zuhören und Offensein ist wichtig, das würde ich schon mitbringen. Ich kann allerdings nicht in Formaten denken, die man nun mal im Fernsehen und den Medien hat. Keinen Mensch auf diesem Planeten kann man in Kategorien hineinpressen. Auch Trends interessieren mich nicht. Kategorien führen eher dazu, dass man in seiner eigenen Blase lebt, was ich persönlich sehr schade finde. Während der Coronazeit habe ich mich oft gefragt: Was machst du da überhaupt? Du gehst auf die Bühne, machst Töne, dann geht’s in ein Hotel, stehst am nächsten Morgen auf und spielst wieder Töne … Die Frage ist eher: Warum machst du das überhaupt? Warum sollte es das, was wir machen, überhaupt geben?

Es ist der Gedankenaustausch, der uns antreibt. Wenn man sich vor Augen führt, wie groß dieser Planet ist und was es theoretisch an Möglichkeiten gibt, wird man relativ schnell feststellen, dass man nur einen wahnsinnig kleinen Bruchteil davon wahrnimmt. Von Elon Musk zum Beispiel kann man halten, was man will. Aber: Der hat angefangen, die Dinge ganz neu zu denken. Zuerst mit Paypal, dann mit Elektromobilität, und jetzt fliegt er ins Weltall. Einem normalen Menschen, der Autos verkauft und plötzlich den Mars anvisiert, würde man den Vogel zeigen. Wir nutzen unsere Möglichkeiten, die so faszinierend sind, viel zu selten.

Manche Dinge scheinen kompliziert zu sein, aber nur auf den ersten Blick. Ihnen zum Beispiel fällt schnelles Spielen überhaupt nicht schwer, sagten Sie einmal.

Klieser: Der Körper macht das von alleine. Ich muss das gar nicht intensiv üben, das passiert einfach. Da wird man dann gefragt: Ist es nicht extrem schwierig, mit den Füßen so schnell zu spielen? Ich sage dann: Weiß ich nicht, denn ich habe es noch nie anders ausprobiert. Ich mache keine Spezialtrainings, ich übe einfach wie jeder andere auch. Und ich musste viel am Horn lernen. Es war nicht so, dass ich ein Supertalent war und alles sofort beherrschte. Ich musste mir jedes kleine Mosaiksteinchen erarbeiten. Schnelligkeit war nie das Problem, eher Klangfarben, Phrasierungen, Tonumfang.

Sie haben schon mit dreizehn Jahren Ihr Musikstudium in Hannover begonnen. Was war das Wichtigste, das Sie im ersten Jahr gelernt haben?

Klieser: Das ist schwer zu sagen. Ein Studium funktioniert ja nicht plakativ. Das ist von Person zu Person unterschiedlich. Ich selbst unterrichte ja seit vielen Jahren. Eine ganz wichtige Ebene ist die persönliche: sich selbst kennenzulernen. Wie geht man mit Frust um? Wie geht man mit Rückschlägen um? Was brauche ich, damit ich mich wohlfühle? Was, damit mein Körper und mein Geist mir das geben, was ich gerne von ihnen hätte? Es gibt so viele Dinge, die für die Entwicklung eines jungen Künstlers wichtig sind. Manchmal kämpft man gegen Dämonen, die gar nicht da sind.

Was im ersten Jahr für mich wichtig war, kann ich gar nicht mehr so sagen. Ich weiß nur, dass es sehr viele Baustellen gab. Manchmal ist man einfach auch nur schlecht drauf. Kommt ja mal vor. Auch heute passiert es mir, dass ich von der Bühne gehe und denke: Das war jetzt nicht so doll. Ich hätte es vielleicht so oder so machen können. Das Hornkonzert von Mozart spiele ich gefühlt dreimal pro Woche. Man findet immer wieder Dinge, die man besser machen kann. An jeder Ecke hat man schon mal geschraubt, gemeckert, verbessert. Einem Musiker wird es nie langweilig!

Felix Klieser ist Artist in Residence beim Bournemouth Symphony Orchestra
Felix Klieser ist Artist in Residence beim Bournemouth Symphony Orchestra

Mozart scheint für Sie ein ständiger Begleiter zu sein. Bei seinem Hornquintett, das auch auf dem neuen Album enthalten ist, fühlen Sie sich „wie ein Kind im Süßwarenladen“, so Ihre Worte. Greifen Sie beherzt zu?

Klieser: Wer noch nie ein Instrument in der Hand hatte oder noch nie etwas von Mozart gehört hat, versteht intuitiv, was das Interessante an seiner Musik ist. Die große Herausforderung als Musiker ist es, aus diesem prallen „Füllhorn“ (lacht) nicht alles abzugreifen, dann verdirbt man sich den Magen. Es gibt wahnsinnig viele Möglichkeiten, einzelne Takte, einzelne Figuren, einzelne Töne zu spielen – und es kommt immer wieder etwas anderes dabei heraus. Ich kenne keinen Komponisten, bei dem so viel auf so kleinem Raum passiert und passieren kann.

Das Hornquintett vergleiche ich deshalb mit einem Süßwarenladen, weil es in jeder Ecke spannend und aufregend ist. Man möchte am liebsten überall zugreifen. Wenn man das aber tut, wird einem irgendwann schlecht. Irgendwann ist es einfach too much. Man muss sich entscheiden: die Lakritzstangen, die Pralinen, die Fruchtgummis – oder doch die Zuckerwatte? Wann wird es zu viel? Zu wenig sollte es natürlich auch nicht sein. Jeder kommt mit völlig verschiedenen Tüten aus diesem wunderbaren Laden.

Sie haben aktuell eine zweijährige Residency beim Bournemouth Symphony Orchestra. Was unterscheidet den Orchesterklang in England von dem in Deutschland?

Klieser: Ich bin kein Freund davon, Dinge zu pauschalisieren. Abgesehen von den Nationalitäten muss man immer die individuellen Persönlichkeiten betrachten. Jeder Musiker, jeder Dirigent ist anders, im Endeffekt sind wir alle Menschen mit ihren Vorlieben, Fähigkeiten und Fehlern. Mag sein, dass andere Instrumentenfabrikate zum Einsatz kommen, was eine andere Klangfarbe und -philosophie zur Folge hat.

In den USA zum Beispiel werden oft Hörner der Firma Holton gespielt. Selbst Orchester können je nach Besetzung, Gastdirigent und Solist völlig anders klingen. Oder wenn man einen anderen Konzertmeister dabei hat. Das habe ich oft erlebt, auch mit Orchestern, mit denen ich regelmäßig auftrete, ob das nun die Camerata Salzburg oder die Festival Strings Lucerne sind. Ich lasse mich da gerne überraschen. 

Können Sie die Leser zum Abschluss mit einem Horn-Witz überraschen?

Klieser: Ich könnte Ihnen diverse Bratschen-Witze vortragen. Die sind ja zahlreich. Aber einen Horn-Witz? Bestimmt gibt es welche. Aber ich kenne keinen einzigen, sorry, da habe ich nichts im Angebot (lacht). Vielleicht kann man ja einen Bratschen-Witz adaptieren.

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