BLIND GEHÖRT NILS MÖNKEMEYER
Mir ist das nicht hässlich genug
Der Bratschist Nils Mönkemeyer hört und kommentiert CDs seiner Kollegen, ohne dass er erfährt, wer spielt
© Irne Zandel
Seit er entdeckt wurde, hat auch Deutschland einen Bratschenstar: Gleich mit seinem ersten Album gewann Nils Mönkemeyer einen ECHO Klassik. Der gebürtige Bremer und Gewinner des Bashmet-Wettbewerbs ist Exklusiv-Künstler des CD-Labels Sony Classical und seit 2009 Professor an der Musikhochschule Dresden. Aufs „Blind gehört“ lässt sich Mönkemeyer mit Lust und Neugierde ein und kommentiert die CDs entspannt, aber aufmerksam bereits während des Hörens.
Das ist Tabea Zimmermann mit den Suiten von Max Reger. Ich war total überrascht, dass sie die freiwillig aufgenommen hat. Man muss sie in jedem Wettbewerb in der ersten Runde spielen, und sie sind sehr undankbar. Man muss wahnsinnig viel üben, aber es klingt nie beeindruckend. Ich finde diese Aufnahme extrem gut. Bei Tabea Zimmermann klingt alles sehr natürlich, und sie atmet das so schön, dass ich völlig vergesse, dass ich diese Stücke eigentlich hasse. Ich habe mir nach den Wettbewerben geschworen, die werde ich nie wieder spielen. Sie findet die Musik toll, und dann klingt sie auch toll, wenn sie sie spielt. Tabea Zimmermann erkennt man sofort. Sie hat eine ganz eigene Klangfarbe, und sie klingt immer positiv, immer herzerwärmend froh.
Ach, Bashmet ist einfach ein alter Schlawiner. Eigentlich geht es so gar nicht. Er macht nicht, was in den Noten steht und was Walton wollte, aber er ist eben Yuri Bashmet. Niemand hat so einen sexy, fast wollüstigen Ton. Hier – das grenzt schon an Hysterie. Bashmet war mein größtes Idol, der Bratscher, der mich am stärksten beeinflusst hat. Es gab Zeiten, wo ich unkritisch alles hingenommen habe und vor jedem Glissando ehrfürchtig in die Knie gegangen bin. Ich habe diese Aufnahme sehr lange nicht mehr gehört. Hier: Warum macht er das so? … Ich habe dieses Konzert selbst gespielt mit ihm als Dirigent. Er hat den schönsten Bratschenklang, den man sich vorstellen kann, das Vibrato ist zum Niederknien. Aber mich stört, dass er damit angibt, was er für tolle Farben hat, er stellt sich hier nicht wirklich in den Dienst der Musik. Seine Aufnahme von Schuberts Arpeggione-Sonate ist ganz toll. Aber diesen Walton finde ich zu kitschig. Das ist schon das größte Bratschenkonzert nach Berlioz‘ Harold en Italie. Es ist typisch englisch, nebulös verhangen, und wenn man dann noch mit der Karamellsauce drübergeht… Aber lassen Sie uns mal das Ende des Konzerts hören. … Ja, das ist Weltklasse! Bashmet ist schon genial. Den Walton werde ich noch fünfzig Mal im Konzert spielen und dann aufnehmen. Mit diesen Stücken muss ich mich nicht beeilen. Sonst geht es mir eines Tages wie Yo-Yo Ma: Der weiß nicht, was er noch aufnehmen soll.
Das kenne ich nicht. Hoffmeister? Stamitz? Doch, ich kenne es wohl, das ist das Zelter-Konzert. Eine Studienkollegin hat das gespielt, ich nie. (Die Bratsche setzt ein) Das ist Hariolf Schlichtig, mein Lehrer, den erkenne ich sofort… Sehr schön. Ich sehe ihn sofort vor mir, ich kenne niemanden, der soviel Freude versprüht beim Spielen wie er. Wenn man diese Sechzehntel-Passagen einfach nur herunterspielt, wird es belanglos, aber er liebt das und macht es mit großem Schwung und solch einer Verve, dass man einfach seine Freude daran hat. Ich hatte einen Lehrer in Hannover, der mich technisch sehr gut ausgebildet hat. Aber bei Schlichtig bin ich aus jeder Unterrichtsstunde gegangen mit dem Gefühl: Ich mache das Schönste, was es auf der Welt gibt. Er war eine väterliche Figur für mich. Er hat mir immer vermittelt: Wir müssen noch weiter kommen, aber wir schaffen das. Ich habe mit ihm oft Kammermusik gemacht, und diese Konzerte waren Glücksmomente. Er ist der geborene Kammermusiker, obwohl er auch ein sehr guter Solist ist. Man macht eine Karriere ja in jüngeren Jahren, und da hat er sich ganz auf das Cherubini-Quartett konzentriert… Der Zelter ist nicht das große Meisterwerk, aber wenn Hariolf Schlichtig das spielt, ist es einfach schöne Musik. Man kann es sich als Bratscher gar nicht leisten, einem Stück keine Chance zu geben. Jedes neu aufgetauchte Stück ist erstmal wie ein Freund, und dann guckt man, ob man sich versteht. Es gibt vieles, was sich lohnt.
Ziemlich schnell, vielleicht ein bisschen bauchig, aber schön. … Lange Phrasen gibt es nicht, aber es gibt schöne Details. Sehr ernsthaft. Mal sehen, wie der laute Teil wird. Es könnte Tabea Zimmermann sein. Ich glaube, das ist eine ganz alte Aufnahme von ihr. Aber mir ist das nicht hässlich und brutal genug. Der Anfang muss sein, als würde man mit dem Messer durch ein Fleisch schneiden, es muss wehtun. Mir sind zu viele Unterteilungen in den Phrasen, aber es ist sehr gut. Tabea Zimmermann spielt nie schlecht. Auch hier diese Phrase, die muss unerbittlich sein. Und hier ist es mir zu tänzerisch. Das ist die Todessonate von Schostakowitsch, da muss einem angst und bange werden. Gerade der erste Satz hat kaum Schönheit, sondern viel Einsamkeit und Düsternis, mir klingt das alles zu positiv. Ein Zimmermann-Schüler? Ist das Antoine Tamestit? Ist ja verrückt, dass man das so hört. Er ist ein sehr guter Bratscher.
Schön. … (Die Bratsche setzt ein) Was ist das? Wie kann man hier ein Glissando machen? Nein, das geht gar nicht, viel zu viel Rubato und auf jedem dritten Ton ein Glissando. Der Tonfall für Schubert muss innerlich und lyrisch sein. So geht das nicht. Wer ist das? Hartmut Lindemann? Oh… Ich kenne von ihm nur virtuose Sachen, die finde ich extrem gut. Warum spielt man das mit Gitarre? Weil man dann ganz zart spielen kann! Wieso tut er das nicht?!
Das ist sauschwer! Es könnte Kim Kashkashian sein. Kann ich noch einen anderen Satz hören? (2. Satz) Ja, das ist Kashkashian, aber nicht meine Lieblingsaufnahme von ihr. Nein? Ich habe mich schon gewundert, dass sie so viel portato macht, es müsste viel mehr legato sein hier im zweiten Satz. Und es ist ein bisschen gleichförmig, es gibt keine Klangfarbenwechsel. Hallo, Vibrato, wo bist du? Ich finde es ziemlich schlecht aufgenommen, so ganz ohne Raumklang für die Bratsche. Bei Hindemith gibt es technische Sachen, die er geliebt hat und die sonst nirgendwo vorkommen und die extrem schwer sind. Kann ich mal den letzten Satz hören? Ja, es ist alles sehr solide, sehr gut gespielt, technisch alles in Ordnung. Aber der Ton hat keine wirklich eigene Farbe, es ist alles ein bisschen normal, finde ich.
(Singt die Kantilene mit) Ach, ich habe eine Schwäche für dieses Stück. … Schön! Sicherlich russische Interpreten (der Bratscher tatsächlich). Ich kenne nur eine Aufnahme mit Bashmet und Tretjakow, aber die ist es nicht, die ist überbordender. Diese hier ist schlichter, aber trotzdem süffig. Keine Ahnung, wer das sein könnte. Der Bratscher klingt nach Bashmet, aber geschmackvoller. Ich finde beide Solisten ganz toll. Daniel Raiskin? Wieso kenne ich den nicht? Geige und Bratsche mischen sich sehr schön, sie haben die gleiche Intention, sind sehr schön zusammen, spielen mit genau der richtigen Prise Schmelz. Hier bei dieser Unisono-Stelle versucht meist einer den anderen zu übertrumpfen im Vibrato. Wenn man da zu viel macht, ist es nicht auszuhalten, dann hört man die Weihnachtsglocken läuten. Aber das hier ist sehr schön, eine tolle Aufnahme!
CD-Tipp
Termine
Julia Fischer, Valerie Steenken & Alexander Sitkovetsky, Nils Mönkemeyer, …
Rezensionen
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